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Würdevolle Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden als Teil einer neuen Willkommenskultur

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Rede von Heidrun Bluhm, bau- und wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE zur zweiten und dritten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten "Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen" (Drucksache 18/2752) und zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke

Heidrun Bluhm (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit den letzten Worten meiner Kollegin Jelpke vor circa einer Stunde. Sie sagte: Das System der sozia­len Diskriminierung von Flüchtlingen müssen wir end­lich beenden.

Bei der Rede der Frau Ministerin hat sich alles ganz harmlos angehört. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sie bis zum Ende ihrer Rede das Wort „Gewerbegebiet“ gar nicht verwenden würde. Fairerweise hat sie das am Ende doch getan. Insofern wird jetzt deutlich, dass wir heute hier – das haben wir noch nie gemacht, wenn wir über eine Novelle des Baugesetzbuches in irgendeiner Weise verhandelt haben – keine Formalie verhandeln. Heute geht es nicht um Erleichterungen des Baus, son­dern darum, dass wir Menschen, die in größter Not zu uns kommen, weil sie aus ihrer Heimat vertrieben wor­den sind, Angehörige, Familienangehörige oder Freunde verloren haben, die ihre Gesundheit, ihre Wohnung und ihre Zukunft verloren haben, die nichts als ihr nacktes Leben haben, in Gewerbegebieten unterbringen wollen.

(Sören Bartol [SPD]: Hallo! Sollen sie in Zelte? Was ist die Alternative?)

All das haben wir schon vor einer Stunde in der Dis­kussion über das Asylbewerberleistungsgesetz deutlich gemacht. Jetzt sollen wir also entscheiden, dass Asylbe­gehrende und Flüchtlinge in Gewerbegebieten wohnen werden.

(Sören Bartol [SPD]: Nur im Notfall! – Ulli Nissen [SPD]: Notfall!)

In der öffentlichen Anhörung zu diesem Gesetzesent­wurf am Montag hat einer der zwei Befürworter gesagt: Diese Leute – gemeint waren damit natürlich die Flücht­linge – seien gottfroh und dankbar, dass sie hier ange­kommen sind und ein Dach über dem Kopf haben. Für mich fehlte nur noch der Zusatz: Das sollten sie gefäl­ligst auch sein.

(Ulli Nissen [SPD]: Sollen sie unter die Brü­cke, oder was?)

Die Krisengebiete, so hat es auch die Ministerin ge­sagt, von denen der Gesetzentwurf spricht, liegen durch­weg in Weltregionen, die jahrhundertelang von europäi­schen Kolonialmächten beherrscht und ausgeplündert worden sind. Wir, die Europäer, verdanken diesen Län­dern einen großen Teil unseres materiellen, wissen­schaftlichen und kulturellen Reichtums.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben ihnen oft zerstörte Kulturen, geplünderte Na­tur und willkürlich gezogene Grenzen hinterlassen. Wenn wir also heute über Maßnahmen zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen reden, dann spre­chen wir nicht über großzügige Almosen, die wir zeit­weilig verteilen, um eine akute Notlage in irgendeiner Weise zu beheben,

(Ulli Nissen [SPD]: Was ist das denn sonst im Augenblick?)

sondern über Mitmenschlichkeit, über Solidarität, Unter­stützung für Traumatisierte und aus ihrer Heimat Vertrie­bene.

(Sören Bartol [SPD]: Deshalb wollen wir sie angemessen unterbringen! – Ulli Nissen [SPD]: Besser als in Zelten!)

Der Grundfehler dieser Gesetzesänderung, Herr Bartol, liegt in der Unterstellung, wir hätten es mit ei­nem vorübergehenden Notstand zu tun, den wir unter an­derem mithilfe einer Änderung im Bauplanungsrecht bis Ende 2019 wieder beheben können. Wie grotesk ist diese Vorstellung?

(Beifall bei der LINKEN)

Der Zustrom von Flüchtlingen und Asylbegehrenden nach Europa wird nicht abreißen, sondern weiter zuneh­men. Die Krisen und Kriege werden nicht plötzlich auf­hören, und es besteht die reale Gefahr, dass zu den Flüchtlingen, die heute kommen, noch Klimaflüchtlinge hinzukommen werden, denen die zivilisierten Industrie­nationen die Lebensgrundlage buchstäblich abgegraben oder weggespült haben.

(Sören Bartol [SPD]: Aber du hast doch jetzt schon zu wenig Wohnungen! Wo willst du sie unterbringen? – Ulli Nissen [SPD]: Wo sollen sie denn hin?)

Wir haben es also mit einer dauerhaften, umfassenden europäischen, wenn nicht sogar globalen Aufgabenstel­lung zu tun.

Der schnelle Aktionismus der Bundesregierung ver­mittelt hier den Eindruck einer prompten und einver­nehmlichen Lösung zwischen Bund und Ländern. Wenn sich aber, so wie jetzt, hausgemachte, weil jahrelang ignorierte Probleme aufgestaut haben, wenn Kommu­nen, die vom Bund im Stich gelassen werden, verständli­cherweise nach Auswegen suchen, dann sollten Geset­zes- und Verordnungsänderungen, wenn sie überhaupt notwendig sind, so ausgestaltet werden, dass sie ein Pro­blem nicht nur aus der Sichtachse verdrängen, sondern auch keine neuen erzeugen.

Mit diesem Gesetzentwurf wird eine Ausnahmesitua­tion zu einem rechtssicheren Dauerzustand gemacht. Formale Sicherheit im Baurecht darf aber niemals dazu missbraucht werden, dass Menschenrechtsverletzungen zu geregelter Normalität werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Oder glaubt hier wirklich jemand, dass diese Regelun­gen in fünf Jahren wieder einkassiert werden? – Wohl nicht, es sei denn, die Linke regiert – dann vielleicht.

 

(Sören Bartol [SPD]: Ihr wollt ja nicht regie­ren! – Weiterer Zuruf von der SPD: Dann fal­len die Häuser vom Himmel!)

Selbst wenn es im Gesetzestext so nicht vorgesehen ist, bestätigt meine Erfahrung aus fast zehn Jahren Bundes­tag: So beständig wie ein Provisorium ist sonst kein Ge­setz.

(Ulli Nissen [SPD]: Aber was macht man im Übergang, bis man fertiggebaut hat? Was macht man dann?)

Und noch schlimmer: Es signalisiert geradezu, dass wir die Flüchtlinge nicht dauerhaft unter uns haben wollen, dass ihre Integration nicht organisiert, sondern verhin­dert werden soll. Dieses Gesetz ist also kein Anreiz, menschenwürdige Wohnverhältnisse für Flüchtlinge und Asylsuchende zu schaffen, sondern es fördert die dauer­hafte Ausgrenzung und Stigmatisierung von Menschen, denen wir Hilfe und Respekt schuldig sind.

Was anstelle dieses Gesetzes notwendig ist, haben wir in unserem vorliegenden Entschließungsantrag beschrie­ben. Ich will sagen: Die eigentlichen Lösungen sind die, die wir lange kennen. Wir brauchen einen ausgewogenen sozialen Wohnungsbau. Wir müssen ihn wiederbeleben; die Bundesregierung spricht davon, aber bisher ist nichts zu sehen. Wir brauchen eine bedarfsgerecht ausgestattete Städtebauförderung mit neuen oder ergänzenden Pro­grammen, die auch der dauerhaften Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland gerecht wird, sodass diese Menschen in unserer Mitte leben können.

(Ulli Nissen [SPD]: Machen wir alles! Aber das wird nicht innerhalb von zwei Jahren fertig sein!)

Und wir brauchen eine bedarfsbezogene Vergabe von bundeseigenen Liegenschaften an die Kommunen an­stelle des Höchstgebotskultes; morgen haben wir Gele­genheit, ausführlicher darüber zu reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir all das umsetzen – verbunden mit einer nicht nur plakativen, sondern tatsächlich gelebten Will­kommenskultur –, dann machen wir wirkliche Schritte in Richtung eines menschenwürdigen Umgangs mit Flücht­lingen und Asylsuchenden,

(Ulli Nissen [SPD]: Aber das sind keine Zelte!)

die nicht rechtssicher verwahrt, sondern Teil unserer Ge­sellschaft werden sollen. Schluss also mit der Lagerun­terbringung der Vertriebenen in Deutschland!

(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt wird es aber richtig hart! – Sören Bartol [SPD]: Das ist nicht in Ordnung! Echt nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)