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Wortbeitrag auf der Klausurtagung der Föderalismuskommission II

Rede von Axel Troost,

Meine Damen und Herren!

Mir ist in der bisherigen Debatte zu wenig darüber gesagt worden, woher denn der starke Verschuldungsanstieg kommt. Man hat das Gefühl: Das muss daran liegen, dass die öffentlichen Haushalte kontinuierlich in Saus und Braus gelebt haben, dass dieser Anstieg des Verschuldungsstandes genau dadurch zustande kommt. Wenn man sich das aber genauer anschaut, kann man feststellen, dass es zwei große Phasen des Anstiegs gegeben hat, nämlich erstens Anfang der 90er-Jahre, hervorgerufen durch die Art der Finanzierung der deutschen Einheit. Das ist damals von anderen auch kritisiert worden. Es sind andere Vorschläge dazu gemacht worden, wie man den „Aufbau Ost“ finanzieren sollte. Aber das ist inzwischen verschüttete Milch.

Ein zweiter deutlicher Anstieg ist seit dem Jahre 2000 zu verzeichnen. Wenn man sich anschaut, worauf das zurückzuführen ist, dann zeigt sich, dass dies eindeutig nicht dar-an liegt, dass die Ausgaben so stark gestiegen wären, sondern daran, dass die Ein-nahmen aufgrund einer massiven Steuersenkung zusammengebrochen sind. In der Bundesrepublik Deutschland hat es von 1996 bis 2005 bei den realen Staatsausgaben den geringsten Anstieg aller EU-Länder gegeben. Wenn wir uns das Jahr 2000 und die Folgejahre ansehen, dann sehen wir, dass die Staatsausgaben in der Zeit von 2000 bis 2005 im Jahresdurchschnitt um 1,3 Prozent gestiegen sind - wohlgemerkt: das Sozial-produkt um 1,7 Prozent -, die Steuereinnahmen im Jahresdurchschnitt aber um 0,2 Prozent gesunken sind. Daraus resultiert der entsprechende Defizitzuwachs.

Insofern müssen wir uns natürlich schon die Frage stellen: Wollen wir denn immer weniger Staat? Da sagt die FDP sehr klar - das finde ich völlig konsistent: Staatsverschuldung runter, Steuern runter und natürlich auch die Staatsausgaben runter. Das ist in sich schlüssig. Bei allen anderen hier bin ich mir nicht so sicher, ob wirklich so klar ist, dass sie einen sinkenden Staatsanteil haben wollen. Ich kann für DIE LINKE nur sagen: Wir wollen einen finanzstarken Staat, der öffentliche Investitionen - auch für den ökologischen Umbau - und eine ausreichende öffentliche Daseinsvorsorge ermöglicht und der nicht ständig neue Sonderopfer von den im öffentlichen Dienst Beschäftigten verlangt.

Wenn man einen solchen Staat haben will, muss man sich natürlich fragen, wie kann dies finanziert werden. Da würden wir - gerade aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre und deren Fortsetzung zum Beispiel bei der Unternehmensteuerreform 2008 - dafür plädieren, nicht so sehr über eine Verschuldungsbremse zu reden, sondern mehr über eine Steuersenkungsbremse oder - wie es der Sachverständige Bofinger in seiner Sonderstellungnahme ausgeführt hat - ein temporäres Verbot weiterer Steuersenkun-gen, bis die Verschuldungsquote - so hat er es ausgeführt - mindestens wieder unter 60 Prozent ist.

Man muss also über die Frage reden, woher die Staatsfinanzen kommen sollen. Man kann nicht einfach nur sagen: Wir begrenzen die Verschuldung. Es ist sehr gefährlich, in Zeiten wie den gegenwärtigen, in denen die Steuereinnahmen sprudeln, sich so etwas vorzunehmen. Denn für folgende Perioden, in denen es wieder enger wird und in denen dann die Verschuldungsmöglichkeit nicht mehr so ohne Weiteres gegeben wäre, bedeutet das logischerweise Ausgabensenkungen. Auch das muss diskutiert werden.

Eine Bemerkung nebenbei, Herr Steinbrück - ich hörte es früher auch von den GRÜNEN: Die Aussage, die Staatsverschuldung sei die größte soziale Ungerechtigkeit, habe ich vor 30 Jahren - so lange beschäftige ich mich mit der Frage der Staatsver-schuldung - schon für falsch gehalten; sie ist heute noch genauso falsch. Die Vermögenden bekommen nicht deswegen Zinsen, weil sie dem Staat Geld geliehen haben. Die Vermögenden bekommen deswegen Zinsen, weil sie Vermögensbildung betrieben haben und ihr Vermögen, wo auch immer, anlegen. Wenn es nicht beim Staat wäre, dann woanders. An dieser zunehmenden Vermögensbildung können wir zweierlei sehen: erstens, dass sich die Primäreinkommen immer weiter auseinander entwickeln, zweitens aber natürlich auch, dass der Staat durch Steuersenkungen, zum Beispiel durch eine Senkung des Spitzensteuersatzes, mit dazu beiträgt, dass mehr Vermö-gensbildung in den oberen Einkommensklassen stattfindet und damit auch entspre-chende Zinseinnahmen möglich werden. Das kann man, wie gesagt, nicht mit der Staatsverschuldung als solcher in Verbindung bringen. Dies ist aus meiner Sicht völlig unseriös.

Wenn man jetzt nach vorne schaut und fragt, was das denn heißen könnte, dann sage ich: Wir können uns mit einem Entschuldungsfonds nach dem Vorschlag von Herrn Carstensen durchaus anfreunden, mit dem erreicht werden soll, dass gerade die be-sonders hoch verschuldeten Länder strukturell entlastet werden. Aber dabei darf natür-lich ihre Handlungsfähigkeit nicht völlig eingeschränkt werden. Was wir in jedem Fall brauchen, sind insgesamt genügend Einnahmen zur Finanzierung von öffentlichem Konsum und auch von öffentlichen Investitionen.

Wenn dafür genügend Steuereinnahmen und sonstige Einnahmen vorhanden sind, dann habe ich kein Problem damit, den Investitionsbegriff, was die Verschuldung an-geht, einzuschränken; denn an den Argumenten, die hier vorgetragen worden sind - Stichwort: Auto oder insbesondere PC -, ist natürlich etwas dran. Das sind nicht die „rentierlichen Ausgaben“, von denen Freiherr vom Stein meinte, sie sollte man durch Verschuldung finanzieren; vielmehr sind das Güter, die in der Tat nach fünf oder sieben Jahren verschlissen sind.

Aber, wie gesagt, man muss dann fragen: Was denn sonst? Insgesamt braucht der Bund natürlich genug Spielraum, um wirklich konjunkturpolitisch und nicht nur im Falle von Naturkatastrophen arbeiten zu können. Wir halten da sogar das Maastricht-Kriterium von 3 Prozent - um mit Prodi zu sprechen - für „stupido“. Wenn es erforder-lich ist, gegenzusteuern, dann muss kurzfristig auch mehr möglich sein. Aber es darf natürlich nicht dazu kommen, dass die 3 Prozent dauernd überschritten werden; vielmehr muss dieses Kriterium entsprechend der Konjunktur angewendet werden. Die Länder müssen in die Lage versetzt werden, auch bei Einnahmeausfällen konjunkturell gegenzusteuern, damit sie nicht prozyklisch die Konjunkturkrise letztlich noch verschärfen. Da kann man zwar sagen, das wäre irgendwie ein halber Keynes oder wie auch immer. Aber bestimmte volkswirtschaftliche Wahrheiten bleiben nach wie vor richtig und haben sich gerade in den ersten fünf Jahren dieses Jahrtausends noch einmal bestätigt, in denen staatliches Handeln nicht zur Konjunkturstabilisierung sondern Sparpolitik letztlich zu einer Vergrößerung der Verschuldung beigetragen hat. Insofern brauchen wir da einfach einen anderen Ansatz.

Danke schön.