Zum Hauptinhalt springen

Wissenschaftlicher Mittelbau

Rede von Petra Sitte,

Sehr geehrte Damen und Herren,

im Jahr 1919 beschrieb der Soziologe Max Weber die Entscheidung junger Menschen für eine Karriere in der Wissenschaft als großes persönliches Risiko: „Denn es ist außerordentlich gewagt für einen jungen Gelehrten, der keinerlei Vermögen hat, überhaupt den Bedingungen der akademischen Laufbahn sich auszusetzen. Er muss es mindestens eine Anzahl Jahre aushalten können, ohne irgendwie zu wissen, ob er nachher die Chancen hat, einzurücken in eine Stellung, die für den Unterhalt ausreicht.“ Heute, ungezählte Hochschulreformen später und 90 Jahre nach Webers berühmtem Vortrag zu „Wissenschaft als Beruf“, hat sich an diesem problematischen Umgang mit jungen Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern der Wissenschaft nicht viel geändert.

Die Situation des so genannten Nachwuchses in Deutschland ist immer noch gekennzeichnet durch große Unsicherheit, durch strukturell bedingte Karrieresackgassen für viele und Chancen auf die begehrte selbständige Hochschullehrertätigkeit für ganz wenige. In Zahlen ausgedrückt: Nur ein Fünftel des Personals an Hochschulen ist dauerbeschäftigt, Tendenz fallend. 80 Prozent hingegen haben entweder befristete Verträge oder als Lehrbeauftragte überhaupt keine verbindliche Vereinbarung über ihre Tätigkeit. Die Aussicht auf eine Dauerstelle und damit die Möglichkeit eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit ist für die überwiegende Mehrheit unserer Nachwuchswissenschaftler und - wissenschaftlerinnen nicht mehr als eine vage Hoffnung.

Nur 26 Prozent gaben in einer aktuellen Studie der HIS-GmbH an, dass sie die Planbarkeit ihrer Laufbahn gut oder sehr gut einschätzen. Lediglich ein Prozent mehr bewerteten die Aufstiegsmöglichkeiten positiv. Diese hermetischen Strukturen machen Deutschlands Wissenschaftslandschaft so unattraktiv für junge Menschen, noch stärker für Frauen als für Männer. Andere Länder bieten da weit bessere Aussichten: In Großbritannien sind zwei Drittel der Wissenschaftlerstellen unbefristet, in Frankreich sogar drei Viertel. Selbst die „Hire and fire“-Mentalität an amerikanischen Hochschulen erlaubt einen Dauerstellenanteil von mehr als 50 Prozent. Der „Braindrain“, die Entscheidung zum Gang ins Ausland ist nur allzu verständlich, wenn das deutsche System vor allem die Aussicht auf den Ausstieg aus der Wissenschaft bietet. Vor diesem Ausstieg steht zumeist der Versuch, sich von Befristung zu Befristung zu hangeln. Durch den steigenden Anteil der Drittmittelfinanzierung an Hochschulen finden viele hier zeitweise Beschäftigungsmöglichkeiten.

Der Anteil der befristeten Mitarbeiterstellen, die durch Drittmittel finanziert werden, ist von 36,2 Prozent im Jahr 1995 auf 43,7 Prozent im Jahr 2007 gestiegen. Personalräte aus Universitäten berichteten auf einer Konferenz an der TU Berlin zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses von der einreißenden Sitte, Wochenverträge für Drittmittelbeschäftigte auszuschreiben. Ich wiederhole: Wochenverträge! Eine Debatte über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirkt angesichts solcher Realität wie eine Farce. Wenn von der LINKEN, aber auch von Gewerkschaften, Hochschulexperten und dem Deutschen Hochschulverband mehr Dauerstellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefordert werden, geht es nicht nur um den berechtigten Wunsch Höchstqualifizierter nach besserer sozialer Absicherung und selbstbestimmter Lebensplanung: Kreativität und wissenschaftliche Leistung müssen reale Chancen auf Verwirklichung bekommen. Dafür braucht der akademische Nachwuchs in seiner innovativsten Lebensphase Bedingungen, unter denen selbständig geforscht und gelehrt werden kann.

In der derzeitigen Struktur sind fast alle, die es nicht auf eine der wenigen Hochschullehrerstellen geschafft haben, eng an einen Mentor, selten an eine Mentorin, gefesselt. Sie vertreten diese in der Lehre, nehmen Prüfungen ab, organisieren Konferenzen, arbeiten Drittmittelanträge und Forschungstexte zu. Empirische Untersuchungen, etwa die so genannte Mittelbaustudie der TU Berlin, zeigen eindringlich, dass neben der Arbeitsbelastung am Lehrstuhl häufig kaum Zeit bleibt, die eigene Karriere, die eigene Qualifikation weiter zu verfolgen. Schätzungen gehen davon aus, dass die Hälfte der Promotionen abgebrochen werden. Die Datenlage dazu ist übrigens absolut unbefriedigend. Der wissenschaftliche Mittelbau spielt auch in der Debatte um die Qualität der Lehre eine entscheidende Rolle, die mit der Umstellung auf gestufte und modularisierte Studiengänge noch gewachsen ist. Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen einen großen Teil der Lehrverpflichtung, ohne dass die Frage der Qualität ihrer Veranstaltungen ihnen einen Vorteil bei der eigenen Karriere verschaffen würde. Angesichts der beschriebenen Misere werden zumeist und völlig zu Recht die Länder in Haftung genommen: sie sind - auf eigenen Wunsch - für die Finanzierung der Hochschulen zuständig und haben überwiegend auch die entsprechende Gesetzgebung in der Hand. Doch der Bund kann nicht aus der Verantwortung entlassen werden.

Die Exzellenzinitiative, deren Fortsetzung gerade beschlossen wurde, verstärkt die Tendenz, dass unbefristete Stellen verstärkt durch befristete ersetzt werden. Auf den ständigen Wettbewerbsdruck samt aufwändiger Antragsverfahren und die jeweils auf höchstens fünf Jahre befristeten Projekte reagieren die Universitäten mit Flexibilisierung ihrer Personal- und Stellenplanung. Das ist jedoch nur in den Kategorien unterhalb der Professur möglich. Die wenigen noch unbefristeten, nichtprofessoralen Stellen, etwa Hochschuldozenten, fallen in diesem Zuge weg: kamen im Jahr 2000 nur 3,6 befristete Mittelbaustellen auf eine unbefristete, sind es aktuell mehr als fünf. Zudem führt das um sich greifende Antragswesen in Peer-Review-Verfahren dazu, dass die Reputation der Antragstellenden eine entscheidende Rolle bei der Begutachtung spielt. Ohne Mentor oder seltener Mentorin, der bzw. die einen guten Namen gibt und Einfluss geltend macht, bekommt kaum ein Nachwuchswissenschaftler Drittmittel bewilligt. Auch dies führt zu verschärfter Abhängigkeit in Zeiten der Exzellenzrhetorik. Wer die durch den Elitewettbewerb geschaffenen 4200 Stellen feiert, muss ehrlicherweise zugeben, dass es sich weniger um Sprungbretter, als vielmehr um Schleudersitze handeln kann. Verlässliche Strukturplanungen und nachhaltige Beschäftigungsperspektive sind mit den befristeten Drittmitteln nicht zu erreichen. Die unkritische Begeisterung über die Exzellenzinitiative, auch niedergelegt im Antrag der Koalition zum Thema Nachwuchsförderung, zeigt, dass diese Koalition samt ihrer Forschungsministerin beim Thema Nachwuchsförderung leider nicht in die Rolle der Problemlöserin gekommen ist. Das im Antrag erwähnte Portal KISSWIN, das Informationen über Karriere- und Fördermöglichkeiten anbietet, ist sicher eine sinnvolle Initiative.

Auch den durch das BMBF in Auftrag gegebenen „Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ können wir nur loben. Es wäre jedoch ausgesprochen vernünftig gewesen, wenn Koalition und Ministerin den dort vollzogenen Analysen der strukturellen Probleme durch konstruktive Lösungsvorschläge entsprochen hätte. Denn diese sind längst erarbeitet. Immerhin böte die Umsetzung des Hochschulpaktes II auch für den Bund Einflussmöglichkeiten.

Zuerst benötigen die Hochschulpakte umgehend eine nachhaltige finanzielle Grundlage. Die Länder brauchen Planungssicherheit. Nur so kann diese weiterführend dann auch den Hochschulen gewährt werden. Es muss endlich die Praxis beendet werden, befristete Nachwuchsstellen zur Verschiebemasse zu degradieren. Flexibilität und Mobilität wurden ja wohl eindeutig anders begründet als mit Haushaltsnotwendigkeiten. Stattdessen sind Promotions- bzw. Qualifizierungsvereinbarungen abzuschließen.

Integriert werden müssen Elemente der persönlichen Kompetenzentwicklung durch spezifische Weiterbildungsangebote zu Lehrbefähigung, Sprachen, Zeitmanagement, Teambildung- und führung, IT-Wissen, Vernetzung, Genderansätzen und Interdisziplinarität. Ohne Zweifel ist es an der Zeit, neben der Zahl der Studienanfängerplätze auch weitere Kriterien zur Studienqualität in den Pakt zu integrieren. So etwa die Senkung von Abbrecherquoten und die Zahl von Absolventinnen und Absolventen. Dadurch würden Lehre und Wertschätzung der Arbeit des wissenschaftlichen Mittelbaus verbessert. Grundsätzlich müssen jedoch Gesetzgebung, Tarifrecht und Förderlandschaft auf ein neues Modell von „Wissenschaft als Beruf“ auch neben der Professur eingestellt werden. Wissenschaft ist danach als kollektiver Prozess zu behandeln. Planbarkeit, Transparenz und Durchlässigkeit werden damit zu Leitmotiven akademischer Personalpolitik.

Der Bund muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz überarbeiten. Die Tarifsperre ist abzuschaffen und die Befristungsmöglichkeiten für Drittmittelbeschäftigte sind wieder zu begrenzen. Wir brauchen einen flächendeckenden Wissenschaftstarifvertrag, der die soziale Absicherung des akademischen Mittelbaus zum Ziel hat und die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf ermöglicht.

Der Vertrag sollte auch Tarifregelungen für Privatdozentinnen und Lehrbeauftragte enthalten. Qualifikationsformen, welche die frühe Selbständigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie eine Beschleunigung ihrer Karriere zum Ziel haben, müssen durch den Bund stärker gefördert werden. Das kann durch ein Aufstocken und Reformieren der bekannten DFG-Programme wie >Eigene Stelle< oder Heisenberg-Professur geschehen, reicht aber nicht aus. Vielmehr ist ein neues Programm zur Unterstützung der Juniorprofessur. Zudem sollte der Wissenschaftsrat, aber auch die DFG über innovative Anreize und Förderungen zur Einrichtung und Besetzung neuer Dauerstellen im Mittelbau nachdenken.

Alle befristeten Qualifikationswege sollten mit einer Tenure-Track-Option ausgestattet werden. Nach positiver Bewertung soll es eine verlässliche Chance auf eine dauerhafte Hochschullehrerstelle geben. Weitere notwendige Maßnahmen beinhaltet nicht nur unser Antrag, sondern auch der Bericht der Bundesregierung selbst. Die Prioritätensetzung steht grundsätzlich zur Debatte: Soll das Wissenschaftssystem an der Basis gestärkt werden oder wollen Bundesregierung und FDP auch weiterhin vor allem um professorale Spitzengehälter und einen Markt für elitäre Spitzenwissenschaftler kämpfen? Der große Soziologe Max Weber hätte sich wohl für ersteres entschieden.