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"Wirtschaftliche Macht begrenzen" gilt auch bei Fahrgastrechten

Rede von Herbert Behrens,

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.

Anrede,
Flug XY 1278 Larnaca/Zypern nach Hamburg 10 Stunden Verspätung
Entnervtes Warten in der Flughalle, kein Ort zum Ausruhen oder sich ordentlich frisch zu machen. Nach fünf Stunden wandern die starken Raucher auf Entzug umher und nach sechs Stunden beginnen die Verteilungskämpfe unter den Wartenden um die wenigen Steckdosen, weil unterdessen alle ungeladene Gameboys, Laptops und Handys in den Händen haben. Eine Horrorvorstellung für den jeden Flugreisenden.
Fehlendes Gepäck, verpasste Anschlüsse oder die Landung nicht auf dem Zielflughafen, sondern irgendwo anders – das ist nichts Ungewöhnliches im Flugverkehr heute. Für die Betroffenen bedeutet das Stress und Ärger pur. Das kann man mit Geld nicht ausgleichen. Den entstandenen materiellen Schaden aber schon.
Verspätet sich ein Flug um mehr als drei Stunden, haben die Reisenden einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Das sagt der Europäische Gerichtshof (EuGH). Diese Ausgleichszahlung in der Praxis aber durchzusetzen, ist gar nicht mal so einfach.
Ein Beispiel: Am 9. November 2009 verspätet sich der Abflug eben jener Maschine von Zypern nach Hamburg um zehn Stunden. Zwei Betroffene fordern von der Fluggesellschaft eine Ausgleichzahlung und berufen sich auf das Urteil des Gerichtshofs. Ende Dezember bietet die Fluggesellschaft eine Erstattung von zehn Prozent des Nettoflugpreises an – das wären 19,80 Euro gewesen – oder einen Reisegutschein in Höhe von 35 Euro. Am Ende hilft den Betroffenen nur die Androhung einer Klage, um ihr Recht durchzusetzen. Ende März 2011 ist es dann endlich geschafft: Die Fluggesellschaft zahlt den beiden Betroffenen jeweils 400 Euro Ausgleichszahlung.
Diese Reise dauerte eineinhalb Jahre. Andere hätten schon längst entnervt und enttäuscht aufgegeben und auf ihr Recht verzichtet. Das ist unzumutbar für die Betroffenen. Das muss geändert werden.

Für Bahnreisende, aber auch für Menschen, die bei einer Bus- oder Schiffsreise Nachteile hinnehmen mussten, ist das einfacher. Seit Ende 2009 können sich an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr wenden. Diese Stelle arbeitet mit großem Erfolg im Interesse der Reisenden, wie auch vorher schon die Schlichtungsstelle Mobilität beim VCD. Die Luftverkehrsunternehmen aber verweigern die Beteiligung an dieser Schlichtungsstelle. Nach dem Motto „Wir wollen doch mal sehen, wer am längeren Hebel sitzt“ missbrauchen sie ihre wirtschaftliche Macht, um berechtigte Kundenansprüche abzuwimmeln.
Mit dieser Position haben die Luftverkehrsunternehmen schon 2009 die damalige SPD-Justizministerin Zypries bezwungen, als sie die Schlichtungsstelle nicht anerkannten. Und sie setzen sich offenbar wieder einmal bei der Bundesregierung durch.
Entgegen Ihrer eigenen Beschlusslage, meine Damen und Herren der Koalition, stärken Sie nicht die Rechte von Fluggästen, sondern die der Fluggesellschaften. In Ihrem Koalitionsvertrag von 2009 heißt es: „Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert.“ Noch im Juli 2010 hat Frau Ministerin Aigner angekündigt, dass sich Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr beteiligen sollen.
Aber die Ministerin kuscht. Jetzt macht sich die Bundesregierung die Forderung der Fluggesellschaften zu eigen und will eine Schlichtungsstelle Flugverkehr einrichten, an der sich die Unternehmen nach eigener Entscheidung anschließen oder auch nicht.
Auch Verkehrsminister Ramsauer will keine Regelung, die nicht den Segen der Luftverkehrsunternehmen erhalten hat. Das ist keine Politik für die Interessen der Reisenden, das ist Klientelpolitik, wie wir sie von der Bundesregierung kennen. DIE LINKE will wirtschaftliche Macht beschränken, wo sie sich gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger richtet.
Der Fluggast ist gegenüber dem Unternehmen eindeutig in der schwächeren Position. Darum ist es unsere Pflicht, ihn zu stärken, damit er sein Recht durchsetzen kann. DIE LINKE fordert, die Luftfahrtunternehmen gesetzlich zur Beteiligung an der Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger zu verpflichten und die Unabhängigkeit der Stelle sicherzustellen.
Die Streitschlichtung muss durch Gebühren der Fluggesellschaften finanziert werden. Das hatten wir bereits mit unsrem Antrag zum Thema im Juni 2010 gefordert.
Es ist gerechte Politik, den Schwächeren zu stärken und den Starken zu begrenzen. Nur so werden wir eine wirklich demokratische Gesellschaft aufbauen können.