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Wir müssen in die Zukunft der Kultur investieren

Rede von Lukrezia Jochimsen,

So kann man sich irren: Als die Kanzlerin gleich zu Beginn ihrer Rede heute Morgen sagte, wir müssten die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise überwinden, dachte ich, jetzt komme eine Passage zur Situation der Kultur und Kulturschaffenden in unserem Land. Sie kennt doch die Hilferufe der Oberbürgermeister, der Theater, der Museen, der Bibliotheken und der Kunsthäuser überall in unserem Land, und sie kennt auch die Analysen der Zeitungen: Vom großen „Kahlschlag“ schrieb die Zeit vor zwei Wochen, vom „Spar-Tsunami“ der Spiegel. Aber kein Wort davon; dafür das Schlagwort „Leistung muss sich wieder lohnen“. Dies sagen Sie einmal Kunst- und Kulturschaffenden in unserem Land,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


etwa Schauspielern und Musikern. Die Kollegin, die neu im Bundestag ist, hat die Situation dankenswerterweise schon beschrieben: hochqualifizierte Leute, die Tag und Nacht an ihren Projekten arbeiten und, wenn es hochkommt, vielleicht 11 000 Euro im Jahr verdienen, davon keine Sozialversicherung zahlen können und nichts fürs Alter sparen können. Leistung soll sich wieder lohnen? Ja, bitte, gerade im Bereich der Kultur!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber kein Wort, kein Satz, keine Vorstellungen, wie hier ein jetzt zusammenbrechendes System erhalten und gerettet werden kann.
”Geldmangel ist ein mit Verzögerung wirkendes Gift. Wenn es sich bemerkbar macht, ist es für die betroffenen Personen und Institutionen oft zu spät, die Reserven sind aufgebraucht, die Bestände nicht mehr zu retten.”
Das schrieb Andreas Kilb vor einigen Tagen in der FAZ. Das Gift Geldmangel wird in der Kultur epidemische Formen annehmen, wenn jetzt nicht sofort entgegengewirkt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist ja bekannt, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung von privatwirtschaftlichen Unternehmen nach Krisen in der Regel stabilisiert. Dies aber gilt nicht für verlorene Kunst und aufgegebene kulturelle Infrastruktur. Deshalb fordern wir ein sofortiges Investitionsprogramm für die kulturelle Infrastruktur in diesem Land, einen „Zukunftsfonds Kultur“.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht nicht nur darum, Herr Staatsminister, dass wir die Kultur schonen, wir müssen aus dieser Situation heraus jetzt offensiv etwas für die Kultur tun, wir müssen in deren Zukunft investieren.
Beim Expertengespräch des Ausschusses für Kultur und Medien im März dieses Jahres hat Klaus Hebborn vom Deutschen Städtetag bereits einen bedenkenswerten Vorschlag zur Finanzierung eines solchen Fonds gemacht. Er stellte fest:
”Wenn die öffentlichen Hände an der Abfinanzierung der in den Bankensektor fließenden Mittel nur nachrangig beteiligt würden, wäre für die Kultur viel gewonnen.”
Sie wissen: In der Kultur schafft wenig viel, Investitionen haben Schubkraft, siehe Filmförderung. Deshalb: Setzen Sie um, was Sie uns stets mit schönen Worten verkünden: Kulturförderung ist eine Investition in die Zukunft. Die nachfolgenden Generationen sind darauf angewiesen.
Bei einem zweiten Thema habe ich mich sehr geirrt. Ich war fest davon überzeugt, dass in der Koalitionsvereinbarung im Kapitel Kultur das Postulat „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ und die Ankündigung, diesen Satz so schnell wie möglich als Gesetz zur Abstimmung zu stellen, enthalten sein würden, damit endlich das Staatsziel Kultur im Grundgesetz verankert wäre.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe noch den flammenden Appell von Guido Westerwelle in den Ohren, den er am 19. Juni dieses Jahres hier an uns alle gerichtet hat.
”In Wahrheit geht es darum, dass Deutschland eine Kulturnation ist. … Eine Kulturnation sollte sich in ihrer eigenen Verfassung dazu bekennen, dass sie es ist.”
Wie wahr! Auch der nächste Satz ist richtig:
”… da die Kultur in Deutschland in Konkurrenz steht zu anderen wichtigen Rechtsgütern, müssen wir dafür sorgen, dass die Kultur nicht den Kürzeren zieht, nur weil sie keinen Verfassungsrang hat.”
Dem ist nicht zu widersprechen. Dem ist auch nichts hinzuzufügen. Es bleibt die Frage: Wo ist das Staatsziel Kultur geblieben? Es scheint auf der Strecke geblieben zu sein zwischen der FDP-Opposition im Juni und der FDP-Mitregierung im November. Schade, Herr Vizekanzler.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)