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Wir brauchen Investitionen in die Zukunft Europas

Rede von Gesine Lötzsch,

Rede zum EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 16/17.12.2010

Vielen Dank. ‑ Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, Frau Merkel, eilen von einem Großbrand zum nächsten und wollen den Eindruck erwecken, dass Sie alles im Griff haben. Die Wahrheit aber ist, dass zahlreiche Brandherde weiter schwelen und es nur eine Frage der Zeit ist, wann sie wieder auflodern. Sie aber wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, nach den Brandursachen zu suchen, und sind auch nicht bereit, die Brandstifter so zur Verantwortung zu ziehen, dass sie nie wieder in die Versuchung kommen, ein neues Feuer zu legen. (Beifall bei der LINKEN) Frau Merkel, Sie sehen eine Ursache für diese Krise in den überschuldeten Haushalten der Euro-Länder und fordern deshalb einen eisernen Sparkurs. Das klingt für den einen oder anderen CDU-Wähler ganz gut; doch es hat dramatische Folgen für ganz Europa. Wir erinnern uns: Sie wollten die Wahlen in Nordrhein-Westfalen gewinnen und Rot-Rot-Grün verhindern. Darum hatten Sie ein so brutales Kürzungspaket für Griechenland geschnürt, dass selbst der beinharte IWF-Chef Strauss-Kahn Bedenken anmeldete. Sie wussten doch, dass die Griechen diese Auflagen niemals erfüllen konnten. Trotzdem haben Sie von ihren ökonomisch unsinnigen Forderungen nicht abgelassen. Das Ergebnis war vorhersehbar: Griechenland befindet sich in der heftigsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg und wird seine Schulden auf absehbare Zeit nicht zurückzahlen können. Das Beispiel Griechenland hat Sie aber nicht bewegen können, Ihre falsche und kostspielige Strategie zu ändern. Auch Irland, Spanien und Portugal haben Sie eine entsprechende Rosskur verschrieben. Können Sie aus Ihren Fehlern nicht lernen, oder verfolgen Sie ganz andere Ziele, Frau Merkel? Es geht Ihnen doch gar nicht um ein gemeinsames, friedliches Europa; es geht Ihnen vielmehr um die Rettung der Anlagen der deutschen Banken in diesen Ländern. (Beifall bei der LINKEN ‑ Zuruf von der FDP: Ach so!) Deutsche Banken haben allein in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien 318 Milliarden Euro investiert. Diese Milliarden wollen die deutschen Banken ohne Verluste und hochverzinst zurückhaben. Das erwarten sie von Ihnen. Frau Merkel, Sie müssen uns endlich sagen, in wessen Auftrag Sie am Donnerstag eigentlich verhandeln: Verhandeln Sie im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger oder im Auftrag dieser deutschen Banken? (Beifall bei der LINKEN) Für beide gleichzeitig können Sie nämlich nicht verhandeln, weil die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik nicht im Ansatz mit den Interessen der deutschen Banken deckungsgleich sind. (Beifall bei der LINKEN) Die Ursache der Euro-Krise sind nicht überschuldete nationale Haushalte, sondern ist das schnelle ökonomische Auseinanderdriften der Volkswirtschaften in der Euro-Zone. Die Agenda 2010 hat diesen Prozess noch dramatisch beschleunigt. Ich will Ihnen das einmal an einem aktuellen Beispiel deutlich machen: In den französischen und dänischen Schlachthöfen werden Mindestlöhne gezahlt ‑ in deutschen Schlachthöfen nicht. (Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Frau Lötzsch Seit‘ an Seit‘! Es wächst zusammen, was zusammengehört! Das hat schon Herr Kubicki erkannt!)) Das hat dazu geführt, dass Schlachthöfe in Dänemark schließen mussten und die französischen Arbeitgeber von der EU fordern, in Deutschland auf Mindestlöhne zu drängen. Die Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes bringt alle anderen europäischen Länder, die gerechte Löhne zahlen, in größte Schwierigkeiten. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!) Es sind also nicht nur die Hochtechnologien, die zu einem deutschen Exportüberschuss führen ‑ um mit dieser Legende einmal aufzuräumen ‑, sondern es ist auch der unfaire Wettbewerb um die niedrigsten Löhne, den die Bundesregierung den anderen Volkswirtschaften aufzwingt. Das muss endlich ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN) Eine andere Ursache der Euro-Krise liegt in der Fehlkonstruktion des Euro selbst. Waren die Väter des Euro wirklich so naiv, zu glauben, dass allein die Währung in der Lage sei, diesen unterschiedlichen Volkswirtschaften Europas eine gemeinsame Basis zu geben? Ich sage Ihnen: Die Einführung des Euro, wie sie damals geschehen ist, war eine Einladung zum Schuldenmachen. Mit dem Euro in der Hand konnten auch schwache Volkswirtschaften zu niedrigen Zinsen Kredite aufnehmen und sehr zur Freude deutscher Exporteure in Deutschland auf Shoppingtour gehen. Das ist nämlich die Wahrheit. (Beifall bei der LINKEN) Was wir jetzt brauchen, sind Investitionen in die Zukunft Europas. Selbst das regierungsfreundliche Handelsblatt fordert jetzt ein europäisches Konjunkturprogramm von 347 Milliarden Euro, um aus dieser schweren Krise herauszukommen. (Volker Kauder (CDU/CSU): Waren das nicht 346 Milliarden Euro?) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fordert eine einmalige Vermögensabgabe zur Sanierung unserer Haushalte. Doch ich sage Ihnen: Jedes Konjunkturprogramm ist für die Katz, wenn wir nicht endlich die Finanzmärkte wirksam regulieren. (Beifall bei der LINKEN ‑ Zurufe von der FDP) Es ist doch sinnlos, wenn wir die öffentlichen Haushalte nur sanieren, damit wir wieder die Kosten der nächsten Finanzkrise übernehmen können. Es ist für mich völlig unbegreiflich, dass es die Bundesregierung seit zwei Jahren nicht geschafft hat, für eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte zu sorgen. Neuerdings, Frau Merkel, fordern Sie ja auch die privaten Anleger auf, ein Risiko mitzutragen. Einverstanden. Aber warum fangen Sie nicht gleich bei den deutschen Banken an? Worauf warten Sie noch? (Beifall bei der LINKEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Die sind offenbar die Schlimmsten, was?) Die Linke fordert eine Finanztransaktionsteuer und eine wirksame Kontrolle der Finanzmärkte. Wer eine Währung ohne eine abgestimmte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einführt, der handelt unglaublich verantwortungslos. (Beifall bei der LINKEN) Es ist doch völlig absurd, in der Europäischen Union eine Konkurrenz um die niedrigsten Unternehmensteuern überhaupt zuzulassen. Noch absurder ist es, dass Irland EU-Hilfen bekommt, ohne dass eine Anhebung der unanständig niedrigen Unternehmensteuern vereinbart wurde. So werden die Dinge nie in Ordnung gebracht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Wir als Linke sind der Auffassung, dass der Euro nur gerettet werden kann, wenn die Finanzmärkte streng kontrolliert und reguliert werden und endlich eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik vertraglich vereinbart wird. Euro-Bonds oder der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank sind im Rahmen einer Rettungsaktion als Übergangslösung wichtig. Eine grundsätzliche Revision des Lissabonner Vertrages ersetzen sie allerdings nicht. (Beifall bei der LINKEN) Frau Bundeskanzlerin, überdenken Sie Ihre Rolle in Europa! Bringen Sie unser Land nicht weiter in Verruf! Suchen Sie nach gemeinsamen Lösungen, die Europa stärken und nicht in Stücke reißen! Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)