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Whistleblower schützen!

Rede von Karin Binder,

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Whistleblower informieren die Öffentlichkeit über ungesetzliches Handeln in Unternehmen und Behörden. Sie decken Gammelfleisch-Skandale auf oder machen Steuerbetrug bekannt. Sie machen auf Behördenwillkür oder unhaltbare Zustände in Pflegeheimen aufmerksam. Statt den Mut dieser Menschen anzuerkennen, werden sie in der Regel gnadenlos gejagt.

Es geht um Menschen, die persönliche Nachteile in Kauf nehmen, wenn sie sich für das Gemeinwohl einsetzen. Es geht um Zivilcourage. Das ist ein schöner Begriff, der in Sonntagsreden auch hier im Bundestag gern Verwendung findet. Wenn es aber darauf ankommt, diese Menschen zu unterstützen, wird jedoch weggesehen und geschwiegen. Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion beschimpfen sie sogar als Denunzianten und Blockwarte. Was für ein abstoßenden Menschenbild hat die angeblich christliche Union eigentlich?

So ist es kein Wunder, dass in dieser Wahlperiode kein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern mehr verabschiedet wird. Die internationale Verpflichtung der G20-Staaten, bis Ende 2012 Regelungen zum gesetzlichen Schutz von Whistleblowern einzuführen und umzusetzen, hat Deutschland damit nicht umgesetzt. Man sei völkerrechtlich nicht daran gebunden, heißt es aus Kreisen der Bundesregierung. Ich frage: Welchen Sinn macht es dann, an den G-20-Beratungen teilzunehmen?

Die Lage der Menschen, die zum Wohle der Gesellschaft wichtige Informationen öffentlich machen, ist durchweg schlecht. Sie verlieren ihren Arbeitsplatz und oft die finanzielle Existenzgrundlage. Sie werden gemobbt, mit Drohungen, Klagen oder anderen willkürlichen Vergeltungsmaßnahmen überzogen. All das billigt die Bundesregierung bewusst.

Die Altenpflegerin Brigitte Heinisch hat unhaltbare und teils menschenverachtende Zustände in einem Pflegeheim aufgedeckt. Dafür bezahlte sie mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und musste in einem siebenjährigen Rechtsstreit bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, um Recht und eine kleine Entschädigung zu bekommen.

Inge Hannemann, Mitarbeiterin im Jobcenter Hamburg wurde im April dieses Jahres vom Dienst „freigestellt“. Sie hatte die menschenunwürdige Sanktionspraxis der Arbeitsagentur gegenüber Hartz-IV-Beziehern angeprangert. In einem Gespräch mit unserer Fraktion spricht sie offen über eine „Sanktionsquote“, die von der Behörde vorgegeben wurde. Das muss man sich einmal vorstellen: Der Staat macht Vorgaben zum drangsalieren von hilfsbedürftigen Menschen.

Als weiteres tragisches Beispiel von Whistleblowing muss man wohl den Fall Gustl Mollath bezeichnen. Seine Hinweise auf umfänglichen Steuerbetrug haben ihn in die Psychatrie gebracht und einige Jahre Freiheit gekostet.

DIE LINKE sagt: Whistleblowing muss endlich gesellschaftliche Anerkennung und gesetzlichen Schutz erfahren. Solange verantwortliche PolitikerInnen der Regierungskoalition diese mutigen Menschen als Denunzianten beschimpfen und im Nazi-Jargon als Blockwarte diffamieren, wirkt Zivilcourage existenzgefährdend. Die oben genannten Beispiele zeigen: wer sich für die Gesellschaft stark macht und Missstände in Betrieben und Behörden aufdeckt, muss damit rechnen, mit Billigung und Unterstützung des Staates ins Abseits gestellt zu werden. Das ist ein Skandal.

DIE LINKE fordert ein eigenständiges Gesetz zum Schutz von Whistleblowern und den Aufbau einer und unterstützenden und unabhängigen Einrichtung als Anlaufstelle für Whistleblower. Diese soll beraten und sich um die Durchsetzung der Rechte von Hinweisgebern kümmern. Die bisher auf Richterrecht beruhende Abwägung im Einzelfall führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und trägt nicht dazu bei, dass Beschäftigte sich kritisch mit Missständen auseinandersetzen.

Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber müssen frei zwischen interner und behördlicher Offenlegung ihres Wissens wählen können. Sonst werden unseriöse Unternehmen und behördliche Heimlichkeiten statt der Whistleblower geschützt. Hinweisgeber müssen das Recht haben, sich jederzeit an die Öffentlichkeit oder eine Ombudsstelle zu wenden, wenn die Warnungen intern oder gegenüber der Behörde erfolglos geblieben sind oder es sich um eine Notfallsituation handelt. Ein echtes Schutzgesetz muss die gutgläubige Weitergabe von Informationen schützen.

DIE LINKE fordert, dass alle Hinweisgeber vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt werden. Das schließt Beamte,  Angehörige der Streitkräfte und der Geheimdienste  ein.  Wir wollen vermeiden, dass es auch in Deutschland Fälle wie die des Soldaten Bradley Maning oder des Geheimnisverrats beschuldigten IT-Technikers Edward Snowden geben wird. Diese beiden jungen Männer hatten die Courage sich mit dem US-amerikanischen Militär und dem Geheimdienst anzulegen, indem sie ungeheuerliche Verletzungen der Menschenrechte und Grundrechte öffentlich gemacht haben. Bradley Maning muss nach amerikanischem Militärrecht sogar mit der Todesstrafe rechnen. Deshalb fordere ich Sie alle auf, sich beim US-Präsidenten Barak Obama für die Freilassung und Rehabilitierung dieser beiden jungen Männer einzusetzen.

Geschützt werden müssen auch Personen außerhalb klassischer Arbeitsverhältnisse wie z. B. unabhängige Beraterinnen und Berater, Auftragnehmerinnen und Auftragnehmer, Praktikantinnen und Praktikanten, ehrenamtliche MitarbeiterInnen, vorübergehend Beschäftigte, Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Arbeitssuchende.

Deshalb fordert DIE LINKE ein Whistleblowerschutzgesetz. Machen Sie Ernst mit der Stärkung von Zivilcourage und gesellschaftlicher Verantwortung.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.