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Weniger Wissen dank Bürokratieabbau

Rede von Herbert Schui,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Normenkontrollrat empfiehlt, so der Jahresbericht, ein 25-Prozent-Abbauziel als Nettoziel zu definieren, und das durch weniger gesetzliche Informationspflichten.
Wenn man sich die Sache durch den Kopf gehen lässt, findet man heraus: So kann man es nicht anpacken; denn wir wissen ja nicht, welche Informationen unter den Tisch fallen, wenn dieses 25-Prozent-Nettoziel erreicht wird. Der ganze Ansatz taugt von der Methode her also nicht. Das Parlament und die Forschung, die auf die Erhebung solcher Daten angewiesen sind, müssen bestimmen, was sie benötigen, damit das Parlament zu ordentlichen, fundierten Beschlüssen und die Forschung zu guten Forschungsergebnissen kommen können. Erst wenn das festgelegt ist, kann man sagen, welche Daten vernünftigerweise nicht mehr erhoben werden sollten. So herum kann es funktionieren, andersherum kann es nicht funktionieren.
Wir müssen stets rasch und genau wissen, wie hoch die Beschäftigung ist, was mit dem Wirtschaftswachstum ist, wie viele Leute sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, wie hoch die Rente, die auf dieser Grundlage berechnet wird, sein wird usw. Das ist außerordentlich notwendig. Bei der Reform muss diese Zuverlässigkeit gewährleistet sein, damit das Parlament nicht in den blauen Dunst hinein Gesetze macht. Das Parlament muss sich über diese Dinge klar sein. Das Parlament kann das festlegen. Forscher, die in diesem Bereich tätig sind, sind ebenfalls aufgerufen, Vorschläge zu machen. Bei aller Hochachtung gegenüber den Honoratioren im Rat habe ich die Vermutung, dass sie von den Dingen, um die es geht, viel zu wenig wissen.
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh!)
Lässt man den Rat und die Regierung machen, dann werden wir erst im nächsten Jahr wissen, was in diesem Jahr tatsächlich los gewesen ist. Das Statistische Bundesamt spricht von einem Fehler von plus oder minus 0,5 Prozentpunkten bei statistischen Erhebungen. Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Berichtspflicht von Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten stark eingeschränkt worden ist.
Um ein Beispiel zu nennen: Im zweiten Quartal 2006 hat das Statistische Bundesamt Folgendes veröffentlicht: Die Wirtschaft ist im ersten Quartal 2006 im Vergleich zum ersten Quartal 2005 um 2,88 Prozent gewachsen. Diesen Wert hat das Amt fünfmal korrigiert. Erst 18 Monate später konnte das Amt den exakten Wert angeben, nämlich 3,41 Prozent.

Solche groben Ungenauigkeiten erschweren zutreffende Prognosen, und vor allen Dingen - das gilt für die Fraktion der CDU/CSU und alle, die die Kanzlerin gewählt haben - ist wichtig, dass die zuerst veröffentlichten Daten von der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen werden. Anders ausgedrückt: Um wie viel glanzvoller hätte die Aufschwungkanzlerin dagestanden, wenn schon im Sommer 2006 0,53 Prozent mehr Wachstum publiziert worden wäre?
(Otto Fricke [FDP]: Sie hätten das besser gefunden?)
- Ja, selbstverständlich. Ich hätte mich mit Ihnen gefreut, klar doch.
(Otto Fricke [FDP]: Sie hätten dann noch mehr Geld ausgegeben?)
- Nein, ich glaube, Sie haben kein Verständnis für Ironie. Wir können uns darüber bei Gelegenheit bei einem Kaffee unterhalten.
(Heiterkeit bei der LINKEN)
Im Ernst: Wenn das Parlament richtige Wirtschaftspolitik beschließen will, braucht es richtige Zahlen. Aber nicht nur das: Wir brauchen eine effiziente und wirtschaftliche Verwaltung.
Ich nenne zwei Beispiele.
Erstes Beispiel: Die Finanzverwaltung arbeitet nicht effizient. Die Steuerhinterziehung ist entschieden zu hoch. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass sich daran im Rahmen der Föderalismusreform etwas ändern wird.
Zweites Beispiel: Zum ALG II gibt es ellenlange Formulare, ewig langes Warten und schließlich falsche Bescheide, sodass die Klagen bei den Gerichten zunehmen. Auch das ist keine effiziente Verwaltung. Kann die Verwaltung den ALG-II-Empfängern nicht zumindest das Wenige, das ihnen zusteht, richtig zahlen?
(Beifall bei der LINKEN)
Was kostet eine schnelle Information? Diese 790 Millionen Euro, die eingespart wurden, bedeuten für jedes Unternehmen - für die kleinen weniger, für die großen mehr - 19 Euro im Monat. Das ist nicht viel.
Der Aufschwung - das ist meine letzte Bemerkung - kommt ja unten an, aber nicht so, wie Sie meinen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von eindreiviertel Prozent voraus. Es ist außerordentlich wahrscheinlich, dass diese Prognose weiter nach unten revidiert werden muss. Dort kommt der Aufschwung also an. Wenn ich die Bürokratie abgebaut und zu wenig Informationen habe, dann macht mich nicht heiß, was ich nicht weiß.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Schui, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dr. Herbert Schui (DIE LINKE):
Ja. - Das wird wahrscheinlich zum Ergebnis haben, dass die Kanzlerin in der Aufschwungsonne noch glänzen will - die Informationen werden zu spät veröffentlicht -, wenn der Aufschwung längst vorbei ist.
(Dr. Rainer Wend [SPD]: Jetzt hat er uns enttarnt!)
- Ja.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Gitta Connemann [CDU/CSU]: War das jetzt auch Ironie?)