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Weitere Demontage der Arbeitsmarktpolitik zu Beginn der Krise

Rede von Werner Dreibus,

Rede zu den von der Bundesregierunng eingebrachten Gesetzen zur Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung und zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente u.a.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir sind mitten in einer schweren Wirtschaftskrise. Jedes vierte Unternehmen denkt über Entlassungen nach. Die OECD befürchtet, dass es Ende nächsten Jahres bereits 700 000 Arbeitslose mehr sein könnten. Immer mehr Kurzarbeit und deutlich mehr Arbeitslose werden Tag für Tag- das gilt im wörtlichen Sinne- zur bitteren Realität. Schon allein deshalb sind die heute von der Großen Koalition vorgelegten Gesetzentwürfe absolut daneben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie nur einen Funken Mut und Verantwortung hätten, dann hätten Sie angesichts der aktuellen Lage mit Ihrer Mehrheit beide Gesetzentwürfe von der heutigen Tagesordnung abgesetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir uns die Ausgangslage am Arbeitsmarkt noch einmal genauer an!
Es gibt offiziell knapp 3 Millionen Arbeitslose. Hinzukommen mehr als 1 Million Menschen, die nur deshalb nicht als arbeitslos gelten, weil sie in Maßnahmen der Arbeitsförderung sind, sowie mindestens 600 000 Menschen in der stillen Reserve. Das sind die Zahlen am Ende des Aufschwungs.
Ich denke, das ist genau das Gegenteil einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Weiter: Zwischen 2003 und 2007 wurden fast 1 Million Vollzeitarbeitsplätze abgebaut. Dafür boomen prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit, Mini- und Midijobs oder Befristungen. Diese Beschäftigten sind genau diejenigen, die nun als Allererste ihre Arbeitsplätze verlieren. Das passiert bereits täglich. Hinzu kommt: Millionen Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen.

Welch eine katastrophale Bilanz, und das am Ende einer Aufschwungperiode, bevor die Krise auf dem Arbeitsmarkt überhaupt angekommen ist!

Was wir jetzt dringender denn je brauchen, ist mehr und bessere Arbeitsmarktpolitik. Deshalb ist das Allerletzte, was man in einer solchen Situation machen kann, eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bundesagentur für Arbeit muss doch in der Lage sein, eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, und zwar angesichts der steigenden Arbeitslosenzahlen mehr denn je.

(Thomas Oppermann (SPD): Das kann sie doch! Wo leben Sie eigentlich? Wissen Sie nicht, welche Rücklagen sie hat?)

Dafür braucht sie eine angemessene finanzielle Ausstattung und nicht reduzierte Einnahmen.
Die Bundesagentur für Arbeit selbst rechnet bei einer Senkung des Beitragssatzes auf 2,8 Prozent für 2009 mit einem Defizit von fast 6 Milliarden Euro, vorausgesetzt, die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt stagniert.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, hat es im Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgerechnet: Sollte es im nächsten Jahr durchschnittlich nur 130 000 Arbeitslose mehr geben, dann müsste die BA allein im Jahr 2009 mit 700 Millionen Euro Mehrausgaben rechnen, und das bei nur 130 000 Arbeitslosen mehr, eine Zahl, die wahrscheinlich weit untertrieben ist und die weit weg von der zu befürchtenden Realität ist.

Um es deutlich zu sagen: Wenn Sie in der aktuellen Lage auf Beitragssatzsenkungen bestehen teilweise wider besseres Wissen, wie ich aufgrund dessen, was ich aus der Koalition höre, vermute , dann fahren Sie die BA und damit auch die Wirksamkeit und die Legitimation der Arbeitslosenversicherung insgesamt an die Wand.

(Andrea Nahles (SPD): Haben Sie nicht zugehört, dass der Herr Weise im Ausschuss das Gegenteil gesagt hat? Sie waren bei der entscheidenden Sitzung nicht dabei! Halten wir das mal fest!)

Auch mit dem Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente werden Sie das Steuer in der Arbeitsmarktpolitik nicht herumreißen. Sie setzen damit- im Grunde ist das in der Rede des Staatssekretärs deutlich geworden- die Linie der Agenda 2010 und der Hartz Reformen konsequent fort, konsequent in die falsche Richtung.
Der repressive Charakter der Arbeitsmarktpolitik wird weiter verschärft. Arbeitslose werden weiter entrechtet. Die Daumenschraube der Sanktionen wird noch fester angezogen. Die Zumutbarkeitskriterien werden weiter verschlechtert.

Die Bundesregierung strafft und flexibilisiert den Instrumentenkasten. Sie gehen dabei allerdings fast ausschließlich von quantitativen Aspekten aus.
„Sparen vor Verbessern“ heißt offensichtlich Ihr Motto.

(Frank Spieth (DIE LINKE): So ist es! Wolfgang Grotthaus (SPD): So ein dummes Zeug! Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Quatsch!)

Die für eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik zentralen Fragen, ob und unter welchen Bedingungen Instrumente nicht nur eine schnelle, sondern tatsächlich auch eine nachhaltige Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen, spielen in qualitativer Hinsicht offensichtlich keine Rolle.
Deshalb werden Instrumente wie beschäftigungsbegleitende Eingliederungshilfen oder die Weiterbildung durch Vertretung ersatzlos gestrichen, während 1-Euro-Jobs nicht abgeschafft werden, obwohl alle Untersuchungen die Nichtwirksamkeit der 1-Euro-Jobs hinsichtlich einer nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik längst belegt haben.

Die Bundesregierung setzt weiterhin vor allem auf kurzfristige Qualifizierung, statt die berufliche Weiterbildung insgesamt wirklich zu stärken.

(Andrea Nahles (SPD): Hallo?!)

Hinzu kommt: Wer erst einmal in Hartz IV drin ist, kommt nicht mehr heraus; denn ALG-II-Beziehende haben weiterhin nicht zu allen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten Zugang. Jetzt wird auch noch die Möglichkeit der Förderung durch ABM für ALG-II-Beziehende abgeschafft. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die alle Arbeitslosen gleichermaßen gut fördert, sieht anders aus.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Stolz ist die Koalition darauf, dass der Handlungsspielraum der Arbeitsvermittler und Fallmanager vor Ort erhöht wird.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Genau!)

Fraglich bleibt nur, Herr Brauksiepe, ob und wie der einzelne Erwerbslose davon profitiert; das ist der Maßstab.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn Erwerbslose haben nur auf äußerst wenige Fördermaßnahmen einen Rechtsanspruch, auch nach Inkrafttreten Ihres Gesetzes.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!)

Für die Vermittler bedeutet mehr Handlungsspielraum zunächst mehr Flexibilität. Das ist gut. Es bedeutet aber auch mehr Verantwortung für den Vermittler,

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Das gestehen wir ihm auch zu!)

und es wird, Herr Brauksiepe, für den Vermittler mehr Spardruck von oben bedeuten. Das ist angesichts kommender Defizite- Sie senken ja gleichzeitig die Beitragssätze- doch vollkommen absehbar.

(Katja Mast (SPD): Das Budget für aktive Arbeitsmarktpolitik bleibt gleich!)

Das Gesetz macht insofern das Tor für weitere Einsparungen und weiteren Druck auf Arbeitslose weit auf. Die Löcher im sozialen Netz werden immer größer.

Arbeitsmarktpolitik muss eine ausreichende soziale Absicherung bieten und die nachhaltige Integration in gute Arbeit tatsächlich fördern, nicht nur in Sonntagsreden, Herr Staatssekretär, sondern in der Praxis.

(Beifall bei der LINKEN)

Verstärkt gefördert werden müssen gerade in der Krise Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte und andere besonders Benachteiligte.

Wir, die Linke, fordern deshalb ein sofortiges Umsteuern in der Arbeitsmarktpolitik.
Dazu gehören ich will sie nur stichwortartig nennen mindestens die folgenden Punkte:

Wir brauchen eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I.

Wir brauchen eine sofortige Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze auf mindestens 435 Euro, verbunden mit der Einführung eines bedarfsdeckenden Satzes für Kinder und das alles nur als ersten Schritt zur tatsächlichen Überwindung von Hartz IV.

Wir brauchen die Einführung eines individuellen Rechtsanspruchs auf Teilhabe an den Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung für alle Erwerbslosen.

Wir brauchen die Abschaffung der 1-Euro-Jobs zugunsten von öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen, die nach Tarif bezahlt werden. So würden endlich wieder brachliegende Aufgaben angegangen und Langzeitarbeitslosigkeit effektiv bekämpft.

Ganz wichtig ist: Arbeit und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen müssen existenzsichernd und voll sozialversicherungspflichtig sein,

(Beifall bei der LINKEN)

der individuellen Qualifikation entsprechen, sie dürfen keine extremen Anforderungen an Flexibilität und Mobilität stellen, und sie müssen die politische und religiöse Gewissensfreiheit berücksichtigen.

Das sind Mindestanforderungen aus der Sicht der Linken.
Notwendig sind darüber hinaus wirksame Maßnahmen gegen den wachsenden Niedriglohnsektor und gegen die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, um gute Arbeit tatsächlich zu stärken. Dazu gehört als wichtigste Maßnahme endlich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von mindestens 8,71 Euro wie in Frankreich.

(Beifall bei der LINKEN Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie in Berlin!)

Zusammengefasst: Wer ausgerechnet in der Krise die Beiträge kürzt und damit notwendige und sinnvolle Arbeitsmarktpolitik weiter demontiert, ist entweder zynisch oder betätigt sich als Geisterfahrer. Jedenfalls ist er weder christlich noch sozial.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine solche Politik haben die Menschen, die jetzt Angst um ihren Arbeitsplatz haben, und die Arbeitslosen wirklich nicht verdient.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)