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Foto: Rico Prauss

Wahlprogramm der CDU/CSU – Dr. Merkels Märchenstunde

Rede von Dietmar Bartsch,

Wir versprechen keine Märchen. DIE LINKE wird Frau Merkel nicht zur Kanzlerin wählen. Auch an diesem Wahlversprechen können Sie uns messen.

 

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Günter Mittag“? Wo Sie sich überall auskennen, Herr Gröhe! Ich bin wirklich beeindruckt.

(Iris Gleicke (SPD): Sie waren die besten Freunde! Die Steigbügelhalter!)

Die SPD hat eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Dr. Merkels Märchenstunde“ beantragt. Ich fand diesen Titel sehr kreativ. Er ist leider nicht so akzeptiert worden; aber eigentlich sollten wir so einen Titel schon annehmen.

Es gibt im Moment sicherlich ganz viele Märchen. Liebe SPD, ihr erzählt jeden Tag, dass ihr mit den Grünen regieren wollt.

(Iris Gleicke (SPD): Ihr ja auch!)

Bei diesen Umfragewerten bleibt das im günstigsten Fall ein Märchen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Menschen im Land können nämlich addieren ‑ das ist so ‑; darum glauben sie euch nicht.

Aber zurück zu Frau Merkels Märchen; das ist das wichtigere Thema. Das Wahlprogramm von CDU und CSU ist tatsächlich ein einziges Märchen. Acht Jahre hat Frau Merkel jetzt regiert. Da stellt sich die Frage: Warum haben Sie von dem, was Sie jetzt versprechen, nicht wenigstens einen Punkt umgesetzt? Sie hätten das alles doch machen können. Nichts ist passiert. Statt „Gemeinsam erfolgreich für Deutschland“ müsste das Wahlprogramm richtig heißen „Erst versprochen, dann gebrochen“.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Wahlprogramm ist nichts anderes als Wahlbetrug mit Ansage.

Ich will mich einmal auf das entsprechende Wahlprogramm von 2009 beziehen ‑ Herr Gröhe ist ja darauf eingegangen ‑: Was haben Sie damals versprochen, und was davon ist Realität geworden? Ich will dabei nicht über den Atomausstieg und nicht über die Bundeswehrreform reden, sondern über die Dinge, die Herr Gröhe als Erfolgsgeschichte bezeichnet hat. Herr Gröhe hat als eine Erfolgsgeschichte den märchenhaften Stand bei der Beschäftigung genannt. Es gibt tatsächlich ein Märchen von mehr Beschäftigung - das ist wahr -; aber schauen Sie sich einmal an, um was für Beschäftigung es sich dabei handelt! Es gibt ein Beschäftigungswunder bei prekärer Beschäftigung im Niedriglohnbereich ‑ das ist die Realität ‑: bei 1‑Euro-Jobbern und 450-Euro-Jobs.

(Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Unsinn!)

Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten ist in den letzten 20 Jahren um 5 Millionen zurückgegangen, die der Teilzeitbeschäftigten um 7 Millionen gestiegen. 2012 waren 7,4 Millionen Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen prekär beschäftigt.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Die waren vorher arbeitslos!

Da von einem Beschäftigungswunder zu sprechen, heißt wirklich, ein Märchen zu erzählen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im letzten Koalitionsvertrag stand als Ziel: strukturelle Haushaltskonsolidierung. In kaum einer Legislaturperiode sind mehr Schulden gemacht worden als in der vergangenen: 108,9 Milliarden Euro neue Schulden hat diese Koalition zu verantworten. Das ist doch nicht nichts. Und dann reden Sie von struktureller Haushaltskonsolidierung?

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Da war auch etwas am Anfang, Herr Bartsch!)

Wie ist es zu dieser extremen Neuverschuldung gekommen? Weil Sie Banken und Konzernen Steuergeschenke gemacht haben und weil Sie die Bankenrettung durchgeführt haben; das ist der Grund.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Blabla!)

Fragen Sie einmal die Kommunen - auch die, die von der CDU oder von der CSU regiert werden - nach ihrer Haushaltslage! Herr Schäuble und Herr Kampeter stellen jetzt eine strukturelle Neuverschuldung von null in Aussicht. Ich sage Ihnen: Daraus wird niemals etwas. Das korrespondiert auch null mit Ihrem Wahlprogramm. Sie wollen 50 Milliarden Euro ausgeben. Wie stellen Sie sich die Gegenfinanzierung vor? Wenn die Linke solche Forderungen erhöbe, würden Sie hier ein Buhei darum machen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN ‑ Iris Gleicke (SPD): Da hat er recht!)

Was Sie versprechen, wird niemals eintreten. Schauen Sie sich einmal die Zinsentwicklung in den USA an! Schauen Sie sich einmal die Prognosen über das Wirtschaftswachstum in Deutschland an! Wenn Sie das alles einrechnen ‑ einschließlich der Haushaltsrisiken ‑, müssen Sie nämlich feststellen, dass nichts, aber auch gar nichts davon übrig bleibt. Wenn Herr Kauder ‑ da hat er recht ‑ auf den Finanzierungsvorbehalt hinweist, heißt das nichts anderes, als dass die Union Wahlbetrug mit Ansage vorhat.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Iris Gleicke (SPD))

Ich will noch einen dritten Punkt ansprechen, der mir sehr wichtig ist. Die Koalition hat im letzten Wahlkampf versprochen, dass die Ostrenten endlich angeglichen werden, und dies im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Das Ziel ist richtig. Leider muss man feststellen: Realisiert haben Sie davon nichts.

(Iris Gleicke (SPD): Arbeitsverweigerung ist das!)

Sie haben an dieser Stelle ‑ dazu müssen Sie sich bekennen ‑ Ihren Koalitionsvertrag schlicht gebrochen. Das ist ein Skandal.

(Beifall der Abg. Iris Gleicke (SPD))

Jetzt steht in Ihrem Wahlprogramm:

"Daher halten wir an der Rentenberechnung nach geltendem Recht fest."

Das ist völlig inakzeptabel.

Das heißt im Übrigen, dass ein Berufseinsteiger in Ludwigslust und ein Berufseinsteiger in Lüneburg ‑ dazwischen liegen nur ein paar Kilometer ‑ weiterhin unterschiedliche Rentenansprüche erwerben ‑ ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Wiedervereinigung! Und das stellen Sie hier noch als Erfolg dar. Das ist schlicht nicht wahr. Die Botschaft der christlichen Parteien an die Ossis lautet: Ihr bleibt Rentner zweiter Klasse. - Das ist inakzeptabel, was Sie hier machen!

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Wahlprogramm hat nichts Märchenhaftes. Das sind viele leere Versprechungen. Man muss sich nur einmal die letzten vier Jahre anschauen. Frank Steinmeier hat darauf hingewiesen: Kurt Lauk aus Ihren eigenen Reihen ‑ immerhin Präsident des CDU-Wirtschaftsrates ‑ hat in bemerkenswerter Offenheit das gesagt, was ich hier zurückhaltend formuliert habe:

Derartige Versprechen seien vor jeder Bundestagswahl üblich, um Wähler zu gewinnen. ...
"Das muss man nicht ernst nehmen. Das wissen doch die Wähler."

 

Ich kann Ihnen eins versprechen: Wir werden Widerstand gegen eine solche Politik nach Kassenlage leisten. Und noch etwas anderes kann ich versprechen, und das ist kein Märchen ‑ und es würde mich freuen, wenn das die beiden anderen Oppositionsparteien auch sagen würden ‑: Keiner von der Linken ‑ das verspreche ich Ihnen ‑ wird Angela Merkel zur Kanzlerin wählen. Das glauben Sie mir doch, oder?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich wünschte mir nur, dass die beiden anderen Fraktionen auf der linken Seite das auch sagen würden. Das wäre wirklich mal eine sehr gute Maßnahme.

(Heiterkeit des Abg. Otto Fricke (FDP))

Märchen enden ja oft mit den Worten „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“.

(Volker Kauder (CDU/CSU): So geht es auch nach der Wahl weiter! Wir werden auch überleben!)

Dieses Schicksal wird das CDU-Wahlprogramm nicht erfahren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)