Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Amnesty International hat vor zwei Tagen diesen Bericht über Waffenexporte an arabische Länder vorgelegt. Ich kann Ihnen wirklich nur wärmstens empfehlen, sich ihn einmal anzuschauen.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Bericht erinnert uns ganz drastisch daran, worum es hier tatsächlich geht: Es geht um Tod, um Zerstörung und um tausendfaches Leid. In dem Bericht wird zum Beispiel ein Bild eines Demonstranten in Ägypten gezeigt, der von Kugeln zersiebt auf der Straße liegt. Es wird auch berichtet, wie in Bahrain, in Syrien, natürlich in Libyen und in Ägypten Tausende von Menschen, die für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind, getötet wurden, und zwar von Waffen, die aus Europa, den USA und Russland geliefert worden sind. Deutschland war, was diese Lieferungen angeht, ganz vorne mit dabei an vorderster Front sozusagen.
Ich möchte Ihnen einmal ein paar Zahlen zu den deutschen Rüstungsexporten der letzten zehn Jahre nennen: Genehmigungen für Exporte von Rüstungsgütern nach Saudi- Arabien in Höhe von 675 Millionen Euro, nach Bahrain in Höhe von 22 Millionen Euro, in den Jemen in Höhe von 12 Millionen Euro und nach Ägypten in Höhe von 268 Millionen Euro. Insgesamt haben Sie Exporte in Höhe von sage und schreibe 3,5 Milliarden Euro in die Länder im Nahen Osten und Nordafrika genehmigt. Ich finde das unerträglich.
(Beifall bei der LINKEN)
Das sind alles Länder, von denen Sie genau wussten, dass sie die Menschenrechte verletzen und sich in einer Kriegs- und Krisensituation befinden.
Es gibt in diesem Bericht einen Lichtblick: Laut Amnesty International haben einige Länder wie Frankreich, Großbritannien, Spanien sowie weitere europäische Länder die Waffenexporte nach Bahrain eingestellt, weil die Demokratiebewegung dort so brutal niedergeschossen wurde. Was aber macht die Bundesregierung? Was macht Herr Westerwelle? Sie entscheiden, zusätzliche 200 Panzer nach Saudi-Arabien zu schicken. Sie haben nichts, aber überhaupt gar nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen es heute anders machen. Wir wollen, dass endlich aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wird. Deswegen haben wir 16 Anträge vorgelegt, durch die die Waffenexporte in 16 Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas endgültig gestoppt werden sollen. Sie können sich heute entscheiden, ob Sie wirklich weiterhin Waffen an Menschenrechtsverletzer liefern wollen, oder ob Sie das nicht wollen.
Sollten Sie sich wirklich dafür entscheiden, weiterhin an diese Länder zu liefern, würde ich zu gern einmal hören, wie Sie das Ihren Wählerinnen und Wählern erklären wollen. Denn die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler sind gegen Rüstungsexporte. Das Meinungsforschungsinstitut Emnid hat vor zwei Wochen eine Umfrage gemacht, die ergeben hat, dass sich 78 Prozent der Menschen mehr als drei Viertel der deutschen Bevölkerung grundsätzlich gegen jede Art von Rüstungsexporten aussprechen. Das geht quer durch die ganze Bevölkerung. Das gilt auch für die Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU und FDP; denn von denen sind auch 70 Prozent gegen jede Art von Rüstungsexporten.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie schon nicht auf Ihre eigene Moral hören, dann hören Sie wenigstens auf die Leute, die Sie in den Bundestag gewählt haben! Lehnen Sie die Rüstungsexporte endlich ab!
(Beifall bei der LINKEN)
Amnesty International spricht sehr deutlich und richtig von einem totalen Versagen der Rüstungsexportkontrollen. Da muss man sich doch fragen, woran es liegt. Ich möchte Ihnen dazu eine sehr erhellende Episode aus dem Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung" des Bundestages erzählen. Anfang des Jahres, mitten im arabischen Frühling, gab es natürlich sehr kritische Nachfragen, übrigens auch von einem Abgeordneten der Union, wie es denn sein könne, dass deutsche Sturmgewehre an den Diktator Mubarak geliefert worden sind. Die lapidare Antwort der Bundesregierung war: „Es gab außenpolitische Interessen, die gegen die Menschenrechtsbedenken abgewogen wurden. Am Ende wogen die außenpolitischen Interessen schwerer. Deswegen wurde geliefert." Genau das ist das zentrale Problem der deutschen Rüstungskontrolle:
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die deutschen Rüstungsexporte werden nicht kontrolliert, sondern allenfalls verwaltet.
(Beifall bei der LINKEN)
Es gibt zwar die vielzitierten Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Da steht sehr viel Gutes drin. Es wird von „Menschenrechten", „Frieden" und „nachhaltiger Entwicklung" gesprochen, aber eben auch vom „außenpolitischen Interesse". In der Praxis - das sehen wir immer wieder - verlieren die Menschenrechte jedes einzelne Mal gegen die außenpolitischen Interessen. Deshalb fordern wir von der Linken: Die unverbindlichen Politischen Grundsätze reichen nicht aus; wir brauchen gesetzliche Verbote.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte Ihnen heute drei Vorschläge für sehr konkrete Verbote machen, mit denen wir es endlich schaffen würden, die Flut der deutschen Waffen in der Welt zumindest ein wenig einzudämmen:
Der erste Vorschlag: kein Export von Kleinwaffen. Kleinwaffen sind keine niedlichen, kleinen Handtaschenrevolver, sondern Sturmgewehre und Maschinenpistolen, die Kalaschnikows, die deutschen G 36 und wie sie alle heißen.
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Kalaschnikows verkaufen wir nicht!)
Es gibt aus meiner Sicht drei extrem gute Gründe, den Export von Kleinwaffen grundsätzlich zu verbieten:
Erstens. Kleinwaffen sind die tödlichsten Waffen der Welt. Kofi Annan hat sie einmal als Massenvernichtungswaffen bezeichnet, weil sie tatsächlich massenhaft töten. In den Kriegen dieser Welt gibt es mehr Tote durch Kleinwaffen als durch jede andere Waffenart.
Zweitens. Wenn die Kleinwaffen einmal exportiert sind, hat man null Kontrolle. Weil sie relativ klein sind, werden sie von einem Land ins nächste verschoben; von Krieg zu Krieg gehen sie um die Welt und werden überall zum Töten eingesetzt. Nur ein Beispiel: Sie alle wissen, dass im August dieses Jahres deutsche Sturmgewehre vom Typ G 36 in Libyen gefunden wurden. Offiziell sind sie nie dorthin geliefert worden - nicht von der Firma und nicht von der Bundesregierung -, aber trotzdem tauchten sie dort auf. Wir beobachten das: Jedes Mal, wenn in den letzten Monaten und Jahren auf der Welt ein bewaffneter Konflikt ausgebrochen ist, haben wir uns die Fernsehbilder und die Fotos angeschaut, und jedes einzelne Mal haben wir dort deutsche Waffen gesehen. Das muss doch endlich einmal aufhören.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Aus meiner Sicht ist das gewichtigste Argument dafür, endlich alle Exporte von Kleinwaffen zu verbieten: Sie zeigen besonders deutlich, dass das bisherige System der Rüstungsexportkontrolle einfach nicht funktioniert. Ich habe Ihnen hier eine Grafik mitgebracht.
[Kleinwaffenexporte 1996-2009]
Auf dieser Grafik sehen Sie die Exporte von deutschen Kleinwaffen und deutscher Kleinwaffenmunition unter den letzten vier Regierungen, in den letzten vier Legislaturperioden. Das fängt mit der Regierung Kohl - Schwarz-Gelb - an, dann folgen die beiden rot-grünen Regierungen, dann die Große Koalition. Jedes Mal hat die jeweilige Regierung mehr Kleinwaffen und -munition in alle Welt verkauft als die Vorgängerregierung. Ich denke, das müsste gerade Ihnen von SPD und Grünen zu denken geben. Denn Sie haben 1999 das Problem der Waffenexporte erkannt und deswegen die Politischen Grundsätze eingeführt, und trotzdem wurden am Ende mehr und mehr und mehr Kleinwaffen in alle Welt exportiert. Es reicht eben nicht, sich an der Regierungsspitze zu wünschen, dass die Zahl der Exporte sinkt; denn im Alltag wird in der Verwaltung jeder einzelne Antrag dann doch angenommen, abgestempelt, abgenickt und abgelegt wird. Sie verhindern nichts, wenn Sie nicht tatsächlich ein echtes Verbot aussprechen. Das Wünschen allein reicht nicht; wir brauchen hier ein Verbot.
(Beifall bei der LINKEN)
Das zweite Verbot, dass wir vorschlagen: kein Export von Waffenfabriken. Ich war vor zwei Wochen in Saudi-Arabien, um mir da eine Reihe von deutschen Rüstungsprojekten anzuschauen; davon gibt es dort leider ziemlich viele. Eines der Projekte ist eine deutsche Waffenfabrik, die gerade von der Firma Heckler & Koch südlich von Riad aufgebaut wird.
Ende nächsten Jahres wird diese Fabrik das hochmoderne deutsche Sturmgewehr G 36 produzieren können. Ab dem Moment haben Sie überhaupt keine Kontrolle mehr: Wie viele dieser Waffen werden produziert? Wohin werden sie geliefert? Sie werden im Internet schon zum Verkauf angeboten. Wer wird irgendwann irgendwo auf der Welt jemanden damit töten? Das lässt sich gar nicht mehr kontrollieren, wenn man einmal die Technologie aus der Hand gibt. Wenn man einmal die Fabrik in Saudi-Arabien aufbaut, ist die Kontrolle vorbei. Da hilft nur, von vornherein keine Waffenfabriken mehr zu exportieren. Punkt.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Natürlich darf es keine Waffenexporte mehr an Menschenrechtsverletzer und in Krisengebiete geben. Genau deshalb haben wir heute die 16 Anträge vorgelegt. Wir fordern, in diese Region, die für Menschenrechtsverletzungen und als Kriegsgebiet bekannt ist, gar keine Waffen mehr zu liefern. Auch hier reichen die politischen Grundsätze nicht aus. Das Ganze muss Gesetz werden. In einem Antrag der Grünen wird das erstmals gefordert. Ich finde, das ist ein guter Ansatz. Deswegen werden wir diesem Antrag der Grünen auch zustimmen. Ich würde mir nur wünschen, dass Sie aus Ihrer eigenen Geschichte lernen und endlich ein komplettes Kleinwaffenexportverbot und ein Waffenfabrikexportverbot beschließen würden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte die Frage stellen, warum heute niemand von der Regierung zu diesem Thema spricht. Dafür wird ein Herr Lindner von der FDP in die Bütt geschickt, der sowas von gar keine Ahnung von Waffenexporten hat, dass es mich immer wieder schüttelt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))
Nur zwei Beispiele aus Ihrer Rede.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr van Aken, Sie haben noch drei Sekunden Zeit, um die Zwischenfrage von Herrn Gysi zuzulassen. Möchten Sie das ?
Jan van Aken (DIE LINKE):
Von Herrn Gysi? Ja, die lasse ich zu.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Jetzt kommt die Kleinwaffe der Linken! Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt wird es richtig kritisch!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Bitte schön.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr van Aken, es wird von den anderen Rednern so getan, als ob man insgesamt gegen die Rüstung in alle von uns genannten Staaten stimmen müsste. Besteht nicht die Möglichkeit, dass jede Abgeordnete und jeder Abgeordneter zu jedem Staat eine Haltung einnimmt und beispielsweise sagt: Nach Bahrain keine Waffenexporte, in andere Länder schon. - Gibt es diese Möglichkeit? Warum wird davon kein Gebrauch gemacht,(Holger Krestel (FDP): Sie wollen doch wieder für Kuba stimmen!)
sondern pauschal gesagt: „Wir verkaufen weiterhin Rüstungsgüter"?
Jan van Aken (DIE LINKE):
Das ist eine suggestive Frage, die ich natürlich mit Ja beantworte.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie alle haben es individuell in der Hand, auch Sie, Herr Fritz. Sie müssen nicht mit Ihrer Fraktion stimmen. Sie können gegen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien stimmen. Zeigen Sie heute endlich einmal Mumm und sagen Sie Nein zu Rüstungsexporten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich wurde unterbrochen bei meiner Kritik an Herrn Lindner.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie wurden unterbrochen, aber sozusagen schon jenseits der Redezeit.
Jan van Aken (DIE LINKE):
Aber ich habe doch eine Frage beantwortet.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Zeit habe ich auch gestoppt. Alles ist gut. Trotzdem ist Ihre Redezeit zu Ende.
Jan van Aken (DIE LINKE):
Herr Lindner hat es wirklich verdient; denn er führt aus: Es ist völlig ausgeschlossen, dass es eine Parlamentsbeteiligung bei der Frage von Rüstungsexporten gibt. - Fahren Sie doch einmal in die USA! Dort gibt es das. Wieso ist in Deutschland ausgeschlossen, was in Washington möglich ist?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben keine Ahnung, Herr Lindner.
Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist. Beim Panzerdeal mit Saudi-Arabien tun Sie so, als ob der eigentliche Gegner der Iran ist. Ich war in Saudi Arabien. Ich habe dort mit vielen hohen Politikern und Generälen gesprochen. Sie haben keine Vorstellung, was für eine Israel-Hetze ich da zu hören bekommen habe. Das ist unfassbar.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr van Aken?
Jan van Aken (DIE LINKE):
Ein hoher Politiker hat ein Gespräch mit einer vollen Breitseite gegen Israel begonnen, und Sie wollen uns hier weismachen, der Gegner wäre der Iran.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr van Aken?
Jan van Aken (DIE LINKE):
Ihr Panzerexport ist ein riskantes Manöver gegenüber Israel.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland gar keine Waffen mehr exportieren sollte.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Im Übrigen ist die Zeit jetzt mehr als abgelaufen.
Jan van Aken (DIE LINKE):
Aber dafür habe ich jetzt leider keine Zeit mehr.
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)