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Vorkasse beim Arzt

Rede von Harald Weinberg,

Fortsetzung der Klientelpolitik der Bundesregierung

Harald Weinberg (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rüddel, die gesetzlich Versicherten in Angst und Schrecken zu versetzen, das schafft diese Koalition schon alleine.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei Ihren Ausführungen ist mir deutlich geworden: Diese Kostenerstattung muss wirklich ein ganz wunderbares Instrument sein. Was dadurch alles geschafft wird, das ist bemerkenswert.

Nun zum Thema. Am Dienstag hatten die Innungskrankenkassen zu einer Veranstaltung rund um die Qualität in der Gesundheitsversorgung geladen. Die Einführungsrednerin war die Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Ihre zentrale Aussage ich teile sie ausdrücklich war: Gesicherte, nachgewiesene Qualität soll die Regel sein und nicht extra vergütet werden.

Wie sieht die Politik der Bundesregierung in der Realität aus? Sie will Ärztinnen und Ärzten ein höheres Einkommen sichern, gleichzeitig die bestehende Qualitätssicherung der Kassen und kassenärztlichen Vereinigungen durch Vorkasse und Kostenerstattung abschaffen oder stark einschränken. Die Bundesregierung will, dass stattdessen der einzelne Patient mit seiner Ärztin über Menge, Qualität und Preis verhandelt und nicht mehr die Krankenkassen. Ich sage Ihnen: Das können die Patienten nicht.

Erstens. Patienten sind deshalb Patienten, weil sie krank sind.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ja!)

Sie sind angewiesen auf den Arzt. Die Bundesregierung schafft aber Anreize für geschäftstüchtige Ärzte, diese Notsituation auszunutzen.

Zweitens. Patienten sind dem Arzt in aller Regel fachlich unterlegen. Wenn die Ärztin sagt: „Das ist die Diagnose; dafür brauchen wir die Therapien A, B und C“, kann der Patient weder die Richtigkeit der Diagnose noch die Notwendigkeit der einzelnen Therapien abschätzen. Der Patient ist in erster Linie angewiesen auf den Rat der Ärztin. Er wird nicht sagen: Na ja, die Therapien B und C nehme ich; aber auf Therapie A verzichte ich einmal.

Drittens. Der Patient kann kaum beurteilen, ob die Therapie in einer angemessenen, schlechten oder guten Qualität erbracht wird. Er kann ein gutes oder schlechtes Gefühl bei der Behandlung haben, mehr nicht. Mit Qualitätssicherung hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Der Patient kann nicht beurteilen, ob der Preis, den er für die Diagnose und die Therapie zahlt, angemessen, zu hoch oder ein Sonderangebot ist. Der Patient kann sich, wenn er krank ist, in aller Regel nicht umhören, welcher Arzt das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet.

(Lars Lindemann (FDP): Dafür gibt es die GOÄ, Herr Kollege! - Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): In welcher Welt leben Sie denn?)

Selbst wenn dies möglich wäre: Die Linke will, dass die Patientinnen und Patienten weiterhin die freie Arztwahl haben, ohne vorher das günstigste Angebot einholen zu müssen. Die Linke will, dass Ärzte Ärzte bleiben und die Arztpraxis nicht zu einem Basar wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Jens Ackermann (FDP): Das ist kompletter Unfug!)

An diesem Punkt kommt der Einwand wir haben es schon gehört , es werde niemand gezwungen; Vorkasse und Kostenerstattung seien freiwillig.

(Jens Spahn (CDU/CSU): Richtig!)

Ich sage Ihnen voraus: Wenn die Ärzte erst einmal merken, wie viel mehr Geld sie damit verdienen bzw. erhalten können, werden sie den Patienten diese Kostenerstattung mehr oder weniger deutlich nahelegen. Dann wird es bei der Terminvergabe heißen: Geht es gegen Kostenerstattung oder gegen Kasse? Kostenerstattung führt zum schnellen Termin, Kasse kann warten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bemerkenswert ist doch auch: Ein Arzt verhält sich in einem wettbewerblichen System, welches Sie von der Regierung ja wollen, völlig folgerichtig. Wer mehr zahlt, bekommt auch mehr und früher Leistung. Genau das wollen Sie; Sie wollen das System verwettbewerblichen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Linke bleibt bei der Ansicht: Die Gesundheit eines jeden Menschen ist gleich viel wert, egal ob reich oder arm. Deswegen müssen sich Terminvergabe, Diagnose und Therapie nach medizinischen Kriterien richten und nicht nach dem Geldbeutel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Einzige, der von den Kostenerstattungstarifen direkt etwas hat, ist der Arzt. Er rechnet ab nach der Gebührenordnung für Ärzte. Erstattet wird aber nur die Kassenleistung. Die Patienten bleiben also auf den Zusatzkosten sitzen; das ist bereits angesprochen worden. Die Ärzte freuen sich, wenn denn die von ihnen ausgestellten Rechnungen das Risiko tragen allerdings die Ärzte auch bezahlt werden.

Für solche Fälle hat die Koalition gleich eine Lösung parat: private Zusatzversicherungen. Kollege Spahn hat auch eine solche Zusatzversicherung, und er gab zu ich zitiere wörtlich , sie sei „schweineteuer“. Ich weiß nicht, was Kollege Spahn bezahlt, aber der Preis einer solchen Versicherung richtet sich unter anderem nach dem Alter. Kollege Spahn dürfte mit seinen 30 Jahren doch noch relativ günstig davonkommen. Ich habe einmal nachgeschaut: Ein 30-jähriger Mann zahlt für eine Zusatzversicherung nur für den ambulanten Bereich 76 Euro im Monat.

(Lars Lindemann (FDP): Was deckt die ab?)

Wäre Kollege Spahn eine Frau, könnte also schwanger werden, wären es schon 105 Euro.

(Heinz Lanfermann (FDP): Da hat er Glück gehabt!)

Für eine 59-Jährige würde das Ganze schon 170 Euro kosten 170 Euro im Monat!

(Dr. Karl Lauterbach (SPD), an den Abg. Heinz Lanfermann (FDP) gewandt: Herr Lanfermann, was kostet es bei Ihnen?)

Dafür, so werben die Versicherungen, würde man auch erster Klasse, wie ein Privatversicherter, behandelt. Aber ich frage Sie: Wer hat denn so viel Geld? Rechnen Sie doch einmal aus, was das für eine komplette Familie kostet. Welche Familie kann sich das leisten? Für über 60-Jährige hat der Anbieter, bei dem ich mich erkundigt habe, gar keine Tarife im Angebot. Wer profitiert also neben dem Arzt noch von der Kostenerstattung? Genau, das Lieblingskind dieser Regierung, die private Krankenversicherung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Hört! Hört! Da haben wir die Zielgruppe!)

Nun kann man über Vorkasse und Kostenerstattung verschiedener Auffassung sein. Ich denke, meine Auffassung ist klar geworden. Nur verstehe ich eines nicht: Wenn man wie die Bundesregierung denkt, dass das Prinzip der Kostenerstattung dem gängigen Sachleistungsprinzip überlegen ist, dann sollte man es doch verpflichtend für alle einführen.

(Ulrike Flach (FDP): Das würde euch so passen!)

Wenn man aber wie die Linke und 99,8 Prozent der Versicherten aus guten Gründen der gegenteiligen Auffassung ist, sollte man die Finger davon lassen und diese Regelung ganz streichen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was macht aber die Koalition? Sie verkürzt die Bindungsfrist, senkt den Anteil, den die Kassen für die zusätzliche Bürokratie berechnen dürfen und streicht die schriftliche Bestätigung für die Aufklärung durch den Arzt. Die Regierung sagt, die Kostenerstattung sei nach wie vor freiwillig. Sie senkt aber die Hürden für die Vorkasse und erhöht damit den Druck auf die Versicherten.

Klar ist: Die Regierung will das Sachleistungsprinzip schwächen, will aber für die Folgen offensichtlich nicht verantwortlich gemacht werden. Immer dann, wenn man gegen die Kostenerstattung argumentiert, heißt es: Wir zwingen doch keinen dazu. Das ist fast so, wie ein bisschen schwanger zu sein auf freiwilliger Basis, versteht sich.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Jetzt kommt in aller Regel das Totschlagargument wir haben es gerade auch wieder gehört : Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Versicherten. Jeder und jede soll frei entscheiden können, ob ihm oder ihr die Gesundheit ein paar Dutzend Euro mehr im Monat wert ist oder nicht. Ja, so ist das in Ihrer Welt. Jeder hat schließlich in diesem Land das Recht, völlig frei entscheiden zu können, ob er sich eine Uhr aus Gold kaufen will, oder ob die aus Platin vielleicht noch schöner ist.

(Heinz Lanfermann (FDP): Und Sie wollen die Uhren verbieten!)

Bei einer Uhr mag es ja vielleicht noch angehen, dass sich viele dann doch für Stahl, Plastik oder gar keine Uhr entscheiden müssen.

(Heinz Lanfermann (FDP): Eine Zentraluhr reicht dann!)

Aber im Gesundheitssystem haben solche Überlegungen und solche sozialen Unterschiede nichts, aber auch gar nichts zu suchen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Kostenerstattung hat keinen einzigen Vorteil für die Versicherten und das Gesundheitssystem als Ganzes. Es wird erstens teurer und ineffizienter, zweitens findet keine effektive Qualitätssicherung statt, und drittens bekommen wir mit Vorkasse und Kostenerstattung eine Drei-Klassen-Medizin es ist bereits darauf hingewiesen worden , in der nur diejenigen angemessen behandelt werden, die genug Geld auf dem Konto haben.

Dem heute zu debattierenden Antrag der SPD ist deshalb zuzustimmen. Meine Fraktion wird ihn selbstverständlich unterstützen. Ich freue mich auch deswegen außerordentlich über diese richtige Initiative der SPD, weil die SPD selbst gemeinsam mit Grünen und Union die Vorkasse und Kostenerstattung für Pflichtversicherte 2004 gegen den Widerstand der zwei damaligen PDS-Abgeordneten eingeführt hatte.

(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Davon gab es hier gar keine! Heinz Lanfermann (FDP): Das hat er verschwiegen!)

Die Kostenerstattung ist aus unserer Sicht ein weiterer Schritt, um die noch überwiegend solidarische Krankenversicherung in Richtung Privatversicherung und Kommerzialisierung zu verschieben. Eine weitere Verwettbewerblichung des Gesundheitssystems, eine weitere Privatisierung ist schon immer auf unseren entschiedenen Widerstand gestoßen. Gesundheitsversorgung muss ein Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge bleiben. Dafür wird die Linke immer streiten.

Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)