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Von Modernität und Ehrlichkeit

Rede von Wolfgang Neskovic,

Der Regierungsentwurf eines "Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz" ist Streusand im Auge des Betrachters. Hinten einen hochtrabenden Titel versteckt sich nur ein wildes Sammelsurium von kleinen und kleinsten Änderungen im Gefüge der Judikative, von denen einige jedoch sehr bedenkliche rechtliche Nachteile für sozial schlechter gestellte Menschen bedeuten werden. Mit Modernität hat das alles nichts zu tun.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

in einer einzigen Hinsicht ist der vorliegende Gesetzentwurf zur Modernisierung der Justiz eine echte Glanzleistung. - In rein semantischer Hinsicht. - Denn der Entwurf wird zwar nicht die Justiz modernisieren, vielleicht aber die deutsche Sprache. Die Entwurfsersteller erproben für den Begriff "modern" einen schwindelerregenden Bedeutungswandel.

Jene Sinnumkehr, die der alten Bundesregierung mit dem Begriff der "Reform" geglückt ist, setzt die aktuelle Koalition mit dem Begriff "modern" fort. Ich fasse in der Kürze der Zeit exemplarisch einmal zusammen, was man im Justizministerium neuerdings unter Modernität versteht. Sie werden verstehen, dass ich in der kurzen Redezeit, die mir gewährt wurde, kein Loblied auf die wenigen auch sinnvollen Aspekte des Entwurfes anstimmen werde.

Modern ist es in der Sprache des Justizministeriums, die Richter im Land gesetzlich zu Fortbildungen zu verpflichten, ohne dabei die Tatsache zu berücksichtigen, dass Fortbildungen, nicht nur Geld, sondern vor allem Zeit erfordern. Zeit steht den Richtern zur Erledigung ihrer täglichen Arbeit schon lange und bei weitem nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Der Amtsrichterverband brachte es in seiner Stellungnahme zum Entwurf auf den Punkt:

"Wenn die Fortbildung (...) zu oft kurz kommt, so liegt dies nicht am fehlenden Bewusstsein, sondern an der längst untragbar gewordenen Belastung - besonders bei den Amtsgerichten."

Der Entwurf sieht das offenbar anders: Eine gesetzliche Verpflichtung zu Fortbildung soll ohne echte Entlastung der Richterschaft dennoch zu mehr Fortbildung führen. Das geht eigentlich nicht.
Die Logik des Vorschlages ist dennoch interessant. Hätte man sich diese Logik bei den Diskussionen zur Gesundheitsreform zu eigen gemacht, hätten sich die Koalitionäre sehr viel schneller einigen und sich damit viel Verdruss ersparen können. Man hätte nur die Kranken ganz einfach gesetzlich verpflichten müssen, endlich wieder gesund zu werden.

Modern ist es also, die Tatsachen zu ignorieren und das Unmögliche zur Pflicht zu machen.
Modern ist es weiterhin in der Sprache des Entwurfs, den unbaren Zahlungsverkehr an den Gerichten in vielen Rechtsbereichen zur Regelsache zu machen. Für den effektiven Justizgewähranspruch unterscheiden wir in Deutschland künftig Menschen mit einem Konto und solche ohne ein Konto. Von letzteren gibt es nicht wenige.

Denn alle bisherigen politischen Absichtserklärungen zum Konto für Jedermann blieben bis jetzt nur hohles Gerede. In unserem Land lebt heute eine ganz beträchtliche Zahl von Menschen, die kein eigenes Konto haben. Oft sind es Alte, Behinderte, sozial Schwache, Analphabeten oder Arbeitslose.
Auf der Suche nach ihrem Recht werden diese Menschen künftig auf die gnädige Gestattung einer Barzahlung im Ausnahmefall angewiesen sein, wie sie § 40 Absatz 3 des Entwurfes bestimmt. Und dies auch nur, wenn es um Zahlungen auf Grund bundesrechtlicher Vorschriften geht.
Was ist weiterhin modern am Entwurf?

Der Entwurf sieht vor, für die Nichtzulassungsbeschwerde die hohe Beschwerdewertgrenze von 20 000 Euro zu verlängern. Wir wissen jetzt, dass man es im Justizministerium immer noch als modern ansieht, für die Gewährung von Rechtsmitteln zwischen wohlhabenden und armen Menschen zu unterscheiden. Für das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft sind 19 999 Euro und 99 Cent möglicherweise nur eine interessante Summe Geld. Für viele andere Menschen kann es bei dieser Summe im Zweifel um ihr gesamtes Vermögen und ihre Existenz gehen. Interessant ist auch, dass diese Ungleichbehandlung im Recht mit einer Überlastung des Bundesgerichtshofes begründet wird. Die gibt es. Das ist wahr. Mich wundert nur, dass das auch der Entwurf ganz freiherzig einräumt.

Als nämlich meine Fraktion in Haushalt- und Rechtsauschuss für ein paar Pappenstiele kämpfte, um endlich jedem Richter der obersten Gerichtshöfe einen wissenschaftlichen Mitarbeiter zu Seite zu stellen - da lehnte man dies mit dem Bemerken ab, diese hätten kein Bedarf an Entlastung. Modern ist es ganz offenbar, die Überbelastung der Justiz dort schlicht abzustreiten, wo sie objektiv mehr Finanzen nötig macht, und dort wiederum einzuräumen, wo man Rechtsmittel kürzen möchte.

Modern. Modern. Modern. So geht das munter weiter. Ein wenig aber wird das Bild uneingeschränkter Modernität durch einen schmalen Passus gleich im Eingang der Gesetzesbegründung getrübt. Da heißt es gewissermaßen ganz altmodisch und vertraut, man müsse bei allen Gesetzesänderungen darauf achten, rechtstaatliche Standards nicht zu mindern. Das hört sich gut an und ist auch völlig richtig.

Leider macht es für den Inhalt eines Gesetzespaketes keinerlei Unterschied, was Sie auf die Verpackung schreiben. Darin unterscheidet sich Gesetzgebung von keiner anderen Form der Produktion. Was hier als Inhalt produziert wurde, ist aber genau die wiederholte Minderung von rechtstaatlichen Standards für die immer breiter werdende Schicht der sozial Benachteiligten.

Das ist nicht hinnehmbar.

Und noch aus einem anderen, gar nicht modernen Grund ist der Gesetzentwurf abzulehnen. Gestatten Sie mir die Verwendung eines sehr altmodischen Wortes, um das zu begründen: Ehrlichkeit.
Es ist schlicht eine Sache der politischen Ehrlichkeit, die Verpackung gemäß dem Inhalt zu beschriften. Ich danke Ihnen.