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Volksverarschung bleibt Volksverarschung: Die Rente erst ab 67

Rede von Matthias W. Birkwald,

Rede von Matthias W. Birkwald, MdB anlässlich der, von der Bundestagsfraktion DIE LINKE beantragten, Aktuellen Stunde:„Rentenkürzung durch Rente erst ab 67 verhindern“am Mittwoch, den 27. Oktober 2010

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich wollte ich mich jetzt –

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was hat der wieder Papier dabei!)

– Ja, besser Papier dabeihaben und über Fakten reden, als hier heiße Luft zu verbreiten. –

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hätte mich heute gerne an dieser Stelle, von diesem Pult aus bei Ministerpräsident Seehofer entschuldigt. Warum? Ich habe seinen Vorschlag als – Verzeihung, Herr Präsident! – „derbe Volksverarschung aus Bayern“ bezeichnet. Genauso stellt es sich dar; denn die richtigen Einlassungen von Herrn Seehofer sind unisono von Ihnen abgelehnt worden. Deswegen kann ich nur sagen: Ich habe an der Stelle recht gehabt; es handelt sich hier um eine Parodie, um eine Tragödie und um eine „derbe Volksverarschung aus Bayern“. Ich will mich jetzt mit dem auseinandersetzen, was Sie hier eben gesagt haben. Herr Kollege Weiß, Sie haben eben behauptet, wir Linken würden lügen und hätten kein Interesse an Daten und Fakten.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ja,
ständig! Daten und Fakten interessieren euch
nicht! Ihr schwätzt irgendwas daher!)

Schauen wir uns das doch einmal genau an. Sie haben gesagt, die Rente erst mit 67 käme 2029.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)

Das kann man so sagen, wenn Sie den letzten Jahrgang meinen.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz!)

Mit Rente erst ab 67 soll aber schon im Jahr 2012 begonnen werden. Das müssen alle Menschen wissen, die davon betroffen sind. Dann geht es los.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ein Monat!)

Sie haben gesagt, wir hätten eine Verringerung des Erwerbspersonenpotenzials um 7 Millionen bis 2025.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: IAB-Bericht!)

Der Kollege Kober hat eben den ganzen Unsinn der Demografielüge auch noch einmal erzählt. Ich möchte jetzt gerne zitieren aus Rente mit 67?, dem Vierten Monitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente, herausgegeben vom DGB und anderen. Auch Herr Kolb kennt ihn. Die Zahlen darin wurden nicht selbst ausgerechnet, sondern es wurde Bezug genommen auf die Berechnungen der Statistischen Landes- und Bundesämter für das Jahr 2009; die haben nichts mit der Linken zu tun. Es gibt verschiedene Varianten. Bei allen Varianten wird das Erwerbspersonenpotenzial auch in den Jahren 2020 und 2030 groß genug sein. Heute sind es 42 Millionen Menschen. Die Varianten, mit denen gerechnet wird, liegen zwischen 35 und 43 Millionen Erwerbspersonen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sagen Sie einmal
die Seite! Dann können wir mitlesen!)

Zusammengefasst heißt das: Die Statistischen Ämter … des Bundes und der Länder folgern aus ihren Berechnungen: – ich zitiere – „Damit ist es eher unwahrscheinlich, dass es in absehbarer Zeit aus demographischen Gründen zu einem Arbeitskräftemangel kommen wird.“ So sieht es aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann wollen wir einmal festhalten, dass die Verpflichtung, die im Gesetz steht, alle vier Jahre zu prüfen, ob die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen vorhanden sind – auch die Situation der Älteren auf dem Arbeitsmarkt ist zu prüfen –, nicht für das Jahr 2029, sondern heute gilt; denn in zwei Jahren soll die Rente erst ab 67 schrittweise eingeführt werden. Wir nehmen die Sorgen der Menschen an dieser Stelle ernst.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:Die interessieren euch überhaupt nicht!)

Wir wollen nicht, dass Ihre Basta-Variante durchkommt. Wenn wir nachfragen, was denn nun wird, dann sagt beispielsweise Staatssekretär Brauksiepe – ich habe ihn schon zitiert –: Es ist sinnvoll, die Beschäftigungsquote bei Älteren zu steigern; die Rente ab 67 kommt in jedem Fall. Dazu sage ich: Das ist die Basta-Variante, und die akzeptieren wir nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt aber auch die Trickser-Variante. Da wird gesagt: Es wird alles besser. Das haben wir hier heute auch gehört. Ich sage: Es wird nicht alles besser.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Im Kommunismus ist es auch ständig abwärts gegangen, Herr Birkwald!)

Wir haben jetzt mehrfach gehört, dass nur knapp 10 Prozent der 64-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job haben. Man muss hinzufügen – das ist ganz perfide –, dass das für nur 7 Prozent der Frauen gilt. An dieser Stelle kann man auch sagen: Die Rente erst ab 67 ist besonders ungerecht für die Frauen, und das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Außerdem bleibt das Muster: Je näher Sie dem 65. Geburtstag kommen, umso weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gibt es. Aber nicht nur das: Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass vieles schlechter geworden ist, Herr Kober, und nicht besser.

(Pascal Kober [FDP]: Doch, vieles ist besser geworden, zum Beispiel die Regierung!)

Was meine ich? Es ist doch wichtig, ob jemand unmittelbar vor seinem Renteneintritt sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Wie sieht es damit aus? 1999 waren das noch 29,6 Prozent. Jetzt sind es noch gerade einmal etwa 18 Prozent. Deswegen sage ich: Nein, es wird nicht besser, es wird schlechter, und das ist nicht zu akzeptieren.

Der nächste Punkt. Wir haben vor 14 Tagen in den Zeitungen gelesen –das ist sehr traurig –, dass es zwei schwere Lkw-Unfälle gegeben hat. Der eine Fahrer war 67, der andere 69 Jahre alt. Sie fuhren 40-Tonner. Das möchten wir nicht. Die Menschen müssen dann in Rente gehen, wenn sie noch leistungsfähig sind. Es darf nicht sein, dass dadurch Gefährdungen auf uns zukommen.

(Beifall bei der LINKEN – Pascal Kober
[FDP]: Wollen Sie den älteren Menschen den
Führerschein wegnehmen?)

Da mich der Herr Präsident gleich mahnen wird, komme ich jetzt zum Schluss und sage noch einmal ganz deutlich: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereit wären, 7 Euro im Monat mehr in die Rentenkasse einzuzahlen, und es einen höheren Bundeszuschuss gäbe, dann wäre die ganze Nummer mit der Rente erst ab 67 vom Tisch. Sagen Sie den Menschen, dass es um 7 Euro im Monat geht. Dann sperren Sie Ihre Ohren weit auf. Ich sage Ihnen voraus, dass alle sagen werden: Die zahlen wir gerne, wenn wir dafür weiterhin mit 65 in Rente gehen dürfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger
[CDU/CSU]: Typisch Linke! Den Arbeitnehmern
das Geld aus der Tasche ziehen! – Gegenruf
der Abg. Elke Ferner [SPD]: Das machen
Sie doch! Sie erhöhen doch alles!)

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Die Rede zum anschauen finden Sie hier:

http://www.matthias-w-birkwald.de/topic/38.bundestagsreden.html