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Videokonferenz in Gerichten

Rede von Jens Petermann,

96. Sitzung des Deutschen Bundestages, 17. März 2010


TOP 20: Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von
Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen
Verfahren


Drucksache 17 / 1224


Fraktion DIE LINKE, MdB Jens Petermann


Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), meine sehr verehrten Damen und
Herren,


der Gesetzentwurf des Bundesrates zum intensiven Einsatz von
Videokonferenztechnik ist leider unausgegoren und nicht bis zu Ende
durchdacht.
Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist bereits seit 1998 bzw. 2004 für
bestimmte Verfahren vorgesehen, soll aber nun auf Grund der sehr seltenen
Nutzung gesetzlich ausgebaut und gefördert werden. Neu ist die Ausweitung
des Einsatzes von Videotechnik auf Verfahren nach der Strafprozessordung.
Dieser Ausbau darf auf keinen Fall zu Lasten der Unmittelbarkeit der Verfahren
gehen oder zur Beschneidung von Beschuldigtenrechten führen. Im
vorliegenden Entwurf ist das aber der Fall, da vorgesehen ist, die fakultative
videogestützte Anhörung auch ohne Einverständnis des Betroffenen
anzuordnen.
Die Verfasser des Entwurfs preisen natürlich die Vorteile des vermehrten
Einsatzes von Videokonferenztechnik an. Dazu zählen eine Verringerung der
Reisetätigkeit und damit die Einsparung von Reisekosten, aber auch eine
angebliche Verfahrensbeschleunigung. Damit prophezeit der Bundesrat, dass
beim Einsatz von Videotechnik ein Prozess kostengünster gestaltet wird. Diese
Schlussfolgerung bezweifele ich sehr.
Wie sieht denn die Kehrseite der Medaille aus? Je Videokonferenzanlage
werden die Kosten auf 5.000 bis 12.000 Euro geschätzt, hinzu kommen noch
die Kosten für die Bereitstellung von Leitungen und Anschlüssen. Die
Einrichtung soll aus dem Etat der Justizverwaltungen gezahlt werden, ohne
dass diesen dafür zusätzliche Mittel im Haushaltsplan zur Verfügung gestellt
werden. Diese Vorgehensweise halte ich vor dem Hintergrund der leider immer
noch nicht befriedigenden Sach- und Personalausstattung vieler Gerichte für
verfehlt! Meine Thüringer Richterkolleginnen und Richterkollegen berichten
mir nach wie vor über Personalmangel, erneuerungsbedürftige technische
Ausstattung und Platzmangel in Justizgebäuden. Von daher ist es nicht
nachvollziehbar, dass nun der Einsatz von teurer Videotechnik forciert werden
soll, dies zu Lasten der eben genannten Problemfelder. Bevor moderne
Übertragungstechnik in baufällige Gerichtssäle eingebaut wird, sollten die
vorhandenen und Gelder in die Sanierung, die Sach-und Personalausstattung
gesteckt werden.
Die Verfasser sehen für dieses Serviceangebot der kundenorientierten Justiz
eine Gebühr von pauschal 15 Euro je Verfahren und je angefangene halbe
Stunde des Einsatzes vor. Damit sollen lediglich die anfallenden Betriebs-,
Verbindungs- und zusätzlichen Personalkosten abgedeckt werden.
Die Linke sagt: Dieser Service darf nicht zu Lasten der ohnehin schon
zusammengesparten Justiz und der Geldbörse der Rechtschutz suchenden
BürgerInnen gehen. Wenn man eine solche moderne Kommunikationsart in
Gerichtsverfahren einführen will, müssen die dafür benötigten Mittel zusätzlich
durch den Bund oder die Länder bereitgestellt werden und zwar ohne den
sowieso schon knappen Justizetat zu belasten.
Abgesehen von der Finanzierung begegnen dem Gesetzentwurf auch
inhaltliche Bedenken:
Die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach Dolmetscherleistungen
per Video in den Sitzungssaal übertragen werden sollen, halte ich für wenig
zielführend. So übersetzt der Dolmetscher regelmäßig nicht nur für das Gericht
selbst, sondern auch die vertraulichen Gespräche der Prozessparteien mit
deren Anwälten. Das Problem mit Dolmetschern liegt meist nicht darin, sie in
den Verhandlungssaal zu laden, sondern überhaupt einen Dolmetscher zu
finden. Daran ändert auch der Einsatz von Videotechnik nichts.
Die Änderung der Strafprozessordnung eröffnet der Polizei, der
Staatsanwaltschaft und den Gerichten die Möglichkeit, einen Zeugen außerhalb
der Hauptverhandlung durch Videoübertragung zu vernehmen. Bei der
Vernehmung eines Zeugen kommt aber besonders der persönlich –
wahrhaftige Eindruck für die Ermittlung der Glaubwürdigkeit und des
Beweiswertes zum Tragen. Dies ist Ausdruck der Unmittelbarkeit und
Mündlichkeit der Beweisaufnahme im Strafrecht. Eine Bild-Ton-Übertragung
steht einer persönlichen Vernehmung eines Zeugen an Erkenntnisgewinn also
nach und durchbricht den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Sogar die
Bundesregierung bemängelt, dass in manchen Fällen ein höchstpersönlicher
Eindruck von Zeugen oder Angeklagten erforderlich ist, dieser jedoch durch
Videoübertragung nicht ersetzt werden kann. Wenn man die Videovernehmung
gleichberechtigt neben der persönlichen Vernehmung ansiedelt, wird die
Ausnahme zur Regel und bedeutet das Ende der Unmittelbarkeit der
Beweiserhebung praktisch vor die Tür.
Mit der LINKEN ist ein verstärkter Einsatz von Videokonferenztechnik nur zu
machen, wenn die Rechte der Prozessbeteiligten nicht abgewertet werden und
die Finanzierung nicht auf Kosten des ohnehin schon zu niedrigen Justizetats
realisiert wird.
Der Entwurf muss dahingehend dringend nachgebessert werden