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Verteidigungshaushalt 2006: Bundesregierung setzt falsche Prioritäten

Rede von Paul Schäfer,

In seiner Rede zum Verteidigungshaushalt fordert der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE., Paul Schäfer, von der Bundesregierung deutliche Abrüstungsschritte um damit den Spielraum für konstruktive und friedliche Entwicklungszusammenarbeit und zivile Konfliktprävention zu vergrößern.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Rüstungslast von30 Milliarden Euro - so hoch ist sie nach NATO-Kriterien- ist meines Erachtens entschieden zu hoch. Der Personalumfang der Streitkräfte ist mit 250 000 Soldaten und Soldatinnen deutlich überdimensioniert. Der Prozess der Transformation der Bundeswehr zu einer Streitmacht, die global einsetzbar sein soll, ist in meinen Augen ein Irrweg, der unsere Sicherheit nicht erhöht im Gegenteil. (Beifall bei der LINKEN) Meine Fraktion plädiert dafür, den Fokus wieder auf die Landesverteidigung zu richten. Dafür wären100 000 Soldatinnen und Soldaten ausreichend. Wir könnten uns dann eine Reihe von sehr kostspieligen Großprojekten sparen und dieses Geld nützlicheren Dingen zuführen. Dass die Fraktion Die Linke ein überaus kritisches Verhältnis zum Militär und zu Militäreinsätzen hat, wird Sie nicht überraschen. Aber eines gilt auch für uns: Wir wollen uns um die sozialen Belange der Soldatinnen und Soldaten kümmern. Das sind Menschen aus Fleisch und Blut, die auch Hilfreiches tun können - das Stichwort Berchtesgaden ist gefallen - und die - ich sage das auch mit Blick auf das Gros der Zeitsoldaten - durchaus nur einen schmalen Geldbeutel haben. Aber auch für die Beamten des Bundes dort gilt, dass ihnen in den letzten Jahren einiges zugemutet wurde. So ist für uns die Senkung des schon einmal auf 60 Prozentgekürzten Weihnachtsgeldes noch einmal um die Hälfte nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN) Wir werden deshalb zu diesem Haushalt eine Anhebung beantragen. Wir halten diese Kürzung für unzumutbar. An der Stelle sind wir auch etwas radikaler als der Bundeswehr-Verband. Die Ost-West-Angleichung der Besoldung bis 2009ist jetzt endlich ins Auge gefasst worden. Sie war längst überfällig. Sie ist von uns lange gefordert worden.(Beifall bei der LINKEN) Der Gesetzgeber wird sich auch ganz dringend um die Rentenversorgung bei den Soldaten auf Zeit kümmern müssen. Hier besteht Regelungsbedarf. Hierzu muss es auch Vorschläge der Bundesregierung geben. (Vorsitz: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt) Schließlich müssen wir uns um die Sozialverträglichkeit bei der Umsetzung des Stationierungskonzeptskümmern. Wir nehmen die Klagen der Soldatinnen und Soldaten, aber auch der Zivilbeschäftigten sehr ernst. Sie berichten über schwierige Zukunftsaussichten dort, wo Stützpunkte in strukturschwachen Gebieten geschlossen werden. Es ist das alte Lied: Die Verantwortung darf nicht zwischen Bund und Ländern hin und her geschoben werden. Bund, Länder und Kommunen sind zusammen in der Pflicht, ein Konversionsprogramm zu entwickeln, mit dem die Folgen solcher Umstrukturierungsprozesse sozialverträglich aufgefangen werden. (Beifall bei der LINKEN) Nur ein Punkt zur Fußballweltmeisterschaft: technische Amtshilfe. Herr Minister, Sie haben es angesprochen. Wenn es so viele Anforderungen aus den Ländern gibt, in diesem Bereich aufzustocken, dann ist das doch nur ein deftiger Hinweis darauf, wie sehr die Länder in den letzten Jahren beim zivilen Katastrophenschutz und bei der Polizei haben sparen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Darüber muss gesprochen und hier muss korrigiert werden. Wir bleiben unserer Grundposition auch an einer anderenStelle treu: Wir lehnen Privatisierungen und Outsourcing ab. Das gilt gerade für einen so sensiblen Bereich wie die Bundeswehr. Hier geht es um maximale parlamentarische Kontrolle. Den bei der Bundeswehr Beschäftigten muss die Chance gegeben werden, zu zeigen, dass sie die Dienstleistungen, die gefordert werden, effektiv und kostengünstig erbringen können. Sie wollen die Bundeswehr zu einer globalen Einsatzarmeetransformieren. Das hat seinen Preis ich habe die Zahl genannt. Eben war ich bei den kleinen Zahlen, jetzt sind wir bei den großen Zahlen. Dieser Etat bleibt auf hohem Niveau. Er war nur dadurch zu halten, dass beider Marine Programme ausgelaufen sind und sich bei der Luftwaffe einige Verzögerungen ergeben haben. Sonst müssten Sie sogar noch aufstocken. Das ist eine Tatsache. Ich will an drei Beispielen zeigen, warum wir es nach unserer Meinung mit einer Fehlentwicklung bei der Einsatz-und Beschaffungsplanung zu tun haben. Dabei geht es auch um die Einsatzdoktrin. Beispiel Eurofighter. Dass die bestellten 180 Jagdflugzeuge viel zu viel sind, wusste man schon zu Volker Rühes Zeiten. Wir konnten locker zwei Flugzeuge an Österreich abgeben, dem es zu lange dauerte, bis seine Maschinen geliefert wurden. Außerdem hat man sehrschnell eine neue Einsatzrolle für diese Eurofighter gefunden, nämlich als Jagdbomber. Diese Rollenneuorientierung kostet einiges, eine schlappe halbe Milliarde Euro. Die Steigerung der Ausgaben für Rüstungsforschung im Haushalt geht zu einem großen Teil auf diese so genannte Rollenanpassung zurück. Dazu, dass hier in großem Stil Jagdbomber beschafft werden sollen, sagen wir ganz unmissverständlich: Jagdbomber für den nächsten Luftkrieg wollen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb sollte sich der Bundestag darüber verständigen, dass die zweite und dritte Tranche des Eurofighters nicht beschafft wird. In der SPD-Fraktion gab es Anfang des Jahres in dieser Frage einmal ein kurzes Aufmucken in der Richtung, dass man 2,8 Milliarden Euro sparen könne, wenn die dritte Tranche nicht beschafft werde. Davon hört man heute nichts mehr man ist sehr schnell eingeknickt. Hier hätte ich mir ein etwas couragierteres Auftreten der SPD gewünscht. (Beifall bei der LINKEN) Zweites Beispiel: Raketenabwehrsystem MEADS. Die Kollegin von der FDP hat schon darauf hingewiesen. Es gibt auch ausführliche Studien, die zu dem Schluss kommen, dass für die herkömmliche Flugabwehr die vorhandene Patriot reicht. Gegen die Bedrohungen durch ballistische Raketen ist das System ungenügend. Nur für den Schutz einer Truppe im Ausland hätte MEADS logistische Vorteile, wenn man es mit dem A400M verbindet. Allerdings hätten wir dann gern gewusst, an welche Einsatzszenarien dabei gedacht ist. Denn im Kongo oder im Sudan wird dieses Waffensystem nicht benötigt. Es ergibt höchstens Sinn, wenn man gegen eine relativ hoch gerüstete Militärmacht zu Felde zieht, zum Beispiel Pakistan oder Iran. Wollen wir das? Das ist die Frage, die da zu stellen ist. Auch hier geht es um schlappe 4 Milliarden Euro. Welche Kosten der Eurofighter verursacht, habe ich gar nicht erwähnt. Wir reden hier über einen zweistelligen Milliardenbetrag er liegt zwischen 20 und 30 Milliarden Euro. Bei MEADS geht es übrigens auch um industriepolitische Förderung. Das Flugzeugkapitel des Einzelplans14 ist ohnehin ein Riesensubventionstopf für eine Firma namens EADS. Keynesianismus ist ja ganz gut, aber Rüstungskeynesianismus ist schlecht. (Beifall bei der LINKEN) Drittes Beispiel: neue Korvetten und die geplante neue Fregattenreihe F 125. Ihr besonderes Merkmalsoll die deutlich gesteigerte Fähigkeit sein, von der See aus Landziele zu bekämpfen. Diese effektivierte See-/Landkriegsführung wird offensichtlich benötigt, um auf andere Länder einwirken zu können. Ich habe heute Morgen bei der Kanzlerin gelernt, dass man dafür sorgen muss, dass andere unsere Wertvorstellungen ernst nehmen. Das ist also das Szenario, an das da gedacht ist. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Herr Naumann, hat in einem Festvortrag kürzlich das Lob der Marine gesungen und hat Folgendes gesagt:„Am wirkungsvollsten ist … eine Strategie, die sich der Machtprojektion „onward from the sea“ bedienen kann, auch weil diese kaum von Überflug- und Zugangsrechten abhängig ist.“ Das ist Klartext. Da weiß man, wohin man mit diesen schwimmenden Plattformen will. Diese Plattformen sind geeignet für Expeditionary Forces, also für Eingreiftruppen, die langfristig Einsätze durchführen sollen. Auch hier stellt sich die Frage: Was sind das für Expeditionen, die da gestartet werden sollen? (Beifall bei der LINKEN) Ich bin mit solchen Bewertungen sehr vorsichtig. Die Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss, die mich etwasbesser kennen, wissen das. Diese Konzepte haben für mich verdammt viele Anklänge an die alte Kanonenbootpolitik, nur eben Kanonenbootpolitik mit den militärischen Mitteln des 21. Jahrhunderts. (Beifall bei der LINKEN - Widerspruch beider CDU/CSU) Tut mir Leid, dies sagen zu müssen. Lesen Sie nach, was der ehemalige Generalinspekteur Naumann gesagt hat! - Wir können vor einer solchen Entwicklung nur entschieden warnen. Die neuen Fregatten: nicht mit uns. (Johannes Kahrs [SPD]: Brauchen wir auch nicht!) Die Bundeswehr ist, wie wir hören, eine Armee im Einsatz. Dort, wo sie im Einsatz war, ist sie geblieben. Die Einsätze haben länger gedauert, als man gedacht hat. Es gibt immer mehr neue Einsatzszenarien: morgen im Kongo, übermorgen möglicherweise - im Herbst werden wir vielleicht diese Debatte führen - im Sudan. Nun können wir gerne über die Sinnhaftigkeit der einzelnen Missionen diskutieren ich bin sehr dafür. Aber wenn es so ist, dass immer mehr militärische Zwangsmittelbenötigt werden, um auf Konflikte einzuwirken, dann stimmt etwas an der Grundrichtung der internationalen Politik nicht. (Beifall bei der LINKEN) Dann müssen wir noch viel schärfer nach den Ursachen der gewaltträchtigen Konflikte in vielen Teilen der Weltfragen und noch viel gründlicher überlegen, wie man durch langfristige und auf Deeskalation ausgerichtete Entwicklungsstrategien diese Konflikte wirklich bewältigen kann. Wenn Länder durch Strukturanpassungsprogramme des IWF in noch größere Armut gestürzt werden und wenn sich das Wettrennen um gewinnträchtige Rohstoffressourcen vor Ort verschärft und durch westliche Firmenangeheizt wird, dann müssen wir zuerst über eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung und über eine gerechtere Ressourcenverteilung reden und nicht über Eingreiftruppen der NATO und der EU. (Beifall bei der LINKEN) Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat jüngst mehrfach auf die Riesendiskrepanz zwischen den Weltmilitärausgaben und den globalen Ausgaben für öffentliche Entwicklung hingewiesen: hie 1 Billion Dollar und da 58 Milliarden Dollar. (Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin:78 Milliarden Dollar!) - Entschuldigung, 78 Milliarden Dollar. Die Diskrepanz bleibt trotzdem bestehen. - Sie hat gefordert, dass die deutsche Politik hier zu einer grundlegenden Gewichtsverschiebung beitragen müsse. Dumm ist nur, dass zwei Drittel dieser Weltmilitärausgaben von der NATO bracht werden. Der NATO-Generalsekretär wird nichtmüde, eine Steigerung dieser Ausgaben zu fordern. (Beifall bei der LINKEN) Hier wäre ein wichtiges Betätigungsfeld für die Bundesregierung. Sie könnte die Überprüfungskonferenz hinsichtlich der konventionellen Streitkräfte in diesem Jahr nutzen, um über eine qualitative Abrüstung zu reden. Sie könnte auch den diesjährigen NATO-Gipfelnutzen, um eine Initiative einzubringen, wonach sich die NATO-Mitgliedsländer zu einer jährlichen Absenkung ihres Wehretats um 5 Prozent verpflichten. (Beifall bei der LINKEN) Das wäre eine ganz tolle Initiative. Herr Minister, setzen Sie sich doch einmal mit Ihrer Fachkollegin zusammen. Sie könnten das sozusagen innerhessisch regeln und sich überlegen, ob nicht eine solche Initiative im November anlässlich des NATO-Gipfels eingebracht werden könnte. Abrüstung immer nur woanders zu fordern, geht nicht. Nein, auch hier bei uns geht es um Abrüstung. Danke. (Beifall bei der LINKEN)