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Verbraucherpolitischer Bericht zeigt verbraucherpolitischen Nachholbedarf

Rede von Karin Binder,

Der Verbraucherpolitische Bericht zeigt, dass die Bundesregierung eine verbraucherpolitischen Gesamtstrategie und ein eigenständiges Profil vermissen lässt. Zentrale Themen wie das Verbraucherinformationsgesetz, die Lebensmittelkennzeichnung und insebsondere der finanzielle Verbraucherschutz sind äußerst dürftig oder noch gar nicht angegangen worden.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren!

Der Verbraucherpolitische Bericht 2008 der Bundesregierung zählt vor allem die EU-Vorgaben auf, die von der Bundesregierung umgesetzt wurden. Es ist mehr oder weniger eine Art Hausaufgabenheft, das abgearbeitet wurde, und zeugt leider nicht von viel Eigeninitiative.
Ich hatte die Hoffnung, dass durch den Wechsel von Herrn Minister Seehofer auf Frau Ministerin Aigner etwas mehr Schwung in die Sache hineinkommt. Diese Hoffnung gebe ich auch noch nicht auf, wenngleich ich das Gefühl habe, dass man noch ein bisschen Unterstützung braucht.
Deshalb haben wir heute einen Entschließungsantrag in die Debatte eingebracht. Mit der Drucksache 16/11907 haben wir eine kleine Hilfestellung bzw. Handreichung vorgelegt.

(Manfred Zöllmer (SPD): Klein auf jeden Fall!)

- Man muss sich auf wesentliche Dinge konzentrieren, Herr Kollege Zöllmer. Diese will ich nun benennen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Es ist klar, dass wir in unserem Fachbereich sehr viele Vorgaben von der EU bekommen. Das stellt ein gewisses Problem dar; denn die volle Harmonisierung innerhalb der EU ist aus meiner Sicht ein sehr langfristiges Ziel. Im Augenblick dürfen wir auf keinen Fall Richtlinien oder Vorgaben einfach eins zu eins umsetzen; denn damit befördern wir in der EU nichts. Wir wollen, dass Standards angehoben werden. Wir wollen, dass Schutz verbessert wird. Das erreicht man aber nicht, indem man der EU folgt und alles auf dem kleinstmöglichen Level harmonisiert.
Die Regierung bzw. wir sollten im Rahmen der Verbraucherschutzpolitik deutlich machen, dass wir zwar Mindeststandards über die EU definieren, dass aber höhere Standards in den einzelnen Mitgliedstaaten selbstverständlich zu schützen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Es müssen Spielräume gegeben sein, dass jedes Mitgliedsland höhere Standards anwenden kann. Nur so erreichen wir, dass auch in den anderen Mitgliedstaaten langfristig Schutzstandards verbessert werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Zuruf von der FDP: Wo ist das Problem?)

- Das Problem ist, dass im Augenblick sehr viele Vorgaben eins zu eins umgesetzt werden und uns erklärt wird, es gebe keine Spielräume. Dies betrifft unter anderem das Thema der Ampel. Ich denke, für die Lebensmittelkennzeichnung wäre es ein Fortschritt, wenn wir die Spielräume so nutzen würden, dass es für die Verbraucherinnen und Verbraucher langfristig eine klare und eindeutige Kennzeichnung gibt. Ich freue mich, dass Sie versuchen, eine verbindliche Kennzeichnung durchzusetzen.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Wissenschaftlich basiert! - Hans-Michael Goldmann (FDP): Mit der Ampel!)

- Mit der Ampel ist es für alle Menschen auf einen Blick sofort klar und erkennbar, was positiv und was vielleicht nicht ganz so positiv ist. Wir sollten aber auf jeden Fall auf Erfahrungen anderer Länder zurückgreifen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Die Ampel ist aber nur ein Teil. Ich denke, es geht insgesamt um eine Lebensmittelkennzeichnung, bei der wir erreichen müssen, dass Zusatzstoffe oder gentechnisch veränderte Organismen und andere Bestandteile klar erkennbar sind und größtmöglicher Schutz vor Belastungen durch z.B. Pflanzenschutz oder Pestiziden gewährleistet wird.

Damit sind wir bei der Verbraucherinformation. Das Verbraucherinformationsgesetz wurde erfreulicherweise bereits angesprochen. Seine Novellierung ist dringend notwendig.
Die vorliegenden Erfahrungen der Verbraucherverbände und der Organisationen sind so dramatisch, dass ich meine, man muss sofort handeln, statt die Novellierung auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben, bis irgendwelche Evaluierungen stattgefunden haben. Ich denke, die Evaluierungen sind bereits durch die Verbände erfolgt, und sie belegen, dass die jetzige Regelung ein Bürokratiemonster ist, das den Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Informationen verschafft, und dass die Behörden mit der Auskunft, die sie zu erteilen hätten, völlig überfordert sind.
Lassen Sie uns doch den Weg beschreiten, die Auskunft direkt bei den Firmen einzuholen durch einen Rechtsanspruch auf Information beim Hersteller oder Händler.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Beim Brötchenholen beim Bäcker samstagmorgens!)

Denn dort liegen die Informationen vor. Der kostspielige Weg über die Behörden ist nicht notwendig. Er wird von den meisten Menschen nicht beschritten, weil sie die Kosten scheuen. Von daher sollte die Novellierung lieber jetzt als später erfolgen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) Julia Klöckner (CDU/CSU): Das reicht! - Manfred Zöllmer (SPD): Ja, ja! Wir haben ja bald Karneval!)

Ein weiteres wichtiges Thema ist der Datenschutz. Wir müssen unbedingt verhindern, dass Daten durch den Versandhandel, durch das Internet, was heutzutage selbstverständlich geworden ist, in falsche Hände geraten. Dort muss ich persönliche Daten angeben. Wie sollte denn die Ware den Käufer erreichen, wenn er nicht wenigstens seine Adresse angibt? Meist muss auch die Bankkontonummer oder Kreditkarte angegeben werden.
Klar ist, dass diese Daten geschützt werden müssen. Wenn keine Einverständniserklärung im jeweiligen Fall erteilt wird, dann wandern die Daten nirgendwo hin. Ein Unternehmen, das die persönlichen Daten weitergibt, macht sich strafbar. Das muss künftig der Fall sein. Ohne Zustimmung geht nichts. Nur so verhindern wir, dass die Datensammlung zu einem Datenmissbrauch führt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Weitere Themen, die durch die Finanzkrise sehr wichtig geworden sind, sind einerseits der Anlegerschutz und andererseits die Verbraucherkredite. Hier sind dringend regulierende Maßnahmen notwendig. Zum Thema Anlegerschutz haben wir bereits im Dezember einen Antrag eingebracht. Frau Aigner, ich hoffe, Sie nehmen ihn zur Beratung mit ins Kabinett.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Man kann ihn mitnehmen! Aber ernst nehmen kann man ihn nicht!)

Frau Aigner hat doch bereits einige unserer Vorschläge aufgegriffen, unter anderem die Verlängerung der Verjährungsfrist und das Protokoll über die Beratung.

(Julia Klöckner (CDU/CSU): Aber lesen Sie mal den Rest Ihres Antrags!)

Wenn noch unser Vorschlag einbezogen wird, eine Prospektpflicht einzuführen, in dem eindeutig beschrieben wird, in welche Art von Geldanlage die Menschen ihr Erspartes investieren werden, dann ist das sicherlich ein sinnvoller Schritt.
Ich denke, ein Finanz-TÜV, der überprüft, ob die Prospekte wahrheitsgemäß sind und zwischen risikobehafteter und sicherer Anlage unterscheiden, bietet eine gute Hilfestellung. Das kann man im Kabinett ruhig aufgreifen und umsetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Aber damit nicht genug. Die Finanzkrise bewirkt, dass noch viele Menschen ohne eigenes Verschulden in Schulden geraten werden. Wahrscheinlich werden dieses Jahr noch mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Viele werden Probleme haben, ihre Ausgaben zu bestreiten.

(Mechthild Rawert (SPD): Das wissen wir noch gar nicht! Erst mal gibt es dann Kurzarbeit!)

Wir werden vermutlich eine Schwemme von Fällen erleben, in denen Menschen Kredite nicht mehr ohne Hilfe abtragen können.
Der Ausbau der unabhängigen Finanzberatung ist dringend notwendig. Denn ich sehe die Verkäufer und Verkäuferinnen in den Banken und Finanzinstituten nicht als unabhängige Berater an. Sie arbeiten provisionsorientiert und verkaufen daher das einträglichste Produkt. Eine wirkliche Beratung muss durch eine unabhängige Stelle erfolgen. Dazu muss die finanzielle und personelle Ausstattung der Verbraucherberatung gewährleistet sein. Gleichzeitig müssen wir uns über die Schuldnerberatung Gedanken machen, die ebenfalls entsprechend ausgestattet werden muss. Damit können wir in der Finanzkrise den Menschen Hilfestellung bieten. Wenn dieser Ausbau nicht erfolgt, nicht mit Bundesmitteln unterstützt wird, dann sehe ich schwarz. Deshalb fordere ich die Regierung auf, sich im Zusammenhang mit der Finanzkrise hierbei zu engagieren, die Verbraucherverbände personell und materiell ausreichend auszustatten und die Schuldnerberatung entsprechend zu unterstützen; denn die Menschen werden diese Hilfe brauchen.

(Beifall bei der LINKEN - Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Die Hilfe der Regierung hilft nur den Banken! - Gegenruf des Abg. Manfred Zöllmer (SPD): Das ist doch Blödsinn!)

Frau Ministerin, Sie haben vom Leitbild des mündigen Verbrauchers gesprochen. Das eine ist: Es gibt natürlich noch viel mehr Verbraucherinnen. Das andere ist: Ich will viel lieber die Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzen, selbstbestimmt als Konsumentinnen und Konsumenten am Markt teilzunehmen sowie tatsächlich eine Wahl im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten und aufgrund guter Informationen zu treffen. Sie unterstellen eigentlich, dass die Menschen heute noch nicht mündig sind. Das tue ich nicht. Ich möchte selbstbestimmte und selbstbewusste Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich hoffe, dass Sie sich in diesem Sinn einsetzen werden.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.