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Unterstützung für Erdogans Eskalationspolitik beenden!

Rede von Inge Höger,

Aktuelle Stunde zur Lage in der Türkei nach dem Terroranschlag in Ankara

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

 

Zunächst möchte ich den Angehörigen und Freunden der Opfer des Bombenattentats in Ankara mein tiefes Mitgefühl ausdrücken. 97 zumeist junge Menschen haben ihr Leben verloren, weil sie an einer Friedensdemonstration teilnehmen wollten. Nicht wenige der angereisten Demonstrierenden hatten im Juli nur knapp den Anschlag in Suruç überlebt. Dass so mutige Menschen heute nicht mehr leben, ist ein großer Verlust - nicht nur für die Türkei.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zurzeit erleben wir in der Türkei, wie aus einem Wahlkampf etwas wird, was man inzwischen wohl als Wahlkrieg bezeichnen muss. Wir wissen noch nicht, wer für die verheerenden Attentate verantwortlich ist, aber wir wissen, welche Wirkung sie entfalten. Sie verstärken die Politik der Eskalation und Spannung, die die Türkei in den letzten Monaten immer tiefer in einen Bürgerkrieg gezogen hat.

Es ist unübersehbar, dass der türkische Präsident Erdogan mit seiner Bürgerkriegs- und Repressionspolitik hofft, bei den Wahlen am 1. November 2015 ein besseres Ergebnis zu erzielen als im Juni. Diese Politik ist zynisch, unmenschlich und unverantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wirklich unverständlich, dass Angela Merkel Erdogan mitten im Wahlkampf einen Besuch abstatten wird. Das wird von den türkischen Medien als eine Art Wahlkampfunterstützung inszeniert werden. Daran kommt sie gar nicht vorbei.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das ist es auch!)

Ich stimme natürlich zu, dass sie auch mit der Opposition reden muss, aber dies ist der falsche Zeitpunkt.

Völlig zynisch und unverständlich sind die Stimmen, die die Türkei zu einem sicheren Herkunftsland erklären wollen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

In der letzten Woche konnte und musste ich im Osten der Türkei direkt erfahren, welch verheerende Politik dort mithilfe der türkischen Armee und Polizei betrieben wird. Ganze Städte werden dort unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung über viele Tage komplett von der Außenwelt abgeriegelt. Mein Eindruck vor Ort war, dass hier die Bevölkerung in einer Region, in der die HDP bei den letzten Wahlen 80 bis 90 Prozent der Stimmen erzielte, kollektiv bestraft und eingeschüchtert werden soll. Denn: Was hat die Unterbrechung der Wasserversorgung einer Stadt mit Terrorbekämpfung zu tun? Was trägt die Erschießung von Kindern im eigenen Innenhof zur Sicherheit bei? Wie stellt man mit der Verweigerung von medizinischer Versorgung die öffentliche Ordnung her?

Diese Politik verstößt gegen Völker- und Menschenrecht und muss sofort beendet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sah in mehreren Städten die Resultate der sogenannten Antiterrorpolitik: zerstörte Stadtteile, ausgebrannte Häuser und Geschäfte sowie Dutzende frischer Gräber auf den Friedhöfen. Zuvor mussten die Menschen viele Tage in ihren Häusern ausharren - ohne Elektrizität, ohne Wasser und ohne die Möglichkeit, Nahrungsmittel zu kaufen.

In Cizre wurden während der zehn Tage dauernden Abriegelung 21 Menschen getötet, 11 davon starben durch direkte Kopfschüsse und 6, weil die Ambulanzen nicht fahren durften - darunter viele Kinder und alte Menschen. In einer anderen Stadt, in Silvan, nahm ich an der Beerdigung einer alten Frau teil, die während der Blockade an einer friedlichen Protestaktion von Müttern teilgenommen hatte. Sie wurde angeschossen und verblutete, weil auch hier die Ambulanzen nicht fahren durften. Diese Politik darf aus Deutschland nicht gestärkt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der türkische Friedensblock hatte die Demonstration in Ankara organisiert, um eine klare Botschaft an alle Konfliktparteien im Bürgerkrieg zu senden: Verhandeln statt Schießen! Menschen starben mit Pappschildern in der Hand, auf denen „Frieden jetzt“ stand. Die PKK hatte bereits vorher beschlossen und das nun auch öffentlich erklärt, wenigstens bis zum Wahltermin die Waffen ruhen zu lassen. Es wird höchste Zeit, dass auch die türkische Regierung die Waffen ruhen lässt. Die Linke fordert von beiden Seiten einen umfassenden und bedingungslosen Waffenstillstand.

(Beifall bei der SPD - Michael Brand (CDU/CSU): Dann wird es ja werden!)

Es ist übrigens völlig unverständlich, dass in der türkischen Politik der sogenannte „Islamische Staat“ mit der PKK gleichgesetzt wird. Ohne mich jetzt tiefer mit diesem abwegigen Vergleich auseinanderzusetzen, macht es doch einen fundamentalen Unterschied, ob Kräfte verhandlungsbereit sind oder nicht. Während der türkische Staat in der Vergangenheit die Verhandlungsangebote vonseiten der PKK immer wieder ignoriert hat, wurden Kräfte des IS mehr oder weniger offen unterstützt. Heute werden durch die türkische Armee in Syrien unter dem Vorwand des Kampfes gegen den IS vor allem kurdische Kräfte bombardiert.

Die Bundesregierung könnte mit einer Aufhebung des PKK-Verbotes in Deutschland ein Zeichen für Deeskalation und Verhandlung setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es liegt auch an der deutschen Regierung, alles zu tun, um sich für Frieden und Demokratie in der Türkei einzusetzen. Dazu gehört auch der sofortige Stopp sämtlicher Rüstungsexporte in die Türkei.

(Beifall bei der LINKEN)

Unverantwortlich ist, dass gerade in dieser Zeit die Schnelle Eingreiftruppe der NATO in die Türkei geschickt werden soll. Auch dies kann nur als Unterstützung von Erdogans Kurs interpretiert werden. Machen Sie Schluss damit!

(Beifall bei der LINKEN)