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Unternehmen werden entlastet - der Bürger zahlt den Preis

Rede von Barbara Höll,

Die Politik der großen Koalition belastet im Zeichen der Haushaltskonsolidierung die Bevölkerung durch Steuergesetzte die in die Mitte der Gesellschaft zielen und durch fortschreitenden Sozialabbau - den Unternehmen und Vermögenden werden ungeachtet der Haushaltslage weiter Steuergeschenke gemacht. Barbara Höll in der Haushaltsdebatte zum Einzelplan 08 (Bundesministerium der Finanzen)

Herr Minister Steinbrück! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bernhardt, Sie können vor allem eines: sich erfolgreich ein X für ein U vormachen. Herr Kampeter hat hier zum Glück sehr offen gesprochen: Er hat von einem Haushalt der brutalen Konsolidierung gesprochen. Herr Kampeter, selbst seit 1990 im Bundestag, also durchaus Mitverantwortung tragend für den Zustand, in dem sich der Bundeshaushalt befindet, der bei jeder Haushaltsberatung konsolidiert werden soll, verkündet, die Politik, die hier gemeinschaftlich gemacht werde ich möchte unterstreichen: die Linksfraktion war nicht beteiligt an der unsozialen Politik, die Sie vornehmen, und wird sich auch nicht beteiligen , (Beifall bei der LINKEN) sei alternativlos. Das ist nicht nur feige, weil Sie damit nicht zu Ihren Entscheidungen stehen; es ist kleinmütig und Sie machen sich damit eigentlich überflüssig. Wozu brauchen wir Sie denn noch als Parlamentarier, wenn es keine Alternativen gibt? Dann können wir doch irgendeine Verwaltung einsetzen, die das umsetzt. Nein, unser Anspruch ist höher. Politik hat etwas mit dem Finden von Antworten auf die anstehenden Fragen zu tun. Es gibt immer verschiedene Antworten. Man braucht aber Mut, um darüber zu diskutieren. (Beifall bei der LINKEN) Herr Steinbrück, ich habe sehr wohl gehört, dass Sie zu Recht große Worte bezüglich der Notwendigkeit des Staates gefunden haben. Wir brauchen tatsächlich einen Staat, der für Infrastruktur, öffentliche Daseinsvorsorge, Bildung und vieles andere bürgt. Niemand sonst wird entsprechend für die Umwelt eintreten und für Kindertagesstätten, Schulen sowie einen gleichen Zugang zu Bildung für alle sorgen. Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Denn das, was Sie an Antworten vorlegen, entspricht nicht dem, was Sie thematisiert haben. Sie selbst haben beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer in Frankfurt gesagt: Man kann den Bundeshaushalt als nüchternes Zahlenwerk betrachten - was er natürlich auch ist. Aber es macht auch viel Sinn, sich immer wieder die gesellschaftspolitischen Botschaften, die sich in den nüchternen Zahlen abbilden, vor Augen zu führen. Die nüchternen Zahlen belegen, dass die Verschuldung der öffentlichen Hand und eben auch des Bundes seit Jahren kontinuierlich ansteigt. 1995 waren es umgerechnet 1 019 Milliarden Euro, 2000 waren es 1 468 Milliarden Euro, 2006 sind es 1 491 Milliarden Euro. 38 Milliarden Euro sind die höchste Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt. Die Neuverschuldung war unabhängig davon, ob die Regierung von CDU/CSU und FDP, von SPD und Grünen oder von der großen Koalition gestellt wurde. In schöner Einigkeit haben Sie in den letzten 16 Jahren eine Politik gemacht, die dazu geführt hat, dass unsere Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf die Probleme in der gegenwärtigen Situation beschränkt sind, weil ein großer Teil des Geldes, das wir eigentlich haben, durch die Tilgung der aufgenommenen Kredite gebunden ist. Wir haben also auch im Bundeshaushalt durchaus ein strukturelles Problem. Die Frage ist, wenn man diesen finanztechnischen Begriff zu unterfüttern versucht: Ist es ein Einnahme- oder ein Ausgabenproblem? Ihre heutige Antwort war wieder eindeutig: Wir brauchen eine brutale Konsolidierung. Das heißt, Sie gehen und das seit Jahren von einem Ausgabenproblem aus. Könnte es nicht aber vielleicht sein, dass wir ein Einnahmeproblem haben? (Beifall bei der LINKEN) Ich stelle klar, dass wir als Linksfraktion nicht gegen die Aufnahme von Krediten sind. Nein; Kredite sind im privaten Bereich sehr gut und können das auch für die öffentliche Hand sehr wohl sein (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Deswegen wollt ihr eine Milliarde mehr aufnehmen!) wenn sie tatsächlich dazu dienen, Investitionen in die Zukunft zu tätigen. Geld für Bildung ist nicht falsch, auch nicht, wenn es kreditfinanziert ist. Aber was haben Sie mit den Krediten gemacht? Sie haben in den letzten Jahren einfach Blankoschecks an die Wirtschaft ausgeteilt und sind dabei, das wieder zu tun. Sie versprechen weitere Steuererleichterungen; immer mehr Geld wird rausgepfeffert. Wir können es uns anscheinend leisten, darauf zu verzichten. Irgendwann werden sicher Arbeitsplätze geschaffen werden. Aber es sind keine Arbeitsplätze geschaffen worden. Wir haben einen Arbeitslosenstand von offiziell fast 5 Millionen Menschen. Viele können trotz Vollerwerbstätigkeit von ihrer Arbeit nicht leben. So viel zu der Bemerkung, die vorhin nebenbei fiel, es könne sein, dass in Deutschland die Nichttätigkeit zu stark gefördert werde. Im Gegenteil, die Menschen arbeiten und können trotzdem nicht davon leben. Aber Sie stellen sich diesen Problemen nicht. Wie sehen nun Ihre Antworten aus? Sie sagen, dass wir kein Geld haben und deshalb konsolidieren müssen. Eine Maßnahme zur Konsolidierung ist die Mehrwertsteuererhöhung, mit der insbesondere Arbeitslose sowie Rentnerinnen und Rentner getroffen werden; denn sie müssen ab 1. Januar nächsten Jahres durchschnittlich 20 Euro im Monat mehr für ihren Lebensunterhalt aufbringen. Ich habe aber noch nichts davon gehört, dass Sie die BAföG-Sätze erhöhen wollen. Warum bringen Sie nicht ein entsprechendes Gesetz ein? Das wäre eine ehrliche Antwort auf die durch Ihre Politik verursachten Probleme. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe auch noch nicht gehört, dass Sie bereit sind, das Kindergeld zu erhöhen. Nein, etwas anderes wird anvisiert. Nächste Woche wollen Sie eine Regelung verabschieden, mit der die Bezugsdauer für das Kindergeld gekürzt werden soll, indem die Altersgrenze von 27 auf 25 Jahre herabgesetzt wird. Das bedeutet nicht nur, dass das Kindergeld einer bisher anspruchsberechtigten Person gestrichen wird. Es bedeutet auch, dass noch weitere Leistungen verloren gehen. Davon werden im nächsten Jahr 451 000 Kindergeldberechtigte betroffen sein: 10 000 unterhaltspflichtigen Eltern, die arbeitslos sind, streichen Sie einfach das Kindergeld. Gleichzeitig sinkt auch der Anspruch der arbeitslosen Eltern, so sie noch Arbeitslosengeld I bekommen, von 67 auf 62 Prozent. Sie haben nicht nur den Ausfall von 154 Euro zu verkraften. Nein, sie haben auch noch die Senkung des Arbeitslosengeldes zu verkraften. Außerdem hängen noch eine ganze Reihe anderer Punkte wie die Riesterrente daran. Entsprechende Maßnahmen, die hier einfach mal so verkündet werden, sollen nächste Woche durchgewunken werden. Sie haben die Hartz-IV-Gesetze verschärft, indem Sie unter anderem die Rentenversicherungsbeiträge von Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und Empfängern von 78 Euro auf 40 Euro gesenkt haben. Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet? Diese Menschen werden später in Altersarmut leben müssen, weil die Rentenbeiträge gesenkt werden und sie auf der anderen Seite keine Chance haben, Arbeit zu bekommen und für ihr Alter selbst vorzusorgen. Sie haben die Begrenzung der Sozialversicherungsfreiheit für Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge eingeführt. Sie wollen die Zuschüsse für die gesetzlichen Rentenkassen senken. Auch das wird natürlich dazu führen, dass die Beiträge steigen. Durch diese Reihe von Maßnahmen es ist Ihnen auch jede Schnüffelei bei Empfängerinnen und Empfängern von Hartz IV recht werden die Menschen belastet, die nur ein sehr geringes oder ein mittleres Einkommen haben. Mehrwürdigerweise ist jedoch ausreichend Geld für andere Dinge vorhanden. Die degressive AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter wurde von 20 auf 30 Prozent erhöht. Was kostet die Welt? Was macht es schon, wenn wir 2,4 Milliarden Euro weniger Einnahmen in einem Jahr haben? Wir haben es doch! Sie wollen eine Abgeltungssteuer für Kapitaleinkünfte vom 30 Prozent. Der Sparerfreibetrag für die Kleinsparer hingegen wird halbiert. Das heißt, der Kleinsparer muss mehr zahlen; aber diejenigen, die ein hohes Sparvermögen haben, werden privilegiert, indem auf ihre Zinserträge nicht mehr eine Steuer in Höhe ihres individuellen Steuersatzes erhoben wird. (Beifall bei der LINKEN) Die Eckdaten der Unternehmenssteuerreform sind der Öffentlichkeit schon bekannt. Herr Steinbrück, ich muss Sie loben das mache ich in diesem Fall gerne , dass Sie hart bleiben, was die Gewerbesteuer betrifft. Denn Sie treten für den Erhalt dieser Steuer und für die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ein. Andererseits wollen Sie als Finanzminister auf 8 Milliarden Euro verzichten. Ich frage mich wirklich, woher Sie das fehlende Geld nehmen wollen. (Beifall bei der LINKEN) Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt ist Ihre Antwort auf diese Einnahmeausfälle. Eine solche Politik kann man nicht mittragen. Sie ist unsozial und die Fortsetzung einer neoliberalen Politik der Umverteilung von unten nach oben. Wenn Sie mutig wären, dann würden Sie sich gerade im Bereich der Unternehmensbesteuerung dem realen Problem stellen, dass wir in Deutschland auf der einen Seite zwar eine hohe nominale Steuerbelastung haben, dass wir aber auf der anderen Seite - auf die entsprechenden Zahlen wies Herr Bernhard vorhin hin - eine sehr geringe effektive Steuerbelastung haben. Das heißt, die Unternehmen zahlen effektiv keine Steuern in Höhe der von Ihnen vorhin genannten 39 Prozent. Im Durchschnitt zahlen die international tätigen Konzerne in Deutschland auf ihre Gewinne gerade einmal 15 bis höchstens 20 Prozent Steuern. Wenn Sie mutig wären, würden Sie sagen, dass es diese Lücke gibt und dass sie geschlossen werden muss. Aber wir schließen sie nicht, indem wir einfach die Steuersätze senken; wir schließen sie vielmehr, indem wir sicherstellen, dass die nominalen Steuersätze auch tatsächlich gezahlt werden. Das wäre mutig. (Beifall bei der LINKEN) Der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, von der Sie immer reden und die hierbei eine Rolle spielen würde, stellen Sie sich nicht. Sie sind zwar bereit, die Steuersätze zu senken. Sie sind aber nicht bereit, Steuerschlupflöcher tatsächlich zu schließen, und Sie sind nicht bereit, sich den realen Problemen in diesem Land zu stellen. Wir werden diese Politik nicht mitmachen, so wie wir auch bei der Mehrwertsteuererhöhung nicht mitmachen. Die Landesregierungen mit unserer Beteiligung haben der Mehrwertsteuererhöhung nicht zugestimmt. Sie können davon ausgehen, dass sich diese Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung auszahlt. Wenn wir an weiteren Regierungen beteiligt sein werden, wird es auf Bundesebene und in den Ländern Widerstand geben. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN)