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»Unter Kohl war die Marktwirtschaft noch sozialer als heute«

Rede von Gregor Gysi,

Antwort auf die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel zu ihrem Regierungsprogramm für 2014

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich hoffe, dass ich außerhalb meiner Redezeit doch noch einen Satz dazu sagen darf.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Kanzlerin, ich hatte im letzten Jahr auch einen Ski-Unfall. Wir müssen einfach beide lernen, altersgerecht Sport zu treiben.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist jetzt aber uncharmant, mein lieber Gregory Gysi! - Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Ganz schlechter Einstieg!)

  Wir werden das hinbekommen.

Aber nun zum Ernst der Lage und damit zu Ihrer Regierungserklärung: Sie haben eine Erklärung abgegeben, die in weiten Teilen mit der Realität nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass wir in diesem Jahr den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, den 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges begehen. Deshalb begreife ich nicht, weshalb auch diese Regierung derart militärisch denkt und handelt. Frau von der Leyen hat gesagt: Es geschähen ja Mord und Vergewaltigung; darum müsse die Bundeswehr nach Afrika marschieren.   Ich bitte Sie: Wenn das das Ziel ist, dann müssten wir die Bundeswehr ja weltweit einsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber nicht nur darum geht es. Es geht um etwas ganz anderes. Wenn es Ihnen wirklich um die Bekämpfung von Not geht, sollten Sie sich eine Zahl vor Augen führen: Jährlich sterben auf der Erde 70 Millionen Menschen, davon 18 Millionen an Hunger und den Folgen von Hunger. Da sterben Millionen Kinder, Millionen Frauen. Ich habe noch nie von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, oder von Ihnen, Frau von der Leyen, oder von Ihnen, Herr Gabriel, gehört, dass Sie sagen: Das ist die Not, die wir bekämpfen müssen. Wir müssen sofort da hin und etwas unternehmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nur wenn geschossen wird, dann soll die Bundeswehr mitschießen. Das ist doch wirklich überhaupt kein Argument. Ich kann es wirklich nicht verstehen.

Die Hilfe, die wir weltweit gegen Hunger leisten, gerade auch in Afrika, ist sehr, sehr gering, viel zu gering. Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen   ich muss es Ihnen sagen   töten zum Teil, und sie werden zum Teil auch getötet; das ist schlimm genug. Wenn sie dann zurückkommen, kommen sie zum Teil auch krank zurück. Ein Drittel aller Soldatinnen und Soldaten sind psychisch gestört. Das militärische Vorgehen, der Krieg, ist der falsche Weg. Die Probleme der Menschheit müssen wir gänzlich anders lösen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben über NSA gesprochen. Nun wissen wir ja dank Snowden, dass 80 Prozent aller Übermittlungen per Internet, Handy, SMS, über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter abgehört und kontrolliert werden. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben gesagt, Sie arbeiteten mit der Kraft der Argumente. Ich sage Ihnen: Das ist deutlich zu wenig!   Wenn Sie Ihre Unterwürfigkeit gegenüber den USA nicht aufgeben, gibt es keine Partnerschaft und keine Freundschaft. Diese erzeugt vielmehr genau das Gegenteil davon.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Grundgesetz ist doch der Schutz der Privatsphäre geregelt. Es gibt ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie haben einen Eid geleistet, die Bevölkerung zu schützen. Wo bleibt denn hier der Schutz? - Indem man nur mit der US-Regierung redet, geht es nicht weiter. Warum weisen Sie nicht Leute, die aus den Botschaften heraus Spionage betreiben, aus unserem Land aus?

(Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann wäre die Russische Botschaft leer!)

Warum werden von der Bundesanwaltschaft keine Ermittlungsverfahren eingeleitet, obwohl Straftaten begangen worden sind? Wieso gilt hier zweierlei Recht?   Auch das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun kommt noch eines hinzu. Präsident Obama hat ja erklärt, dass die Staats- und Regierungschefs befreundeter Staaten nicht mehr abgehört werden. Das ist ein Schutz für Herrn Gauck und für Frau Merkel. Was ist aber mit den 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern dieses Landes? – Für diese tragen Sie eine Verantwortung!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Jetzt kommt etwas Neues. Herr Snowden hat erklärt - das haben wir übrigens von Anfang an gesagt -, dass natürlich auch Wirtschaftsspionage betrieben wird. Dazu haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, kein Wort gesagt. Von Anfang an haben wir gesagt, dass auch Wirtschaftsspionage betrieben wird. Jetzt ist es die Linke, die allein die Unternehmen schützen muss. So weit ist es inzwischen in dieser Gesellschaft gekommen.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

  Ja, machen Sie denn etwas dagegen, dass die Unternehmen ausspioniert werden? – Nein, die Einzigen, die sich wirklich dagegen wenden, sind wir.

Sie haben über Europa gesprochen. Europa und die Europäische Union sind wichtig. Der Frieden zwischen den Mitgliedsländern ist etwas, was erst jetzt zur Realität geworden ist. Frühere Jahrhunderte waren völlig anders geprägt. Aber wenn wir die Europäische Union wollen, dann müssen wir erreichen, dass die Menschen sie als Hort des Friedens, der Demokratie und des sozialen Wohlstands wahrnehmen können. Was macht die EU stattdessen? Sie fasst Aufrüstungs- und Militärbeschlüsse. Zwei Banker werden ohne Volkswahlen einfach zu Ministerpräsidenten gemacht, so in Griechenland und in Italien. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. In Griechenland haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent, in Spanien von über 50 Prozent. Und das alles auch auf Druck der vorherigen Bundesregierung!
Herr Steinmeier, als Sie noch in der Opposition waren, haben Sie an diesem Pult die Sparpolitik im Hinblick auf Griechenland kritisiert. Jetzt fahren Sie als Außenminister nach Griechenland und sagen, sie müssten so weitermachen wie bisher. Das heißt, es soll bei diesem Sozialabbau bleiben. Das ist antieuropäisch, aber es ist nicht antieuropäisch, wenn man soziale Gerechtigkeit für Europa fordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will auch folgenden Zusammenhang erwähnen: Wir stellen in Deutschland doppelt so viel her, wie wir benötigen. Also sind wir auf den Export angewiesen. Aber das bedeutet, dass andere Länder weniger herstellen müssen, als sie benötigen. Um unsere Waren zu kaufen, brauchen diese Länder Geld. Dafür machen sie Schulden. Nun werfen wir ihnen die Schulden vor, nachdem wir an unseren Waren so viel verdient haben.

SPD und Grüne sind damals mit der Agenda 2010 einen bestimmten Weg gegangen. Man hat einen Niedriglohnsektor eingeführt, übrigens der größte in Europa. Deutschland hat den größten Niedriglohnsektor in ganz Europa. Sie haben die prekäre Beschäftigung eingeführt. Wir hatten sinkende Reallöhne und Realrenten. Dadurch wurde alles billiger, und dadurch hat der Export zugenommen. Wann begreifen wir denn endlich, dass wir einen umgekehrten Weg gehen müssen? Wir müssen einen Ausgleich im Außenhandel herstellen. So etwas gelingt nur, wenn wir höhere Renten, höhere Löhne, höhere Sozialleistungen haben und wenn wir endlich die Binnenwirtschaft durch höhere Kaufkraft stärken. Das ist der Weg, den wir gehen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt treiben Sie den Sozialabbau im Süden Europas voran. Eines Tages kann es passieren, dass unser Export stark beeinträchtigt wird, weil der Süden Europas unsere Waren nicht mehr bezahlen kann. Die Steuereinnahmen sind dort ebenfalls rückläufig. Was machen Sie dann? Fordern Sie dann eine neue Agenda 2010? Wollen Sie, um noch etwas verkaufen zu können, dass die Sozialleistungen weiter gesenkt werden? Es wäre verheerend. Wir müssen heraus aus diesem Kreislauf.

Das Ungerechteste in der Euro-Zone ist folgende Tatsache: Alle Millionäre der Euro-Zone besitzen ein Geldvermögen - ich rede nicht von Immobilien und Unternehmen, sondern nur vom Geldvermögen -, das größer ist als die Staatsschulden der Euro-Staaten. Das ist die eigentliche Ursache. Aber Sie trauen sich nicht an die geringste Umverteilung heran. Das wird das Problem dieser Bundesregierung werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gabriel, Sie haben gesagt, die Linke sei europafeindlich. Sie schauen in die ganz falsche Richtung. Schauen Sie einmal in Richtung Regierungsbank. Dort sitzt die CSU. Sie warnt vor Rumäninnen und Rumänen, vor Bulgarinnen und Bulgaren, vor Armutsmigration etc. Das ist europafeindlich, und nicht die Linke, die mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie und mehr Frieden fordert.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Umverteilung, zu Armut und Reichtum. Es gibt eine neue Statistik von Oxfam. Da hat sich Folgendes herausgestellt: Die reichsten 85 Menschen der Erde besitzen genauso viel wie die finanziell untere Hälfte der Menschheit. Das heißt, 85 Menschen haben das gleiche Vermögen wie 3,5 Milliarden Menschen. Daran, Frau Merkel, wollen Sie nichts ändern? Sie haben es noch nie kritisiert. Das machen Sie und auch die SPD einfach mit? Wir haben weltweit eine große Verteilungsungerechtigkeit. Ich sage Ihnen, dass eine so extreme Verteilungsungerechtigkeit zu Verteilungskriegen führt, die wir zum Teil schon erleben.

Wie sieht es in Deutschland aus? In unserem Land sieht es nicht viel besser aus. Die finanziell untere Hälfte unserer Bevölkerung - also 40 Millionen - besitzen 1 Prozent des Vermögens - 1 Prozent! 0,65 Prozent besitzen 20 Prozent des Vermögens, nämlich 2 Billionen Euro. Das ist eine so große Ungerechtigkeit. Und da wollen Sie noch nicht einmal eine ganz geringe Steuererhöhung, kein bisschen Steuergerechtigkeit? Es soll dabei bleiben, dass die Mitte der Gesellschaft alles bezahlt? Das sind die Facharbeiterinnen und Facharbeiter, das sind die Angestellten, das sind auch die Handwerkerinnen und Handwerker, die Mittelständler und die Selbstständigen. Sie alle sollen für die Gesellschaft zahlen, nur weil Sie sich nicht heranwagen an das Vermögen, an die Bestverdienenden und an die Leute, die wirklich viel zu viel Geld haben. Im Übrigen weiß ich, was Banker zum Teil verdienen; es ist   selbst wenn sie fleißig sind   völlig überzogen. Auch deren Tag hat nur 24 Stunden, und 8 Stunden müssen sie noch schlafen.   Damit wir uns nicht missverstehen: Ich will keinen gleichen Lohn für alle. Ich möchte schon, dass es Unterschiede gibt, aber sie müssen nachvollziehbar sein. Es ist maßlos geworden, und Sie gehen an dieses Problem nicht heran.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen endlich den Mindestlohn einführen, was ich sehr begrüße. Es wird auch höchste Zeit. Jahrelang haben wir dafür gekämpft. Aber jetzt geht es um Ausnahmen. Nun hat sich herausgestellt: Wenn man die Ausnahmen macht, die die CSU will, dann bedeutet es, dass die Hälfte derjenigen, die heute unter ihrem gesetzlichen Mindestlohn verdienen, weiterhin unter dem gesetzlichen Mindestlohn verdienen. Wenn es einen gesetzlichen Mindestlohn geben soll, dann muss er flächendeckend sein und keine Ausnahmen regeln.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Außerdem kommt er zu spät, und er ist zu niedrig.

Dann haben Sie geregelt   die Kanzlerin hat es auch wieder betont  , dass bestehende Tarifverträge, die einen geringeren Mindestlohn vorsehen, noch bis 2017 weitergelten können. Die Regierung, auch die SPD, die Gewerkschaften und Herr Jörges vom Stern unterliegen hier einem Irrtum. Sie glauben nämlich, das sei ein genialer Trick: Dadurch werde man gezwungen, Tarifverträge abzuschließen, und dann hätten wir sehr viel mehr Tarifverträge in Deutschland und der Tariflohn spiele dann eine größere Rolle. Ich sage Ihnen: Das ist eine Illusion. Die meisten Unternehmen machen dies nicht für die zwei Jahre, weil sie wissen, dass sie dann auf lange Zeit gebunden sind. Es ist immer schlau gedacht, aber es kommt nichts dabei heraus, außer dass die Leute einen geringeren Lohn beziehen, als sie es in jeder Hinsicht verdient haben.
Wenn ich mir Ihre Änderungen hinsichtlich der prekären Beschäftigung ansehe: Mein Gott, Frau Merkel und Frau Nahles. Sie sagen: Nach neun Monaten soll es einen Anspruch auf gleichen Lohn geben. Damit sagen Sie den Unternehmen: Nach neun Monaten müsst ihr wechseln. Das ist alles, was Sie damit sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dann sagen Sie: Nach 18 Monaten muss man sogar einen Anspruch auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis haben. Das heißt, nach spätestens 18 Monaten müssen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter gewechselt werden. Ich sage Ihnen: Die Unternehmer, die anständig sind, machen es sowieso. Für diese brauchen wir es nicht. Die anderen, die es nicht machen, werden es auch dann nicht machen, sondern sie werden die Frist entsprechend beachten.
Was machen Sie gegen den Missbrauch der Werkverträge und gegen Dumpinglöhne? Sie sagen: Personal- und Betriebsräte sind zu informieren, aber sie dürfen nicht entscheiden.   Ich sage: Wir brauchen hier ein Mitbestimmungsrecht, damit sie das Ganze unterbinden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zur Rente. Sie ändern nichts an der Senkung des Rentenniveaus, nichts an der Rente erst ab 67. Das wird massiv zu Altersarmut führen. Das wissen Sie alle. Nun haben Sie drei Änderungen geplant. Die eine sieht die sogenannte Rente ab 63 abschlagsfrei vor, wenn man 45 Beitragsjahre hat. Erstens ist der Name „Rente ab 63“ falsch, weil Sie ja generell den Eintritt der Rente bis auf 67 verschieben und die Änderung nachher tatsächlich bedeutet, dass man mit 65 Rente bekommt und nicht mit 63. Also streichen Sie die 63 und sagen, dass es Ihnen um zwei Jahre geht.
Es wird zweitens so getan, als ob das eine grundlegende Änderung ist. Schon jetzt können Menschen mit 65 in Rente gehen, obwohl andere erst später in Rente gehen können, wenn sie 45 Beitragsjahre haben. Das heißt, Sie helfen nur einem Teil der Bevölkerung und auch nur vorübergehend. Dieser Teil ist übrigens sehr männlich. Dies erreichen kaum Frauen. Das muss man auch erwähnen. Dann machen Sie Folgendes: Sie sagen, Zeiten mit ALG-I-Bezug sollen mit angerechnet werden, weil auch Beiträge gezahlt werden. Aber wenn dann tatsächlich das Renteneintrittsalter 67 gilt und die Menschen, die dann 45 Beitragsjahre haben und mit 65 in Rente gehen dürfen, dann gilt die heutige Regelung, bei der Zeiten mit ALG-I-Bezug nicht mit einbezogen werden. Auch das muss korrigiert werden. Aber diese Absicht haben Sie nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Übrigens: In besseren Zeiten sind während des ALG-II-Bezugs auch Beiträge bezahlt worden. Auch das soll nicht anerkannt werden.

Dann komme ich zur Mütterrente   auch ein blöder Name. Frau Merkel, Sie müssen mir eines erklären: Wieso war es vor 1992 so viel leichter, Kinder aufzuziehen als nach 1992? Wenn es nicht so war, dann müssen Sie mir mit Blick auf das Grundgesetz erklären, warum diese Kinder weniger wert sind.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie verbessern die Stellung, aber Sie stellen nicht gleich. Man bekommt jetzt für ein nach 1992 geborenes Kind drei Rentenpunkte und für ein vor 1992 geborenes Kind einen Rentenpunkt. Das wollen Sie auf zwei Rentenpunkte erhöhen. Mit anderen Worten: Sie lassen einen Unterschied. Jetzt kommt aber noch etwas hinzu: Diese Rentenentgeltpunkte unterscheiden sich nach Ost und West. Das heißt, Frau Merkel, dass man im Osten für ein Kind einen geringeren Rentenzuschlag bekommt als im Westen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist jetzt schon so!)

- Ja, eben.

(Zurufe von der LINKEN)

Es ist jetzt schon ein Skandal, Herr Kauder. Und dass Sie das im 24. Jahr der deutschen Einheit beibehalten und es für die Zukunft so regeln, dass Kinder aus dem Osten weniger wert sind als Kinder aus dem Westen, ist indiskutabel und grundgesetzwidrig. -

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, Frau Merkel, können Sie dem Osten nicht erklären.
Dann planen Sie eine völlig falsche Finanzierung. Also, ich bitte Sie! Sie wollen das Ganze über die Beiträge finanzieren; aber Kinder haben doch mit den Beiträgen nichts zu tun. Kinder sind doch eine Leistung für die gesamte Gesellschaft. Und was kommt dabei heraus? Die Verkäuferin im Bäckerladen, die Lidl-Kassiererin und der Bäckermeister - also auch die Unternehmen - bezahlen die sogenannte Mütterrente, und wir Bundestagsabgeordnete beteiligen uns nicht mit einem halben Euro daran, weil wir ja keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Indiskutabel! Es ist aus Steuern zu bezahlen, damit es die gesamte Gesellschaft bezahlt und nicht, wie Sie es gegenwärtig planen, die Beitragszahlerinnen und -zahler und die Unternehmen alleine.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zur Lebensleistungsrente nach 40 Beitragsjahren. Es liegt noch kein Gesetzentwurf vor, aber Sie haben gesagt, dass sie 30 Rentenentgeltpunkte betragen soll. Das bedeutet, sie beträgt für Menschen aus den alten Bundesländern etwa 850 Euro, für Menschen aus den neuen Bundesländern rund 760 Euro, weil der Wert der Rentenentgeltpunkte im Osten niedriger ist als im Westen. Beide Beträge sind zu niedrig - das sage ich ganz deutlich -; das löst das Problem der Altersarmt nicht. Aber im 24. Jahr der deutschen Einheit dem Osten wiederum eine geringere Rente zuzubilligen als dem Westen - das, Frau Bundeskanzlerin, darf man dieser Regierung nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nehmen Sie einen einheitlichen Betrag, regeln Sie das gleich!

Zur Energiewende. Herr Gabriel, Sie wollen die gesetzlich zugesicherte Förderung reduzieren, und zwar gerade bei der Windenergie. Und wen trifft’s? Die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Denn im Offshorebereich kürzen Sie natürlich nicht - da geht es um die berühmten Windenergieanlagen im Meer, die von den vier großen Konzernen betrieben werden. Oh Gott, oh Gott, es wäre ja so mutig gewesen, denen einen halben Euro wegzunehmen, aber das trauen Sie sich nicht.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Das stimmt nicht!)

Nein, Sie treffen damit wiederum die kleinen und mittleren Unternehmen und damit natürlich auch die Beschäftigten dieser Unternehmen. Und wer schützt wieder die kleinen und mittleren Unternehmen? Ich sage es: die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe es Ihnen vorhin schon bei der Wirtschaftsspionage gesagt; hier ist es genauso.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Keine Ahnung von Energiepolitik!)

Insofern sage ich: So kriegen Sie die Preise nicht sozial gestaltet. Wenn wir wirklich den Strom preiswert machen wollen, sodass sich jede und jeder ihn leisten kann, brauchen wir ganz andere Schritte:

Wir müssen die Strompreisaufsicht wieder einführen. Ich sage Ihnen auch einen Grund: Der Strompreis an der Energiebörse ist extrem niedrig, aber er wird nicht an die Kundinnen und Kunden weitergereicht. Genau dafür muss eine staatliche Strompreisaufsicht sorgen.
Wenn die EEG-Umlage erhöht wird, müssen Sie die Stromsteuer senken oder vielleicht sogar ganz abschaffen; sie hat ohnehin keine ökologische Wirkung.

Die Ausnahmen für die Industrie müssen auf ein Minimum reduziert werden. Es geht doch nicht, dass die Mieterin das alles bezahlt, aber die großen Industrieunternehmen nichts bezahlen müssen. Auch das ist nicht gerechtfertigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann brauchen wir endlich eine Abwrackprämie für die Verschrottung stromfressender Haushaltsgeräte, wenn energiesparende angeschafft werden. Bei Autos konnten wir das doch machen. Warum können wir das nicht endlich mal bei Haushaltsgeräten machen? Gerade die ärmeren Haushalte wären sehr darauf angewiesen.

Außerdem brauchen wir einen gebührenfreien Sockeltarif; auch das müssen wir haben. Dann wären wir diese Sorgen los und könnten wirklich sagen: Ja, die Energiewende gelingt, und zwar vernünftig, und bleibt für die Leute bezahlbar. Ich warne Sie: Wenn wir den ärmeren Teil der Bevölkerung nicht mitnehmen und ihn mit überhöhten Strompreisen verschrecken, werden wir eine antiökologische Einstellung verursachen, die wir alle uns nicht leisten können.
Sie haben in Ihrer Rede gesagt: Ihr Leitfaden ist die soziale Marktwirtschaft. Ich bitte Sie! Fragen Sie die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, fragen Sie die ALG-II-Bezieherinnen und ALG-II-Bezieher, fragen Sie die Leute, die befristet beschäftigt werden! Übrigens: Mehr als die Hälfte aller Neueinstellungen sind befristete Beschäftigungen. Dagegen haben Sie nichts unternommen. Da soll sich gesetzlich auch nichts ändern. - Die werden Ihnen erzählen, dass sie diese Marktwirtschaft als höchst unsozial empfinden. Sie wecken hier einfach Illusionen. Ich sage Ihnen eines - das fällt mir schwer -: Unter Kohl war die Marktwirtschaft sozialer als heute. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken, Frau Merkel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich glaube, dass die Große Koalition zunächst hektisch das eine oder andere beschließen wird, aber viel zu wenig verändern wird. Die Politik von Schwarz-Gelb wird im Kern fortgesetzt. Wir werden später Stillstand und dann Herumwurstelei erleben. Man soll ja nicht wetten, aber ich könnte mit Ihnen wetten, dass die Bevölkerung nach der Regierungszeit der Großen Koalition tief enttäuscht sein wird.

(Beifall bei der LINKEN)