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Foto: Rico Prauss

Unsere Zukunft verschwindet im Schatten der “Schwarzen Null”

Rede von Dietmar Bartsch,

Rede in der 2. Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich der erste Redner in der Haushaltswoche bin, will ich die Gelegenheit nutzen, um mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsausschusses sowie bei den vielen fleißigen Mitarbeitern in den Ministerien, insbesondere bei jenen, die für Haushaltsfragen zuständig sind, zu bedanken. Das war eine wertvolle Unterstützung für die Regierung und auch für die Opposition. Herzlichen Dank! Es war wieder toll mit Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir hatten sehr interessante Haushaltsberatungen. Da wurde ein erster Haushaltsentwurf vorgelegt, der im Ergebnis genau eine schwarze Null vorsah. Dann hatten wir intensive Beratungen. Es gab gewaltige Veränderungen. Es gab auch gewaltige Veränderungen bei den Rahmenbedingungen; zum Beispiel ist die Prognose zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im nächsten Jahr von Herrn Gabriel nach unten korrigiert worden ‑ von 2,0 Prozent auf 1,5 Prozent. Die EU-Kommission sieht das alles noch problematischer: Sie geht von einem Wachstum von 1,1 Prozent aus. Die Steuereinnahmen sind rückläufig. Ich könnte jetzt viele Beispiele für dunkle Wolken, die am Himmel sind, aufzählen. Dazu kommen die Krisenherde im Nahen Osten, in der Ukraine usw. Doch wie von Zauberhand haben wir nach Monaten wieder einen Entwurf, der genau eine schwarze Null vorsieht. Das ist aber ein Zufall! ‑ Das ist keine seriöse Haushaltspolitik; das kann keine seriöse Haushaltspolitik sein. Das ist der Versuch, sich ein Denkmal zu setzen. Herr Schäuble, sagen Sie bitte laut und deutlich, dass Sie sich kein Denkmal zulasten künftiger Generationen setzen wollen. Denn das ist in diesem Haushalt angelegt.

Ich will einige Punkte nennen.

Zunächst: Wir haben eine blamable Investitionsquote. Wir als Opposition ‑ die Grünen genauso ‑ haben bereits bei den letzten Haushaltsberatungen darauf hingewiesen. Sie versuchen jetzt, dies zu überdecken, indem Sie sagen: In den Jahren 2016 bis 2018 legen wir 10 Milliarden Euro drauf. ‑ Beim Gipfel der G-20-Staaten wurde beschlossen, dass in den nächsten Jahren zusätzlich 1,6 Billionen Euro investiert werden sollen. Die 10 Milliarden Euro, die Deutschland investieren will, würden dabei 0,5 Prozent ausmachen. Na, das ist ja mal eine Investitionsquote! ‑ Das ist blamabel, meine Damen und Herren! Angesichts der Situation unserer Straßen, unserer Brücken und der digitalen Infrastruktur muss im Investitionsbereich deutlich mehr getan werden. Experten schätzen den jährlichen Bedarf allein im Bereich der Verkehrsinfrastruktur auf 7 Milliarden Euro. Das DIW ‑ wahrhaftig nichts links ‑ schätzt die inzwischen in Deutschland aufgelaufene Investitionslücke auf jährlich 75 Milliarden Euro in den Jahren 1999 bis 2012. Und Sie halten an diesem Progrämmchen mit einem Volumen von 10 Milliarden Euro fest - obwohl wir nicht einmal wissen, wer 2018 die Regierung stellt. Nötig wäre ein grundlegender Kurswechsel, nicht nur in der Haushaltspolitik.

Wir haben die Große Koalition, aber wo sind denn die großen Reformvorhaben? ‑ Fehlanzeige, meine Damen und Herren! Stattdessen bewegen Sie sich in politischer Geschäftigkeit auf dem Niveau der Dobrindt-Maut; diese sollten Sie nicht ernsthaft versuchen umzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Regierung hat weder Lösungen für die entscheidenden tagespolitischen Herausforderungen noch für die Zukunftsfragen.

Sie reden darüber, die Märkte zu beruhigen, das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Notwendig wäre aber, an der Gestaltung einer besseren Gesellschaft zu arbeiten. Es darf in diesem Lande niemand mit Existenzangst leben.

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE))

1 Million Langzeitarbeitslose: Was geschieht denn mit denen? ‑ Da gibt es nur ein Miniprogramm von Frau Nahles. Jedes Kind in Armut ist eines zu viel, jeder Rentner in Armut ist einer zu viel in diesem reichen Land.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine Gesellschaft, in der es zwischen den Generationen, zwischen Ost und West und auch bei den Vermögen und Einkommen gerechter zugeht, wäre notwendig.

Frau Merkel, gestatten Sie mir eine Bemerkung: Wir haben jetzt zu Recht gemeinsam 25 Jahre Mauerfall gefeiert. Aber wir haben immer noch die Situation, dass wir bei den Renten ein geteiltes Land sind. Jemand, der das Glück hatte, im Osten 25 Jahre zu arbeiten, hat 25 Jahre lang einen niedrigeren Rentenwert erworben. Das ist 25 Jahre nach dem Mauerfall ein Riesenskandal, und im Haushalt wird nichts getan, daran etwas zu ändern.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Stimmt nicht!)

Bei der Mütterrente vertiefen Sie diese Spaltung sogar. Das ist inakzeptabel, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will den Kolleginnen und Kollegen der SPD zurufen: Haben Sie Mut! Stehen Sie zu Ihren Wahlkampfversprechen des Jahres 2013. Da war auch manch Kluges dabei, zum Beispiel der Satz:

Die finanziellen Mittel für die Rückkehr zu einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik dürfen ... nicht durch neue Schulden aufgebracht werden, sondern durch … gerechte Besteuerung ...

Das ist doch völlig richtig.

Dieses Land braucht eine Umkehr der jahrzehntelangen Umverteilung von unten nach oben. Das ist notwendig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben als Linke konkrete Vorschläge dazu vorgelegt, wie wir die Einnahmen erhöhen wollen. Wir wollen 45 Milliarden Euro mehr einnehmen, und das ausdrücklich nicht durch allgemeine Steuererhöhung. Vielmehr wollen wir diejenigen stärker beteiligen, die leistungsfähig sind und die über große Vermögen verfügen. Die 500 reichsten Familien in Deutschland besitzen ein Vermögen von 615 Milliarden Euro. Das sind zwei Bundeshaushalte. Das ist doch nicht normal! Da muss man doch etwas tun!

Warum ziehen Sie nicht die Einführung einer Millionärsteuer in Erwägung? Warum reformieren Sie nicht die Erbschaftsteuer, wie das noch im Wahlprogramm der Sozialdemokraten stand? In Großbritannien ist die Erbschaftsteuer fünfmal so hoch wie in Deutschland, in Frankreich ist sie viermal so hoch,

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist doch ein Paradebeispiel!)

Und in den Vereinigten Staaten ist sie zehnmal so hoch wie in Deutschland. Warum haben Sie nicht den Mut, hier zu reformieren? Niemand will enteignen, aber da muss mehr für das Gemeinwohl abgeschöpft werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

An dieser Stelle will ich Ihnen noch eines sagen: Das vor kurzem aufgedeckte Steuervermeidungsmodell in Luxemburg ist einer der größten Skandale, die man sich überhaupt vorstellen kann.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Da waren die Sozialisten mit dabei, Herr Bartsch! Das war der Juncker nicht allein!)

Wer hat Herrn Juncker mit seinen Erfahrungen auf diesem Gebiet eigentlich zum Chef der EU-Kommission gemacht? Wer war in dieser Zeit an der Regierung in unserem Land? Wer hat denn ausgerechnet Herrn Juncker unterstützt?

Wie war denn das? Allein die deutschen Großkonzerne haben von 2002 bis 2010 durch diese Modelle 90 Milliarden Euro eingespart ‑ ob sie legal sind, das werden wir erst noch feststellen. Und wir? Wir machen gar nichts. Doch da müsste einmal Druck gemacht werden. Ich will auch ein bisschen an die Moral der Unternehmer appellieren, dass so etwas doch nicht sein kann: Die fleißigen Menschen in unserem Land zahlen Steuern und die Unternehmer suchen sich Modelle wie in Luxemburg, um das zu umgehen. Das, meine Damen und Herren, ist wirklich ein Riesenskandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist der falsche Weg, Haushaltskonsolidierung und Haushaltssanierung zulasten von Zukunftsgestaltung zu betreiben. Auch das Zu-Tode-Sparen der Zukunft ist falsch und geht auf Kosten der jüngeren Generation. Diverse Einzeletats ‑ wir werden darauf zu sprechen kommen ‑ sind chronisch unterfinanziert.

Der vorliegende Haushalt zeigt einmal mehr: Die CDU und die unionsgeführte Regierung sind eben nicht der haushaltspolitische Stabilitätsanker. Im Gegenteil: Ihr Kurs ist untauglich für die Gegenwart und stellt eine Fortschrittsbremse dar. Längst ist Handeln angesagt!

Ich will mit Molière schließen, der gesagt hat:

Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Ach, wie originell!)