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Unser Gesundheitssystem ist finanzierbar, es muss aber sozial und gerecht werden

Rede von Gesine Lötzsch,

Rede in der Haushaltsdebatte (Einzelplan Gesundheit)

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Etat des Ministeriums für Gesundheit macht nur 4,7 Prozent des Bundeshaushaltes aus. Aber, meine Damen und Herren, es gibt keinen Grund, ihn zu unterschätzen;

(Tino Sorge (CDU/CSU): Er ist ja auch sehr wichtig!)

denn die jährlichen Gesundheitsausgaben in Deutschland sind ungefähr so hoch wie der gesamte Bundeshaushalt. Parlament und Gesundheitsministerium können mit Gesetzen und Verordnungen massiven Einfluss auf Ausgaben und Einnahmen nehmen. Diesen Einfluss müssen wir besser nutzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Für mich gibt es für die Bewertung eines Haushalts drei Kriterien: Er muss sozial, gerecht und finanzierbar sein. Vorab die positive Nachricht: Dieser Haushalt ist finanzierbar. Aber er ist weder sozial noch gerecht. Ein wichtiger Schritt wäre, die Aufhebung der paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge nicht länger hinzunehmen. Hier muss wieder Gerechtigkeit her.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Lauterbach von der SPD, Sie hatten kürzlich kritisiert, dass die Arbeitnehmer bei steigenden Zusatzbeiträgen überproportional stark belastet werden. Sie sagten in der Debatte, das sei nicht durchzuhalten und nicht gerecht. Nach der Sommerpause - so Kollege Lauterbach - wolle man in der Koalition darüber sprechen, wie die Arbeitgeber stärker an den Kosten der Krankenversicherung beteiligt werden könnten. - Ich stelle fest: Der Sommer ist vorbei. Aber wo sind die Ergebnisse? Die paritätische Finanzierung ist immer noch nicht wiederhergestellt. Wir müssen endlich die Gerechtigkeit wiederherstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die beste Lösung wäre natürlich, endlich eine Bürgerversicherung einzuführen. Nötig und logisch wäre es, alle Einkommensarten - also nicht nur Löhne und Renten, sondern auch Kapitaleinkünfte - beitragspflichtig zu machen. So könnten wir endlich eine solidarische Bürgerversicherung finanzieren. Das wäre das Gebot der Stunde.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nicht nur die Einnahmen werden nicht gerecht und sozial erhoben, auch bei den Ausgaben geht es nicht gerecht zu. Ich finde, das kann man am Beispiel des Umgangs mit den Hebammen besonders deutlich erkennen. Auch wenn das schon oft besprochen wurde, muss ich das wieder aufgreifen; denn das Problem ist nicht gelöst. Die Hebammen müssen immer noch die immens gestiegenen Haftpflichtprämien alleine zahlen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen fordert einen Ausschluss von Hausgeburten aus der Erstattungspflicht, wenn der errechnete Geburtstermin nicht eingehalten wird. Und wie die Natur so ist: Man kann nicht alles genau berechnen. Das wissen ja viele von uns aus Erfahrung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet für Frauen, dass eine Hausgeburt zu einer sogenannten IGeL-Leistung werden kann, die privat bezahlt werden muss. Das nenne ich Zweiklassenmedizin. Und ich finde, Zweiklassenmedizin darf es in diesem Land nicht geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider gibt es auch eine Zweiklassenpflege. Auch da muss es Veränderungen geben. Eine Untersuchung der Universität Witten/Herdecke hat ergeben: In deutschen Pflegeheimen muss eine Pflegekraft nachts im Schnitt 52 Menschen betreuen. Damit stünden für einen Heimbewohner pro Nacht gerade einmal 12 Minuten zur Verfügung. In manchen Heimen ist der Versorgungsschlüssel sogar weit schlechter als der ermittelte Durchschnittswert. So geben 8,7 Prozent der Befragten an, nachts sogar für mehr als 100 Heimbewohner zuständig zu sein. In manchen Fällen müssen sie sogar mehrere Häuser betreuen.

Herr Gröhe, Sie sind der zuständige Minister. Diese Zustände müssen endlich per Gesetz geändert werden. Die gesetzliche Personalbemessung soll erst 2020 eingeführt werden. Das bedeutet fünf weitere Jahre Arbeitsstress und Pflegenotstand. Ich finde, das muss verhindert werden. Hier müssen wir schnell gemeinsam gesetzlich tätig werden.

(Beifall bei der LINKEN - Tino Sorge (CDU/CSU): Das Pflegestärkungsgesetz haben Sie schon mitbekommen?)

Natürlich kommt häufig der Einwurf, mehr Personal in Krankenhäusern und Pflegeheimen würde zu höheren Beiträgen führen. Das sehe ich nicht so. Die OECD hat uns in einer Studie vorgehalten, dass in Deutschland die hohen Gesundheitskosten und der Gesundheitszustand der Bevölkerung in keinem guten Verhältnis zueinander stehen. Ich finde, wir müssen das viele Geld viel besser einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Beispiel wurden in deutschen Krankenhäusern im Jahr 2014 knapp 2 Millionen Menschen ambulant operiert. Damit hat sich die Zahl dieser Operationen seit 2002 verdreifacht. Der Gesundheitszustand unserer Bevölkerung hat sich in 12 Jahren doch nicht so dramatisch verschlechtert. Und auch in Ländern wie zum Beispiel Japan, die eine ähnliche demografische Entwicklung wie wir erleben, gibt es keine vergleichbare Explosion bei der Anzahl dieser Operationen.

Meine Damen und Herren, das Problem ist die Fehlsteuerung der Krankenhäuser. Und die geht von der Bundesregierung aus. Krankenhäuser sind nun einmal keine Fabriken. Es muss in erster Linie um die Gesundheit der Menschen gehen. Und da kann ich Minister Gabriel in Bezug auf das, was er in seiner vorhin gehaltenen Rede gesagt hat, völlig Recht geben: Zu diesen Menschen gehören auch die Flüchtlinge. Herr Gabriel, ich fordere Sie auf: Geben Sie nicht nur öffentlich den Raufbold, sondern setzen Sie richtige Dinge auch in der Koalition durch. Dann können wir Sie auch unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, unser Gesundheitssystem ist finanzierbar. Es muss endlich sozial und gerecht werden. Herr Gröhe, es gibt eine Menge zu tun. Wir müssen es endlich anpacken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)