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Umsatzsteuerbetrug bekämpfen

Rede von Richard Pitterle,

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir diskutieren heute Abend einen Antrag mit dem Titel „Umsatzsteuerbetrug bekämpfen“.

Wie wir alle wissen, ist der Betrug besonders bei der Umsatzsteuer hoch – und das schon seit Jahren. Die Europäische Kommission schätzt die Steuerausfälle allein für Deutschland auf rund 27 Milliarden Euro jährlich. Das bestreitet zwar die Bundesregierung pflichtgemäß, aber man braucht bloß die einzelnen Beträge nachzurechnen und dann sieht man, dass es ungefähr hinkommt.

27 Milliarden Euro - das ist mehr als die Bundesregierung pro Jahr für Bildung, Forschung und Gesundheit ausgibt.

Warum ist das so? Manipulierte Kassen in Geschäften und Restaurants, Abzug von Umsatzsteuer ohne dass sie vorher bezahlt wurde (also Vorsteuerabzug), Schwarzarbeit, unterschiedliche EDV-Systeme in den Finanzverwaltungen der Bundesländer und so weiter – die Liste der Ursachen ist lang.

International werden Betrügereien durch unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen erleichtert. Welcher Mehrwertsteuersatz in einem europäischen Land gilt, ist nicht ohne weiteres sofort zu erkennen – unterliegt der Umsatz der vollen Mehrwertsteuer oder ist einer der ermäßigten Umsatzsteuersätze anzuwenden? Das nutzen manche Unternehmen aus und berechnen oft weniger Umsatzsteuer als vorgeschrieben.

Warum ist Umsatzsteuerbetrug in Deutschland so leicht möglich? Das liegt daran, wie hier die Umsatzsteuer abgerechnet wird.

Üblicherweise muss der Verkäufer, also der Lieferant, für seine verkauften Waren die von dem Käufer erhaltene Umsatzsteuer an das Finanzamt zahlen. Diese, also von dem Käufer gezahlte Umsatzsteuer kann der Käufer gegenüber dem Finanzamt geltend machen, als sogenannte Vorsteuer (sofern er Unternehmer ist und die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gegeben sind.). Der Käufer holt sich also die von ihm an den Verkäufer gezahlte Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt zurück. Er weiß aber nicht, ob der Verkäufer die von ihm, dem Käufer erhaltene Umsatzsteuer tatsächlich an das Finanzamt gezahlt hat.

Hier eröffnen sich zahlreiche Betrugsmöglichkeiten. Denn das Finanzamt kann nicht sofort überprüfen, ob das der Verkäufer auch tatsächlich so gemacht hat, sondern muss sich erstmal auf die Umsatzsteuererklärungen und die Einhaltung der Gesetze verlassen - dass also alles gezahlt wurde wie vereinbart.

Besser wäre es, wenn der Käufer der Ware die von ihm an den Lieferanten gezahlte Umsatzsteuer selbst verrechnen würde. Der Käufer zahlt also die Umsatzsteuer selbst an das Finanzamt und der Lieferant berechnet erst gar keine Umsatzsteuer.

Das würde nicht nur den Umsatzsteuerbetrug erheblich reduzieren, sondern auch für die Finanzämter vieles vereinfachen. Außerdem müssten die Käufer die an den Lieferanten gezahlte Umsatzsteuer nicht bis zur Erstattung durch das Finanzamt finanzieren.

Fachlich spricht man von einer Umkehrung der Steuerschuldnerschaft vom Leistungserbringer auf den Leistungsempfänger - Fachausdruck „Reverse Charge“.

Dadurch, dass nur der Käufer seine gezahlten und seine erhaltenen Umsatzsteuern verrechnen kann und die Differenz an das Finanzamt abführen muss, werden die sogenannten Karussellgeschäfte verhindert, mit denen Steuerbetrügereien durchgeführt werden. Bei den Karussellgeschäften zahlen einige (Schein)Unternehmen in einer längeren Lieferkette die erhaltene Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt. Das Finanzamt erstattet zwar die Vorsteuer an den Käufer, hat die Umsatzsteuer vom Verkäufer aber gar nicht erhalten.

Bei der Umkehr der Steuerschuldnerschaft müsste das Finanzamt nicht mehr die Vorsteuer auszahlen, sondern bräuchte sie nur noch verrechnen.

Diese Umkehrung vom bisherigen Ablauf ist in Deutschland aber nichts grundsätzlich Neues, denn bereits jetzt gibt es zahlreiche Ausnahmen, zum Beispiel in der Bauwirtschaft, bei Grundstücksgeschäften oder Unternehmenspleiten (§ 13b UStG). Daher wäre eine Umkehrung der Steuerschuldnerschaft also nicht komplett neu.

Obwohl wir also wissen, wo die Probleme liegen - obwohl wir wissen, dass viel Steuergeld verloren geht, wird wenig dagegen getan.

Zwar haben sich die EU-Kommission und andere europäische Staaten bisher nicht kooperativ gezeigt und sowohl eine entsprechende Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie als auch den Weg über eine Ermächtigung zur Einführung des Reverse Charge-Verfahrens als Sondermaßnahme abgelehnt.

Aber in anderen Fällen übt die Bundesregierung doch auch Druck auf die Kommission und auf EU-Länder aus, um ihre Ziele durchzusetzen. Hier aber hält sie sich vornehm zurück, obwohl jedes Jahr Milliarden an Steuereinnahmen verloren gehen. Mit denen könnten Sie, Herr Schäuble, Ihre „Schwarze Null“ im Bundeshaushalt problemlos erreichen ohne auf Investitionen in Bildung und Infrastruktur zu verzichten.

Meine Damen und Herren, DIE LINKE fordert seit längerer Zeit die Einführung des Reverse Charge-Verfahrens als ein wesentliches Element zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs und daher fordern wir die Bundesregierung nachdrücklich auf, sich verstärkt auf europäischer Ebene für die Einführung der Steuerschuldumkehr einzusetzen. Es gibt eine neue EU-Kommission und damit sind die Chancen gestiegen, jetzt zu einer neuen Regelung zu kommen. Daher können wir auch dem Antrag der Grünen zustimmen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.