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Tschernobyl: Menetekel der Menschheit

Rede von Dorothée Menzner,

Rede zu TOP 27 am 8.April 2011: Lehren aus TschernobylAntrag DIE LINKE: 25 Jahre Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – Atomkraftwerke abschalten - dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/053/1705379.pdf

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben gehört, welche Folgen die Katastrophe in Tschernobyl 1986 hatte: 400 000 Menschen mussten umgesiedelt werden. Rund 850 000 Menschen, sogenannte Liquidatoren, waren mit der Beseitigung der konkreten Folgen beschäftigt. 280 000 Menschen müssen bis heute in den am stärksten verstrahlten Gebieten leben. Man geht von rund 100 000 Todesfällen aus, die mittelbar oder unmittelbar mit der Katastrophe zu tun haben. Die Folgekosten werden auf mehrere hundert Milliarden US-Dollar geschätzt.

Aber Tschernobyl war nicht der einzige große Unfall; es gibt vielmehr eine ganze Latte. Ich möchte nur wenige aufzählen. Three Mile Island 1979: 200 000 Menschen mussten evakuiert werden. Als in Majak im September 1957 ein Tank mit radioaktiven Abfällen explodierte, starben 1 000 Menschen; 10 000 wurden verstrahlt. Im selben Jahr, einen Monat später, kam es zu einem Unfall in Sellafield, Großbritannien, der auch diverse Todesopfer zur Folge hatte. Es gibt noch weitere Unfälle.

Alle diese Unfälle und Störfälle haben eines gemeinsam: Unter gravierenden Sicherheitsmängeln, oftmals verursacht durch Schlamperei, Kosteneinsparungsdruck, Profitsucht einzelner Manager in irgendwelchen Vorstandsetagen, müssen Tausende und Hunderttausende von Menschen leiden. Sie leiden nicht nur im Moment des Unglücks, sondern auch Jahre und Jahrzehnte später, oft über viele Generationen. Ihnen wird Ihre Heimat, Ihre Existenzgrundlage genommen. Agrarland kann nicht mehr bewirtschaftet werden. All diese Folgen sehen wir in Tschernobyl, und sie drohen in Japan jetzt auch.

Das Ausmaß an Landverwüstung, Opferzahlen und anderen katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt hat eigentlich längst das Ausmaß eines permanenten Kriegsschauplatzes, der mit jedem Unfall größer wird. Mehr noch: Die Folgen der radioaktiven Dauerbelastung reichen weit in kommende Jahrhunderte hinein. Ich erinnere nur an die ungelöste Frage der Atommüllverwahrung. Von daher finde ich den Satz sehr richtig und wichtig, den der ehemalige Vizepräsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag nach den Ereignissen in Fukushima in einem offenen Brief an die Umweltminister aller Staaten formulierte. Er schrieb:

"Deshalb sind wir die zerstörerischste Generation der Menschheitsgeschichte."

Die Opfer von Katastrophen sind immer auch diejenigen, die nach dem Ereignis noch mit den Kosten behelligt werden und diese selber tragen müssen. Atomkraftwerke das ist bereits angesprochen worden sind nicht versicherbar. Die immensen Kosten zahlt hinterher die Bevölkerung, von der oftmals ein großer Anteil zugleich die Geschädigten sind. Allein in Deutschland wurden als Ausgleich für die durch Tschernobyl verursachten wirtschaftlichen Schäden bis Juni 2010 rund 240 Millionen Euro Entschädigungsleistungen aus Steuermitteln gezahlt. Soviel zu der Frage, ob Atomkraft billig ist. Den Menschen, die von dem Unglück betroffen waren, wurden zunächst großmundige Versprechungen gemacht; letztendlich aber stehen sie alleine da und müssen mit den Folgen klarkommen.

Die Entscheidung für Hochrisikotechnologien wie die Atomkraft ist nicht mit arroganten und nach Profit strebenden Konzernen zu treffen. Eine solche Frage muss vielmehr in der Gesellschaft diskutiert und demokratisch entschieden werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland hat dazu eine sehr klare Meinung. Jedes Zögern sei es durch die Industrie oder durch uns selbst verursacht , das Atomkraftwerke unnötig weiter am Netz lässt, ist dazu geeignet, die Risiken zu mehren. Das ist ein Bruch mit dem Postulat des Grundgesetzes, dass der Wille der Mehrheit der Bevölkerung umzusetzen ist, und dass diese Umsetzung unsere Aufgabe ist.
Die Respektlosigkeit, mit der zunächst gesagt wird, das mit dem Moratorium sei doch nur zur Beruhigung gewesen, und hinterher wird gesagt, es sei ein Protokollfehler gewesen, empfinde ich und ich glaube, nicht nur ich als eine Verhöhnung der Opfer von Tschernobyl und Fukushima.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen in dieser Gesellschaft anders diskutieren. Wir müssen in der Breite diskutieren; viele Menschen fordern das ganz berechtigt ein. Die Menschen tun selber etwas, indem sie zum Beispiel den Stromanbieter wechseln. Sie machen Druck, sei es, indem sie woanders Kunden werden oder indem sie auf die Straße gehen. Denn sie wissen: Erst wenn das letzte Atomkraftwerk vom Netz genommen und in seine Einzelteile zerlegt wurde, wenn die Verwahrung des Atommülls zumindest ansatzweise sicher geregelt ist, erst dann sind Restrisiken minimiert. Erst dann werden wir den Opfern in Tschernobyl, Fukushima und in all den anderen Orten gerecht und haben ihre Botschaft verstanden. Dies gilt nicht nur für uns, sondern auch für die Generationen, die uns folgen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)