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Foto: Rico Prauss

Terror lässt sich nicht mit Bomben besiegen

Rede von Dietmar Bartsch,

Rede in der 142. Sitzung des Deutschen Bundestag zur Ersten Lesung des Antrags der Bundesregierung über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS. 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Botschafter! Liebe französischen Kolleginnen und Kollegen! Die Befragung der Bundesregierung und auch die Rede des Außenministers haben viel erklärt. Aber eines bleibt: Deutschland wird Kriegspartei. Wenn am Freitag im Deutschen Bundestag eine Mehrheit zustande kommen sollte, werden deutsche Soldaten in ein neues militärisches Abenteuer geschickt. Die Linke wird diesen Auslandseinsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS geschlossen ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Lieber Frank-Walter Steinmeier, eines darf ich einfordern: Diejenigen, die Ja sagen, machen sich mit Sicherheit Gedanken. Aber diejenigen, die Nein sagen, mit Sicherheit auch.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Jürgen Hardt (CDU/CSU): Aber die falschen!)

Es kann doch nicht sein, dass das eine ein einfaches Nein und das andere ein überlegtes Ja ist. Das ist nicht die Logik.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen gibt es auch bei den Sozialdemokraten einige, die Nein sagen.

(Dr. Rolf Mützenich (SPD): Eben! Das ist der Unterschied!)

Diese Position ist keineswegs ausgeschlossen.

Ja, Sie haben recht: Der Terror sollte uns alle treffen. Das waren Anschläge gegen die Zivilisation, gegen die offene Gesellschaft, gegen die Werte der Aufklärung Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das ist unbestritten. Die Linke ist solidarisch mit allen Kräften der Zivilisation, und sie ist solidarisch mit dem französischen Volk. Das ist völlig unbestritten.

Aber Freundschaft kann auch bedeuten, wie wir alle wissen, dass man Nein sagt, dass man widerspricht, wenn man glaubt, dass eine falsche Entscheidung getroffen wird. Alle Erfahrungen bestätigen: Terror lässt sich nicht mit Krieg besiegen. Terror lässt sich nicht mit Bomben besiegen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist eben daran erinnert worden: Der IS selbst ist ein Produkt des Krieges. Der US-Krieg gegen den Irak hat zumindest einen Beitrag zum Erstarken des IS geleistet. Ich will auch daran erinnern, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder aus gutem Grund Nein gesagt hat. Das war eine der vernünftigen Entscheidungen der damaligen Legislaturperiode. Auch daran kann erinnert werden.

Wir können aber mit dieser Entscheidung, wenn wir uns jetzt beteiligen, in eine Spirale von Gewalt und Vergeltung kommen. Das ist die Gefahr. Ja, Herr Steinmeier: Hass ist keine Antwort. Das ist doch völlig klar.

Wir begrüßen es im Übrigen, wenn dieser schmale Grat, den Sie in Wien gefunden haben, weiter führt. Das ist richtig. Aber jede Bombe, die auf Rakka fällt, und jede Bombe, die auf andere Städte fällt, treibt dem „Islamischen Staat“ neue Kämpfer zu. Das ist die Wahrheit. Es wird auch die Grundlage für neue Attentate gelegt. Das ist die Wahrheit.

Wir wissen doch alle, dass dort Wahnsinnige am Werk sind. Das ist unbestritten; darin sind wir uns in diesem Haus doch einig. Das sind Menschen, die Jesiden und Christen enthaupten, und sie enthaupten andere, die aus ihrer Sicht Ungläubige sind. Sie vergewaltigen Frauen und junge Mädchen, betreiben Sklavenhandel und zerstören jahrtausendealte Kulturgüter. Das alles ist wahr. Sie terrorisieren und morden inzwischen weltweit.

Ja, denen muss das Handwerk gelegt werden. Aber Bomben sind die falsche Antwort. Kann es sein, dass wir deren Logik bedienen? Bedienen wir damit vielleicht die Logik des IS?

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Die Logik des IS ist doch ganz einfach: Es handelt sich um einen Kreuzzug des Westens gegen alle Muslime. - Dieser Logik dürfen wir nicht folgen. Wir agieren gemeinsam gegen die Barbarei und nicht gegen Muslime.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich zum Mandat selbst etwas sagen. Was ist eigentlich das Ziel dieses Einsatzes? Ich habe gehört, dass es die Zerstörung des IS ist. Einverstanden! Aber nach allen Darlegungen und allem, was ich gehört habe, gibt es keine Strategie, noch nicht einmal eine militärische. Wer agiert dort wie? Ich kenne nicht einen militärisch Verantwortlichen, der sagt, mit Luftschlägen sei das Problem zu lösen.

(Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister: Das sagt auch niemand!)

Aber Sie entscheiden sich für Luftschläge. Das kann doch nur der falsche Weg sein. Was soll denn damit erreicht werden?

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass aktuell die Kurden die Einzigen sind, die entschlossen gegen den IS kämpfen und auch Erfolge vorzuweisen haben. Da müssen Sie mir eines erklären: Der US-Verteidigungsminister Carter hat die Türkei aufgefordert, gegen den IS zu kämpfen und nicht Bomben auf Kurden zu werfen. Die Kurden unterstützen wir doch. Es ist doch völlig absurd, dass wir die Kurden unterstützen, während die Türkei gegen die Kurden agiert.

Erklären Sie mir noch etwas. Wenn die Tornados dort Bilder machen, die dann natürlich auch den NATO-Verbündeten zur Verfügung gestellt werden: Können Sie eigentlich garantieren, dass die Türkei diese Bilder nicht gegen die Kurdinnen und Kurden nutzt?

(Florian Hahn (CDU/CSU): Ja!)

Können Sie das eigentlich garantieren? Das können Sie eben nicht.

(Florian Hahn (CDU/CSU): Doch!)

Die Türkei hat über viele Jahre eine extrem problematische Rolle als Transitland des Terrorismus eingenommen. Jetzt, wo es eine Erpressungssituation wegen der Flüchtlinge gibt, wird die Türkei auf einmal unterstützt. Das darf so nicht sein. Hier muss Klarheit herrschen. Hier darf es keine unterschiedlichen Maßstäbe für die Türkei geben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man in ein solches Kriegsabenteuer geht, muss zu Beginn die Frage beantwortet werden: Wie kommen wir da wieder heraus?

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch allgemeiner Kenntnisstand, dass zu Beginn eines solchen Einsatzes über eine Exitstrategie geredet werden muss. Wie sieht denn das Konzept für danach aus? Der Deutsche BundeswehrVerband sagt, der Einsatz dauere mindestens zehn Jahre. Hier im Parlament entscheiden wir darüber innerhalb von zehn Stunden, aber das sei dahingestellt. Es fehlt jedenfalls eine wirkliche Perspektive für Syrien. Wie soll diese aussehen? Es fehlt eine Perspektive für den Irak. Es fehlt eine Perspektive für die Kurdinnen und Kurden. Wenn der BND nun sogar sagt, dass Saudi-Arabien ein gefährlicher Partner ist, dann ist das, was dort betrieben wird, völlig absurd.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der IS ist heute die stärkste und reichste Terrororganisation. Auch das ist nicht vom Himmel gefallen. Er finanziert sich weiterhin aus privaten Geldspenden aus der Golfregion. Der Ölhandel floriert noch immer. Der Handel mit geraubten und antiken Kulturgütern blüht weiterhin. Was geschieht denn nun, um Waffen- und Munitionslieferungen in diese Region zu verhindern? Was passiert denn, damit der Zustrom von Kämpfern, der gerade wieder größer geworden ist, beendet wird? Jede Nacht kommen Kämpfer über die türkische Grenze; das wissen die Dienste. Dieser Zustand muss doch beendet werden. Wir müssen Druck auf die Türkei ausüben und dafür sorgen, dass die Grenze geschlossen wird. Da können wir doch nicht einfach zusehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer sorgt denn praktisch dafür, dass Konten des IS und seiner Sponsoren ausfindig gemacht und dann gesperrt werden? Das wäre eine Aufgabe, die wir erledigen sollten.

Eine Anmerkung sei mir noch gestattet, die mir wirklich wichtig ist. Viele Staaten stellen nun für die Bombardements Millionen zur Verfügung. Aber in den Flüchtlingslagern mangelt es an Nahrungsmitteln. Ich habe unlängst einen Bericht über ein Lager im Irak gesehen. Der UNHCR beklagt, dass dieses Lager kurz vor einem Choleraausbruch steht. Ich glaube, alle hier im Raum wissen, was das bedeutet. Es wird Tausende Tote geben, wenn das geschieht. Es ist doch unfassbar, dass die zivilisierte Welt das zulässt. Da muss doch sofort Geld in die Hand genommen werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ein solcher Ausbruch führt nicht nur zu Tod und Leid, sondern verstärkt auch den Zulauf des IS. Hier sind nicht nur wir, sondern auch viele andere gefragt. Dafür muss möglichst schnell Geld zur Verfügung gestellt werden.

Zum Rechtlichen wurden schon umfangreiche Ausführungen gemacht. Der Kollege Lindner hat darauf hingewiesen. Jürgen Trittin hat das sehr vernünftig dargelegt.

Sie wollten doch ein UN-Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Das ist doch Ihr Wille gewesen. Wenigstens dieser Logik muss man doch folgen. Aber es gibt diesen Beschluss nicht. Dafür muss es doch Gründe geben. Vielleicht gibt es Gründe dafür, dass es ihn nicht gibt. Wenn das so ist, dann sind mindestens Nachfragen gestattet.

Wir werden das von Fachleuten - auch ich bin kein Fachmann - prüfen lassen und werden sehen, wie wir zu diesem Mandat stehen. Es scheint mir zumindest auf sehr wackligen Füßen zu stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine Frage sei mir noch gestattet: Was haben Sie eigentlich aus den anderen Bundeswehreinsätzen gelernt?

(Zuruf von der LINKEN: Nichts!)

Ich will an die Debatte von damals - ich war schon dabei - erinnern, als es um den Afghanistan-Einsatz ging. Es wurde heftig debattiert. Fakt ist - das müssen wir heute doch gemeinsam konstatieren -: Zehntausende zivile Opfer, über 50 tote Bundeswehrsoldaten, und der Terror hat weiterhin in Afghanistan eine Adresse. Die Taliban sind auf dem Vormarsch. Alle gesteckten Ziele sind nicht erreicht worden.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

Da sollten wir gemeinsam sehr nachdenklich werden.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Denken Sie an die vielen Schulen, die geschaffen worden sind, und daran, dass Mädchen in die Schule gehen können!)

Sie sollten aus diesem Einsatz lernen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)

‑ Wissen Sie, ich kann die Aufregung ein bisschen verstehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist überhaupt keine Aufregung! Wir wollen nur Ihre fehlerhafte Rede korrigieren!)

Aber das Thema ist viel zu ernst; denn wir alle gemeinsam gehen nicht dorthin, sondern wir schicken Soldatinnen und Soldaten dorthin. Da ist ein etwas höheres Maß an Seriosität gefragt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Gerade von Ihnen! Haha!)

Ich will damit schließen, dass die entsetzlichen Attentate von Paris weltweit junge Menschen auf die Straßen gebracht haben, die mehr Offenheit und mehr Demokratie gefordert haben. Sie wollen eine zivilisierte Antwort auf den Terror.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber wir beraten heute über den Einsatz der Bundeswehr.

Wir sagen Nein zu diesem Mandat, wir sagen Nein zum Krieg gegen den Terror.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)