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Tempolimit zum Wohle der Menschen und des Klimas

Rede von Lutz Heilmann,

In der Debatte über den Antrag der LINKEN zur Einführung eines Tempolimits von 130 km/h sagte Lutz Heilmann: Jetzt muss die SPD Farbe bekennen, was der Beschluss des SPD-Parteitages wert ist. Legt der Minister Tiefensee endlich seine ablehnende Position und der Umweltminister seine Skepsis ab und kämpfen sie in der Koalition für ein Tempolimit? Oder bekommt der Beschluss der SPD ein Begräbnis ersten Grades? Völlig unverständlich ist auch die Haltung der selbsternannte "Klimakanzlerin".

Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste!

Leider vermisse ich bei unserer Debatte über das Tempolimit den zuständigen Fachminister. Auch dies zeigt wieder, welchen Stellenwert Herr Tiefensee dieser Problematik offensichtlich zumisst. Auch der des Weiteren mit diesem Thema befasste Umweltminister Gabriel lässt sich durch einen Staatssekretär vertreten.

(Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!)

Daran sieht man, wie ernst die Bundesregierung die Klimadebatte nimmt.

Herr Storjohann, ich danke Ihnen für Ihre Zusammenstellung der Geschichte der Diskussion im Deutschen Bundestag über ein Tempolimit. Ich komme allerdings zu einem anderen Ergebnis: Ein Tempolimit steht auch weiterhin auf der Tagesordnung, und es wird demnächst kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Tempolimit ist in dieser Wahlperiode ein Dauerbrenner im Bundestag, und zwar zu Recht. Die letzte Debatte ist noch nicht so lange her; sie fand am 20. September statt, Herr Döring erwähnte sie auch. In dieser Debatte haben CDU/CSU, SPD und FDP wortreich erklärt - heute haben sie alles wiederholt,

(Patrick Döring (FDP): Die Argumente haben sich auch nicht verändert!)

warum Deutschland kein allgemeines Tempolimit braucht. Die vorgebrachten Argumente sind allerdings so wenig überzeugend, dass ich es mir erspare, erneut darauf einzugehen.

Aber dann kam vor zwei Wochen die Kehrtwende bei der SPD.

(Zuruf von der SPD: Das war ja gar keine!)

Auf ihrem Parteitag fasste sie den Beschluss, den der Kollege Vogelsänger heute schon zitierte. Dazu kann ich nur sagen: Donnerwetter! Mit diesem Beschluss nähert sich die SPD übrigens zumindest im Bereich der Verkehrspolitik der Linken an.

(Lachen bei der SPD)

Sie zeigen damit, dass Sie lernfähig sind, und Sie arbeiten daran, für die Linke koalitionsfähig zu werden. Wir stehen gewissermaßen gemeinsam
erstens für Klimaschutz und CO2-Reduzierung,
zweitens für Verkehrssicherheit, weniger Verkehrsunfälle und Verkehrstote und drittens für kleinere und sparsamere Fahrzeuge.

Aber machen wir uns keine Illusionen! Herr Tiefensee, der jetzt nicht anwesend ist, ließ als zuständiger Fachminister kürzlich verlautbaren: „Tempolimit für Klimaschutz nutzlos“. Ja, was denn nun, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD? Ich will Ihnen jetzt nicht zu nahe treten; aber Sie sollten vielleicht ganz einfach einmal darüber nachdenken, ob dieser Minister wirklich der richtige Mann ist, die Linie der Partei in der Regierung zu vertreten;

(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Die Linie der Partei“? Das war mal!)

denn nicht nur beim Tempolimit, auch beim geplanten Verkauf von Anteilen der Bahn und bei der Besteuerung von Dienstwagen liegt der Minister nicht nur neben unserer Linie, sondern auch neben der seiner eigenen Partei. Davon einmal abgesehen, wäre es doch eine Revolution gewesen, wenn in unserem gelobten Land des Geschwindigkeitswahns der Verkehrsminister ein Tempolimit gefordert hätte. Aber Pustekuchen!
Sehr bedauerlich ist auch, dass selbst der Umweltminister, der sich heute ebenfalls nur vertreten lässt, in diesen Kanon einstimmt. Erst befürwortet er ein Tempolimit, um es wenige Wochen später abzulehnen.

(Ulrich Kelber (SPD): Stimmt ja gar nicht!)

Jetzt beginnt er ganz zaghaft, wieder eines zu fordern. Ich zitiere ihn: Wer ein Tempolimit allein zur Begrenzung des Kohlendioxidausstoßes befürworte, laufe Gefahr, sich in unnötigen Debatten zu verzetteln. Ich denke, der Minister hat sich hier wohl eher beim Basteln an seiner Karriere verzettelt, wenn ich die letzten Nachrichten richtig verstanden habe.

(Zuruf von der SPD: Er hat es nie abgelehnt! Zitieren Sie es doch!)

Konsequenterweise wurde der Antrag auf dem SPD-Parteitag gegen die ausdrückliche Empfehlung des Ministers beschlossen.

Ich kann den Ministern Tiefensee und Gabriel nur sagen: Selbstverständlich dient ein Tempolimit sowohl dem Klimaschutz als auch der Verkehrssicherheit. Ich bin der Meinung, dass sich Deutschland endlich zu einer Vision Zero bekennen sollte; denn jeder und jede Verkehrstote sind einer und eine zu viel.

(Beifall bei der LINKEN)

Von daher ist es natürlich schon verwunderlich, dass sich das Verkehrsministerium für dieses Thema nicht erwärmen kann. Dort scheint man eher der Meinung zu sein, dass großflächige Plakate - wahlweise mit Tieren oder mit Prominenten - wirksamer als ein Tempolimit sind.

Da ich gerade bei Tieren bin, stelle ich eine Frage an Herrn Gabriel, die Sie, Herr Staatssekretär, an ihn weitergeben können: Was sagt eigentlich Knut im Berliner Zoo zum Tempolimit? Hat nicht das Umweltministerium vor zwei Tagen mit sehr viel Wirbel die nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet, die nach den eigenen Aussagen des Ministers über 300 Zielvorgaben enthält? Aber Sie streben mit dieser Strategie nur Sachen an; verpflichten wollen Sie sich zu nichts.

Ich freue mich jedenfalls, der SPD und besonders dem Umweltminister mitteilen zu können, dass wir die Bedeutung der Verkehrssicherheit in unserem Antrag selbstverständlich berücksichtigt haben. Wenn also nur der fehlende Bezug zur Verkehrssicherheit im Beschluss der SPD der Grund für dessen Ablehnung war, dann steht Ihrer Zustimmung zu unserem Antrag nichts im Wege.

(Ulrich Kelber (SPD): Außer Ihrer Rede!)

Ein Wort möchte ich noch an meine Kollegin aus Lübeck, Frau Hiller-Ohm, richten. Sie ist heute leider nicht hier. Ich bedauere das sehr, da sie sich erst letzte Woche in einer Pressemitteilung im Wahlkreis Lübeck vehement für ein Tempolimit ausgesprochen hat und sehr engagiert dafür kämpft. Ich habe sie auch am 20. September bei der Abstimmung über unseren damaligen Antrag vermisst. Ich sage ihr trotzdem - sie verfolgt die Sitzung vielleicht am Fernsehgerät: Frau Kollegin, lassen Sie Ihren Ankündigungen und Pressemitteilungen endlich Taten hier in Berlin folgen! Oder sind Sie tatsächlich der Meinung, dass die Menschen in Lübeck das nicht mitbekommen? Die Kollegin Heidi Wright war da wesentlich konsequenter. Sie hat unermüdlich für ein Tempolimit gestritten. Dafür gebührt ihr mein Respekt und meine Hochachtung.

(Patrick Döring (FDP): Vergiftetes Lob!)

Bevor hier die Freude auf der rechten Seite überhandnimmt, möchte ich ein paar Worte an die CDU/CSU richten. Angela Merkel lässt sich gerne landauf, landab als Klimaschützerin feiern.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Zu Recht!)

Was die internationalen Beschlüsse angeht, erkennen wir auch an, dass es Fortschritte gibt. Auf nationaler Ebene sieht die Bilanz aber sehr dürftig aus. Das vor wenigen Wochen mit großem Tamtam verkündete Klima- und Energiepaket droht im Dschungel der Ressortabstimmung vom Tiger zum Bettvorleger zu mutieren. Mit ihrer eindeutigen Absage an ein Tempolimit - ich zitiere: „Mit mir wird es das nicht geben“ - hat Frau Merkel gezeigt, dass es ihr mit dem Klimaschutz nicht ernst ist.

Ähnlich verhielt sie sich Anfang des Jahres, als sie die deutsche Autoindustrie vor all zu strengen Anforderungen der EU geschützt hat. Das Wohl der Industrie ist ihr wichtiger als das Wohl der Menschen und der Schutz des Klimas.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auf internationaler Ebene Gas geben, aber zuhause auf der Bremse stehen: Das passt nicht zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Mein Gott!)

In meiner letzten Rede zum Tempolimit erwähnte ich, dass die Mehrheit der Deutschen den Börsengang der Bahn ablehnt. Das Protokoll verzeichnet daraufhin „Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU“.

Verständlicherweise verzeichnet es keinen Beifall von Ihnen, als ich darauf hinwies, dass 73 Prozent der Deutschen ein Tempolimit befürworten. Verstehen Sie mich richtig: Ich erwarte nicht, dass ausgerechnet Sie mir Beifall klatschen. Das würde mir, nebenbei bemerkt, auch zu denken geben. Sie sollten aber zur Kenntnis nehmen, dass auch 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometer sind. Ich frage mich, wer diese Menschen in Ihrer Fraktion vertritt.

(Patrick Döring (FDP): Darüber müssen Sie sich Ihren Kopf nicht zerbrechen!)

Abschließend erinnere ich Sie und alle, die sich - aus welchen Gründen auch immer - gegen ein Tempolimit aussprechen, an das heutige Datum. Heute vor 18 Jahren fiel zu Recht die Mauer. Was kurz davor noch fast undenkbar schien, wurde Realität. Ich hoffe, dass Sie sich heute einen Ruck geben, damit auch beim Tempolimit das Undenkbare geschieht und die Mauer in Ihren Köpfen fällt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche ein schönes Wochenende.

(Beifall bei der LINKEN)