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Tarifautonomie stärken - sachgrundlose Befristung abschaffen

Rede von Michael Schlecht,

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Befristungen sind ein entscheidender Hebel zur Beschädigung der Tarifautonomie in den letzten zehn, 15 Jahren ‑ eigentlich schon seit 1985 ‑ geworden; denn es ist vollkommen klar, dass befristet eingestellte Arbeitnehmer nicht in der Weise frei sind und sich sicher im Betrieb fühlen wie unbefristet Beschäftigte. Sie sind nämlich Beschäftigte quasi ohne Kündigungsschutz.

Wenn man ohne Kündigungsschutz ist und ein auf sechs Monate, ein Jahr oder wie lange auch immer befristetes Arbeitsverhältnis hat, dann überlegt man sich natürlich dreimal, ob man mit seiner Gewerkschaft gemeinsam eine Tarifauseinandersetzung führt, sich zum Beispiel an Warnstreiks und anderen Kampfformen beteiligt, um in einer Tarifrunde Druck zu machen. Dann ist man unter Umständen sogar bereit, wenn die anderen Kollegen aus dem Betrieb streiken, sich zum Büttel des Unternehmers machen zu lassen und als Streikbrecher zu operieren, weil man Angst hat, dass man seine Arbeit verliert, wenn man das nicht macht, weil das befristete Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird. Insofern ist es dringend notwendig ‑ wenn man die Tarifautonomie und das Handeln der Gewerkschaften wieder stärken will ‑, dass man die sachgrundlose Befristung abschafft. Die muss weg.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich will mit einem Satz illustrieren, wozu das faktisch führt. Wir haben in Deutschland nach wie vor die Situation, dass der durchschnittliche Beschäftigte über 3,6 Prozent weniger Reallohn verfügt als im Jahr 2000. Deutschland ist das Land des Lohndumpings. Das ist deshalb so gekommen, weil die Politik den Gewerkschaften in den letzten zehn, 15 Jahren in einer absolut brutalen Weise zwischen die Beine gegrätscht ist. Damit muss Schluss sein. Heute Morgen ging es ja um ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie; nur, dieses Gesetz ist leider vollkommen unvollständig. Es müsste mindestens eine Neuregulierung der Befristung dort hinein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch einen zweiten Punkt nennen. Befristungen sind ein Instrument, das eigentlich menschenunwürdig ist. Mir fällt dazu eine junge Frau aus meinem Wahlkreis Mannheim ein, Janine F. ‑ ich will sie hier ja nicht outen ‑, 29 Jahre alt, die als Hotelfachfrau gut qualifiziert ist. Sie hat in ihrem Leben noch keine anderen Jobs als nur befristete gehabt. Sie weiß auch nicht, wie es weitergehen wird. Sie geht davon aus, dass es mit den befristeten Jobs immer so weitergehen wird. Sie hat einen Lebenspartner. Wenn ich sie frage: „Wie stellst du dir das alles vor? Was wollt ihr machen? Wie stellt ihr euch euer Leben vor? Wollt ihr vielleicht einmal Kinder haben?“, dann antwortet sie mir: Das ist natürlich ganz schwierig. Ich würde schon gerne mit meinem Freund ein Kind haben; allerdings ist auch er befristet beschäftigt. Wir überlegen uns das gut. Woher sollen wir in solchen Zeiten eigentlich den Mut nehmen, uns für ein Kind zu entscheiden?

Wenn man sich dies einmal ernsthaft anschaut, dann wird klar, welche Folgen die Befristung nicht nur für die Arbeitswelt, sondern auch unter familienpolitischen Gesichtspunkten hat; dann wird klar, dass auch das dazu beiträgt, dass die Geburtenrate in Deutschland so niedrig ist. Sonst wird allenthalben, insbesondere von der CDU/CSU, immer wieder beklagt, dass die Geburtenrate so niedrig ist, und es werden alle möglichen Gründe dafür herangezogen, warum junge Frauen keine Kinder mehr bekommen.

Ich sage Ihnen: Die Politik, die in der Arbeitswelt gemacht worden ist, zum Beispiel mit den Befristungen, eine Politik, die Sie zu verantworten haben, die Sie heute hier wieder hoch gelobt haben, ist dafür verantwortlich, dass Menschen solche Restriktionen ihrer Privatsphäre aufgezwungen werden. Es ist wirklich zynisch und pervers, wenn auf der anderen Seite immer wieder darüber gejammert wird, dass in Deutschland so wenig Kinder geboren werden; schließlich werden den jungen Leuten durch die Befristungen die Möglichkeiten genommen, sich positiv und offensiv für Familie und Kinder zu entscheiden. Auch deshalb müssen die sachgrundlosen Befristungen endlich weg.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)