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Foto: Rico Prauss

Susanna Karawanskij: Den Osten nicht ständig hinten runterfallen lassen

Rede von Susanna Karawanskij,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wer nichts tut, der kann nichts falsch machen. Wer etwas tut, der ist natürlich nicht vor Fehlern gefeit. Aber einmal ehrlich: Ich verstehe nicht, warum diese Koalition regelmäßig etwas tut und dabei immer wieder den gleichen Fehler begeht, also mit vehementer Konstanz den Osten hinten runterfallen lässt. Sie scheinen ja wirklich kein Stück lernfähig zu sein. Ich möchte hier gar nicht detailliert auf das jüngste Beispiel, die bundeseinheitlichen Netzentgelte, eingehen. Sie sollen ja vereinheitlicht werden, aber erst im Jahre 2022, und noch immer haben wir den Zustand, dass eine drei- bis vierköpfige Familie im Osten rund 45 Euro mehr zahlt als im Westen. Die Preisunterschiede haben im letzten Jahr um 50 Prozent zugenommen. Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, die Strompreisschere zu schließen. Der Osten ist auch hier schlichtweg hinten runtergefallen.

Der große Coup für den Osten sollte die Angleichung der Ostrenten sein. Sie entpuppte sich als Bärendienst für all diejenigen, die im Osten arbeiten und noch nicht in Rente sind. Natürlich bekommen die Rentnerinnen und Rentner jetzt mehr Geld. Darüber freuen sie sich. Darüber freuen wir uns natürlich auch. Aber mit dem Wegfall der Umrechnung in der Rentenformel werden jetzt all diejenigen zusätzlich bei der Rente benachteiligt, die im Osten arbeiten. Sie werden damit eigentlich Opfer einer immer noch bestehenden Lohnungleichheit. Wer also heute im Osten arbeitet, hat meistens nicht nur weniger Geld, sondern bekommt dafür auch noch weniger Rente.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bekommen mehr!)

Sie akzeptieren damit nicht nur die Ungleichheiten und Ungleichwertigkeiten, die vielleicht in den 90er-Jahren, also in den Nachwendejahren, irgendwie noch akzeptabel und nachvollziehbar waren, sondern schreiben diese Ungleichheiten gleich noch für die folgenden Generationen fort und bürden die Lasten dafür dieser auf, einer Generation, die die deutsche Zweiteilung allenfalls noch aus den Geschichtsbüchern kennt. Mir fällt, ehrlich gesagt, kein vernünftiges Argument ein, warum mein Cousin, der seine Ausbildung bei einem Unternehmen in Stuttgart gemacht hat, dort gearbeitet hat, wieder in den Osten zurückgekehrt ist, weil dort seine Familie ist, einen Lohnunterschied in Kauf nehmen muss und später auch noch bei seiner Rente, die er dann irgendwann einmal genießen soll, benachteiligt wird.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Können Sie eigentlich rechnen? Nein!)

Dieses Beispiel zeigt, dass die Bundesregierung nicht gewillt ist, dem Ganzen ein Ende zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres Beispiel für die Untätigkeit der Bundesregierung ist die sogenannte Rentenüberleitung, die Sie im Übrigen bezeichnenderweise Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz genannt haben. Dieses Gesetz sollte einen Haken setzen hinter die Frage der Anerkennung ostdeutscher Biografien im Rentenrecht. Und doch gibt es da immer noch viele Ungerechtigkeiten, ob bei den Bergleuten oder bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen. Das Gleiche gilt auch für die zu DDR-Zeiten Geschiedenen. Ich finde, es ist ein unhaltbarer Zustand, dass heute mehr als die Hälfte der zu DDR-Zeiten geschiedenen Frauen in Armut lebt. Viele Regelungen, die die geschiedenen Frauen begünstigten, also freiwillige Beiträge bzw. Anwartschaftsgebühren oder schlichtweg die Versicherung für mithelfende Familienangehörige, sind bei der deutschen Einheit einfach hinten runtergefallen. Aber das kann man ändern. Das können wir hier ändern. Deshalb fordere ich klipp und klar eine Entschädigung für diese Frauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein gerechter Ausgleich an dieser Stelle wäre einer von vielen notwendigen Schritten, um vor allen Dingen die drohende und auch die bestehende Altersarmut ostdeutscher Frauen zu bekämpfen. Ich finde, es kann Sie doch nicht kaltlassen, dass laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung ab dem Jahr 2036, also in noch nicht einmal 20 Jahren, jeder fünfte Neurentner von Altersarmut betroffen sein wird.

Diese Ungleichwertigkeiten, diese Ungerechtigkeiten sind reell da, und sie spiegeln sich auch in einem Empfinden wider.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat mit 40 Jahren Misswirtschaft in der DDR zu tun!)

Fast die Hälfte der Sachsen – auch ich komme aus diesem Bundesland – stimmte beim „Sachsen-Monitor 2016“ der These zu, dass nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten vielfach neues Unrecht geschaffen worden sei. Aus der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen, die mit der DDR überhaupt nichts mehr zu tun haben, sagen 26 Prozent, dass die persönlichen Nachteile aus der Wiedervereinigung überwiegen. Das sind im Übrigen mehr als bei den 60- bis 69-Jährigen, die die DDR noch miterlebt haben.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Weil sie ständig die Propaganda ertragen müssen!)

Von den gut 400 000 Berufspendlern machen sich nur 158 000 Arbeitnehmer aus den alten Bundesländern regelmäßig auf den Weg über die innerdeutsche Grenze. Von den mehr als 133 000 Pendlern aus Sachsen arbeiteten im Jahr 2016 mehr als 68 000 in den alten Bundesländern. Das macht etwas mit den Leuten, mit den Familien; das ist nicht banal. Es macht etwas mit den Strukturen, mit den Städten, mit den Dörfern, mit den Vereinen, mit der Zivilgesellschaft, mit dem Ehrenamt, wenn die Menschen vor allen Dingen unterwegs sind, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, anstatt die Zeit darauf zu verwenden, sich dort zu engagieren, wo sie leben und wo sie zu Hause sind.

Wir Linke sind in diesem Hohen Haus die einzige Partei, die einzige Kraft, die zuverlässige Adresse für ostdeutsche Interessen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns sind gleichwerte Lebensverhältnisse im Westen wie im Osten, im Norden wie im Süden Ziel unserer Politik und nicht nur Lippenbekenntnisse. Deswegen fordern wir zum Beispiel einen Solidarpakt III, dessen Mittel vor allem in strukturschwache Regionen fließen sollen. Für uns ist der Osten Chefsache. Wir hauen nicht ein paar markige Sprüche raus, damit niemand hinten runterfällt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)