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Suizidbeihilfe muss umfassend erlaubt bleiben

Rede von Petra Sitte,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wie kann es, wenn es um Leben, Sterben und Tod geht, Gewissheiten geben? Diese Frage stellt sich insbesondere in einer pluralen Gesellschaft wie der unseren. Welcher ethischen Vorstellung, welchen Sinnwelten wir auch nachhängen: Immer wollen wir darauf vertrauen, diese auch leben zu können, sei es, dass wir Leben, Sterben und Tod als von welchem Gott auch immer gegeben oder genommen ansehen, sei es, dass wir selbstbestimmte, konfessionell ungebundene Entscheidungen auch in solch existenziellen Fragen anstreben.

Für unsere Diskussion bedeutet dies konkret: Wer Hilfe zur Selbsttötung ohnehin ablehnt, bedarf eines Verbotes durch den Gesetzgeber nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

Wer aber Suizidassistenz nicht ausschließt, dem soll sie nicht genommen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei ist Suizidassistenz zunächst nur eine Möglichkeit, die noch lange nicht den Vollzug einschließt. Der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sich vor dem Endstadium seines Hirntumors erschoss, hat geschrieben:

… ich wollte ja nicht sterben, zu keinem Zeitpunkt, und ich will es auch jetzt nicht. Aber die Gewissheit, es selbst in der Hand zu haben, war von Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene. … es am Ende auch zu tun, ist noch eine ganz andere Frage. … Ich muss wissen, dass ich Herr im eigenen Haus bin. Weiter nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn eine Gesellschaft wie unsere nicht müde wird, individuelle Verantwortung in der Lebensgestaltung und in der Lebensführung zu betonen, wieso soll diese beim Sterben aufhören? Über sein Sterben, über seinen Tod frei entscheiden zu können, ist doch Ergebnis eines emotional schweren, schmerzhaften Abwägungsprozesses. In diesem spielen lange Zeit die Alternativen die weitaus größere Rolle, weil man sich eben das Nichtsein gar nicht vorstellen kann.

Mit wem spricht man über diese Alternativen? ‑ Mit der Ärztin, den Angehörigen, Freunden, gegebenenfalls auch mit dem Pfarrer, auf jeden Fall aber mit Menschen, zu denen man eine enge Bindung und Vertrauen hat bzw. haben kann. Aber gerade diese Menschen ‑ ich habe das immer wieder in Gesprächen erlebt ‑ fühlen sich von den Ratsuchenden bisweilen heillos überfordert. Sie sind von Mitgefühl überwältigt oder eben auch ganz konkret durch die Organisation des Pflegealltags völlig überlastet. Bis auf Hospiz- und Palliativmediziner hat die Mehrzahl der Ärzte, auch nach ihrer eigenen Auskunft, gar keine hinreichende Erfahrung im Umgang mit Wünschen nach Sterbehilfe. Umgekehrt möchten Ratsuchende ihre Angehörigen, Freunde oder eben auch ihren Arzt nicht mit ihren Gefühlen und Problemen belasten. Manche ertragen das dabei mitschwingende Mitleid auch gar nicht. Deshalb brauchen wir eine kompetente dritte Seite für die Beratung aller Beteiligten und Betroffenen. Deshalb soll Beihilfe zum Freitod nicht nur Einzelpersonen, sondern weiterhin auch Vereinen gestattet werden, solange sie uneigennützig und ergebnisoffen beraten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn es ist völlig klar: Wer auf einen Eigennutz, gar auf einen finanziellen Profit bei der Suizidassistenz aus ist, wird kaum unabhängig und ergebnisoffen beraten. Zumindest darüber dürfte es hier in diesem Haus größte Einigkeit geben.

Auf der Basis der Regeln und Anforderungen für Sterbehilfeorganisationen, die wir in unserem Gesetzentwurf vorschlagen, sollte es doch möglich sein, organisierter Beratung zu vertrauen. Renate Künast hat die Kriterien vorhin bereits erläutert.

„Ich verlange Ehrfurcht gegenüber Sterbewilligen“, hat Wolfgang Herrndorf uns aufgegeben. Diese Ehrfurcht umfasst den Respekt vor dem ganz persönlichen Begriff von Würde sowie vor Freiheit und Selbstbestimmung am Lebensende. Sie bedeutet auch, den Sterbewunsch der Menschen ernst zu nehmen. Nur wenn das getan wird, lassen sich mit diesen Menschen Alternativen zur Vermeidung der Selbsttötung glaubhaft bereden.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)