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Strafverschärfung schießt über das Ziel hinaus

Rede von Jörn Wunderlich,

67. Sitzung des Deutschen Bundestages am 14. November, TOP 5

Zweite und Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstraftrecht

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuschauer! Zunächst möchte ich mich bei allen Kollegen für die sachliche Beratung in den Ausschüssen bedanken. Es ist ein heikles Thema. Es ist ein schwieriges Thema. Ich denke, da sollte man Emotionen oder irgendwelche wie auch immer gearteten Parteivorbehalte und Ähnliches beiseitelassen.

      (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Es geht hier um Kinderschutz. Ich denke, ich spreche für alle Mitglieder des Hauses, wenn ich sage, dass es für jeden von uns ein Herzensanliegen ist, unsere Kinder zu schützen.

      (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, hat ein hehres Ziel, wie der Kollege Fechner eben ausgeführt hat, schießt aber nach Überzeugung der Linken weit über dieses Ziel hinaus. Er wurde von der Koalitionsfraktion anlässlich der sogenannten Edathy-Affäre erarbeitet. In der sich aus dieser Affäre ergebenden emotional hoch aufgeladenen Debatte kamen die verstärkten Rufe nach Strafverschärfung. Bundesminister Maas kündigte daraufhin einen Gesetzentwurf zur Schließung der Lücken und zur Umsetzung der Richtlinie an. Dieser liegt uns nun vor.

In der Form, wie er uns vorliegt, kann ihm aber nicht zugestimmt werden; denn es ist unsere Überzeugung: Er missachtet die Maßgabe des Strafrechts als Ultima Ratio, indem er Verhaltensweisen unter Strafe stellt, die moralisch verwerflich sein mögen, aber keine Kriminalstrafe rechtfertigen. Nicht jedes moralisch verwerfliche Verhalten muss unter Strafe gestellt werden.

      (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf trägt darüber hinaus den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nicht ausreichend Rechnung, und er sieht Strafrahmenerhöhungen vor, obwohl durch verschiedene kriminologische Studien immer wieder belegt worden ist, dass das Strafmaß als solches keine abschreckende Wirkung hat. Das Entdeckungsrisiko schreckt potenzielle Täter ab, aber kein wie auch immer gearteter Strafrahmen.

                                             (Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte im Rahmen der mir gegebenen Zeit auf einige Punkte eingehen. Zunächst das Positive: § 174 StGB ‑ Missbrauch von Schutzbefohlenen ‑ wird angemessen dahin gehend ergänzt und erweitert, dass nun neben die leiblichen oder angenommenen Kindern auch die leiblichen oder angenommenen Kinder von Ehepartnern oder Lebensgefährten treten, um etwaige diesbezügliche Abhängigkeitsverhältnisse zu erfassen. Des Weiteren wurde in Absatz 2 der sogenannte Vertretungslehrerfall ergänzt. Wir hätten uns zwar noch eine sachgerechtere Differenzierung gewünscht, aber es ist eine sinnvolle Ergänzung.

Beim sexuellen Missbrauch von Kindern, § 176 StGB, wird das sogenannte Cyber-Grooming - das ist auch schon angesprochen worden - einbezogen, also das gezielte Ansprechen von Kindern und Jugendlichen im Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. Die Regelung ist problematisch, da sie bereits die erste Kontaktaufnahme mit „bösen Hintergedanken“ erfasst, ohne dass es zu weiteren Handlungen oder Kontaktaufnahmen kommt. Die EU-Richtlinie sieht allerdings eine Strafbarkeit nur vor, wenn auf einen per Telekommunikation erfolgten Vorschlag eines Treffens weitere, auf ein solches Treffen hinführende konkrete Handlungen erfolgt sind. Hier stellt sich die Frage, wie bei dieser Vorverlagerung der Strafbarkeit der Nachweis der Tätermotivation geführt werden soll. Im Zweifel wird das nicht gelingen, da die „bösen Hintergedanken“ nachzuweisen sind.

Hinsichtlich der Änderungen zur Kinderpornografie, § 184 b, soll nun die „unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung“ strafbar sein. Dies wurde bereits durch die BGH-Rechtsprechung zum Posing erfasst. Danach waren Handlungen erfasst, bei denen das Kind vor dem Fotografieren aufgefordert wurde, sich zu entblößen und Stellungen einzunehmen, die seine Genitalien zeigen. Nun sollen auch Handlungsweisen erfasst werden, bei denen das Kind keine aktive Rolle spielt, wenn zum Beispiel ein schlafendes, teilweise entblößtes Kind fotografiert wird. Allerdings ist die Ergänzung um „unnatürlich geschlechtsbetonte Haltung“ zu unbestimmt, was im Übrigen auch von den Sachverständigen in der Anhörung bemängelt wurde. Daran ändert auch nichts die Ergänzung um das unbekleidete Gesäß oder die Geschlechtsteile eines Kindes. Außerdem bleibt fraglich, was die Versuchsstrafbarkeit an Zugewinn bringt, da die Vorschrift als Unternehmensdelikt ausgelegt ist. Bereits jetzt ist die erfolglose Suche nach kinderpornografischem Bildmaterial als Unternehmensdelikt strafbar.

In § 184 d Strafgesetzbuch soll nun der wissentliche Abruf von kinder- und jugendpornografischem Inhalt explizit unter Strafe gestellt werden. Hier entsteht eine Rechtsunsicherheit; denn: Wie soll ohne Zwischenspeicherung ein Abruf nachgewiesen werden? Hier scheint die Überprüfung und Verfolgung jedenfalls äußerst problematisch und öffnet der Vorratsspeicherung oder gar der Onlineüberwachung Tür und Tor.

                                                (Beifall bei der LINKEN)

Wie soll sichergestellt werden, dass es sich nicht um einen versehentlichen Abruf handelt?

Zuletzt möchte ich einen Punkt dieses Gesetzes besonders erwähnen: den von Anfang an heftig kritisierte Entwurf für einen ausgeweiteten § 201 a Strafgesetzbuch. Schon die Änderungen in Absatz 2 stoßen auf erhebliche Bedenken. Er soll nun heißen:

Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden … einer dritten Person … zugänglich macht.

Es reicht also aus, das einer dritten Person zugänglich zu machen, von „verbreiten“ ist keine Rede. Daraus ergeben sich nun alle möglichen Fallkonstellationen: ein Foto am FKK-Strand oder eines angetrunkenen Partygastes, das Foto eines CSU-Politikers gemeinsam mit einem Politiker der Linken bei einem Bier an der Spree.

            (Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und zwar während der Plenarsitzung!)

All das kann zur Strafbarkeit führen, sobald dieses Bild einer dritten Person, auch im Familienkreis, zugänglich gemacht wird. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird primär auf Bildaufnahmen von unbekleideten Kindern abgestellt. Das war letztlich ja auch Grundlage für diese Gesetzesänderung. Tatsächlich werden aber auch Erwachsene von dieser Regelung erfasst, und um die wird es in der Praxis dann wohl auch vorrangig gehen.

                                     (Dirk Wiese (SPD): Aber nur bei erheblichem Schaden!)

Das Ganze ist geändert worden von einem Antragsdelikt in ein relatives Antragsdelikt, und zwar auch bei den Bildern, die ich gerade erwähnt habe. So weit, so gut. Aber jetzt kann, wie gesagt, jeder Strafanzeige erstatten. Das heißt jeder, der ein Bild sieht und sagt: „Die abgebildete Person könnte in ihrem Ansehen erheblich geschädigt sein“, kann einen Strafantrag stellen.

    (Dirk Wiese (SPD): „Erheblich“! - Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Da freut sich die Strafverteidigerin!)

Damit kann, wie gesagt, jeder Anzeige erstatten. Das kann für den betroffenen Fotografen eine mindestens unangenehme, wenn nicht sogar eine existenzvernichtende Strafverfolgung auslösen, obwohl zivilrechtlich alles rechtmäßig ist und bleibt.

Wie gesagt, es gibt alle möglichen Fallkonstellationen. Und es gibt gute Gründe, warum alle Sachverständigen in der Anhörung des Ausschusses diesen Entwurf zur Änderung von § 201 a StGB abgelehnt haben.

                 (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es bedarf an dieser Stelle keines entsprechenden neuen Straftatbestandes. Das ist alles bereits durch die Strafvorschriften und das Urhebergesetz unter Strafe gestellt.

Zuletzt noch zwei Sätze zur Verlängerung der Verjährungsfrist. Jeder Praktiker kann bestätigen, dass nach Bekanntwerden einer möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Tat, zu welcher es zudem keine objektiven Beweismittel gibt, eine Verurteilung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten wegen mangelnder Beweismittel und Erinnerungsverlusten der Zeugen sehr, sehr unwahrscheinlich ist. Hier wird den Opfern wider besseren Wissens suggeriert, eine Bestrafung der Täter sei möglich. Das Strafrecht ist aber nicht das primäre Instrument, um den Opfern Genugtuung oder Wiedergutmachung zu gewähren. Wiedergutmachung kann man in diesen Fällen eh nicht leisten. Es geht um den Strafanspruch des Staates. Bei allem Verständnis für die Opfer solcher Taten ‑ da spreche ich als ehemaliger Staatsanwalt und Richter, der auch mit solchen Fällen befasst war ‑ dürfen nicht Hoffnungen geweckt werden, die im Ergebnis nicht zu erfüllen sind.

                                          (Beifall bei der LINKEN)

Alles in allem kann dieser Gesetzentwurf in der Gesamtschau daher nur abgelehnt werden. Mit dem Antrag der Grünen, über den wir heute auch debattieren, liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, wie unabhängig von Strafrechtsverschärfungen der Kinderschutz durch Prävention auf verschiedenen Ebenen verbessert werden kann. Der Antrag ist zumindest ein großer Schritt in die richtige Richtung. Diesem ist daher zuzustimmen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

               (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)