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Störerhaftung für alle beseitigen - nicht nur für Gewerbetreibende!

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Durz, ich habe bis zur Hälfte Ihrer Rede gedacht, dass Sie sich bei den Grünen und der Linken dafür bedanken, dass wir Ihre Arbeit gemacht und einen Gesetzentwurf vorgelegt haben. Leider Gottes musste ich zum Ende Ihrer Rede feststellen, dass Sie an die Störerhaftung offensichtlich überhaupt nicht heranwollen.

Stellen Sie sich einfach einmal vor, Sie fahren mit Ihrem Auto eine Straße entlang. Dann passiert es: Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit, zu spät gebremst, und Sie fahren mit Ihrem Auto auf das Auto Ihres Vordermanns oder Ihrer Vorderfrau auf. Normalerweise ist das eine sehr teure Angelegenheit. Aber zum Glück brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen; denn Sie waren ja auf einer Straße unterwegs, und deswegen werden Sie nicht für den Unfall belangt, sondern ein Dritter. Schließlich hatte der Dritte Ihnen die Straße zur Verfügung gestellt, und hätte er dies nicht getan, hätten Sie darauf nicht fahren können und hätten auch keinen Unfall bauen können. Ergo muss der Dritte für den entstandenen Schaden geradestehen und nicht Sie.

Jetzt sind Sie vielleicht verwirrt und sagen: Das ist Quatsch. - Zu Recht; es ist Quatsch. Aber das ist der jetzige Zustand bei der Störerhaftung, beim Zugänglichmachen von WLANs für Dritte. Dieser Zustand ist natürlich nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um es noch einmal jenseits des Autobeispiels deutlich zu machen: Wer heute für Dritte seinen WLAN-Anschluss öffnet und damit anderen den Zugang zum Internet ermöglicht, wird für Urheberrechtsverletzungen verantwortlich gemacht und muss gegebenenfalls den Schaden ersetzen. Dazu gibt es jede Menge Urteile des Bundesgerichtshofes, und der sagt: Das Haftungsprivileg gilt nicht.

Dieser Zustand ist verheerend. Erst letzte Woche hat der Internetverband eco aufgeschlüsselt, wie die Situation in Deutschland aussieht: Nur 15 000 von 1 Million Hotspots sind frei zugänglich. In Deutschland kommen auf 10 000 Einwohner deutlich weniger Hotspots als in anderen Ländern. Als Konsequenz fordert eco - was wohl? - die Abschaffung der Störerhaftung, und zwar zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Vorteile offener WLANs liegen auf der Hand: Gewerbetreibende hätten die Möglichkeit, ihren Kunden einen weiteren Service anzubieten, Kommunen könnten offene WLANs aufbauen, und jeder könnte seinen WLAN für seinen Nachbarn öffnen - ohne Angst. Vor allem aus sozialen Gesichtspunkten ist dies etwas, was ausgesprochen sinnvoll ist; denn Menschen mit geringem Einkommen könnten so die Möglichkeiten des Internets kostenlos nutzen. Das wirkt sich insbesondere auf die Bildungschancen von Kindern aus; denn Kinder ohne Internetzugang sind von Onlineangeboten, die kostenfrei verfügbar sind, abgeschnitten. Offene WLANs könnten also einen Beitrag dazu leisten, die digitale Spaltung der Gesellschaft zu verringern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nachdem wir den Koalitionsvertrag gelesen hatten, dachten wir zunächst, auch die Koalition habe begriffen, dass die Abschaffung der Störerhaftung sinnvoll ist.

(Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu früh gefreut!)

- Ja, Konstantin von Notz sagt es: „Zu früh gefreut“; denn irgendwann kam die digitale Agenda. Über die hat er im Übrigen gesprochen und nicht über den Gesetzentwurf. Mit der Digitalen Agenda geht es wieder einen Schritt zurück. Denn nach ihr soll die Störerhaftung nur abgeschafft werden für gewerbliche Betreiber und Geschäfte, nicht aber für Private. Das ist einfach unverständlich und nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben Ihre Arbeit gemacht. Wir und die Grünen haben gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt, dessen Verabschiedung das Problem beheben würde. Wir haben uns dabei auf Expertise der Digitalen Gesellschaft bezogen. Wir können es ganz einfach machen: Wir überweisen den Gesetzentwurf, beraten ihn in den Ausschüssen, und noch am Ende dieses Jahres wäre es möglich, die Störerhaftung abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ganz große Politik! - Tankred Schipanski (CDU/CSU): Schlimme Rechtsunsicherheit! Das wurde Ihnen eingehend erklärt! Es ist nicht besser geworden!)

Der vorliegende Gesetzentwurf kommt Ihnen vielleicht bekannt vor: Er lag in der letzten Legislaturperiode schon einmal vor. Da hat er leider keine Mehrheit gefunden.

Aber wenn Sie Ihren Koalitionsvertrag ernst nehmen, dann könnte er diesmal eine Mehrheit finden. Wir können Sie einfach nur dazu auffordern, das gemeinsam mit den Grünen und uns hier mit großer Mehrheit zu beschließen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir schlagen als Lösung des Problems vor, die in § 8 des Telemediengesetzes geregelte Haftungsfreistellung auf gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von WLANs auszuweiten. Zum einen wollen wir klarstellen, dass auch Betreiber von WLANs als Diensteanbieter im Sinne des § 8 Telemediengesetz gelten; damit würden die dort aufgeführten Regelungen ebenfalls für diese zutreffen. Dabei soll es egal sein, ob sie den Zugang absichtlich oder, aufgrund unzureichender Sicherungsmaßnahmen, fahrlässig anbieten. Es geht uns mit dem Gesetzentwurf darum, die Störerhaftung in diesem Bereich zu beseitigen und die Haftungsfreistellung auch auf Ansprüche auf Unterlassung auszuweiten.

Noch einmal: Es ist sehr einfach, der Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch. Lassen Sie uns ihn heute überweisen! Lassen Sie uns ihn Anfang Dezember in den Ausschüssen beraten, und dann lassen Sie uns an dieser Stelle den Koalitionsvertrag ernst nehmen und alle gemeinsam die Störerhaftung abschaffen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)