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Steinbrück ist Problem nicht gewachsen

Rede von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine antwortet auf die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Lage auf den Finanzmärkten.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Jetzt kommt Poß II!)

Im Mittelpunkt dieser Debatte steht das Wort "Vertrauen". Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass die wichtigste Währung der Finanzmärkte das Vertrauen sei. Ich habe in den letzten Jahren nicht beobachten können, dass Vertrauen die Grundlage des Handelns der Finanzmärkte war. Die Finanzmärkte haben sich mehr und mehr zu spekulativen Märkten entwickelt, und spekulative Märkte basieren auf allem anderen, aber nicht auf Vertrauen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Vertrauen war lange Zeit das Kapital der Banken, bevor es die Finanzmärkte in der gegenwärtigen Form gab. Aber wenn das Vertrauen in die Banken zerstört ist, wenn die Sparerinnen und Sparer kein Vertrauen mehr in die Banken haben, dann können in unserer Ordnung nur noch zwei Instanzen handeln: Die eine ist die Zentralbank - sie kann durch ihr Handeln Vertrauen herstellen - , die andere ist die Bundesregierung.

Ich will jetzt von der Bundesregierung sprechen. Vertrauen schafft man nicht, indem man verharmlost. Ich stelle hier für meine Fraktion fest: Sie haben viel zu lange die Krise verharmlost und sich insoweit schuldig gemacht, als das Vertrauen der Bevölkerung in das Handeln der Regierung verlorengegangen ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Damit dieser Satz nicht so stehen bleibt, zitiere ich, was der Finanzminister vor wenigen Tagen gesagt hat:

"Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere sind, ist ein ähnliches Programm"

- wie in den USA -

"in Deutschland oder Europa weder notwendig noch sinnvoll."

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Bleibt richtig!)

Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem!

Am Anfang der Krise, als jeder wusste, dass die Situation hochgefährlich war, hat die Regierung kein Vertrauen dadurch geschaffen, dass der Finanzminister die Lage völlig falsch eingeschätzt hat. Das ist die Wahrheit; sie ist hier dokumentiert.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Während andere von „Massenvernichtungswaffen“ sprachen derjenige, der dieses Wort geprägt hat, kennt sich auf den internationalen Finanzmärkten aus; er sprach auch die Vernetzung der Produkte an , hieß es hier noch, das sei ein Problem der USA. Die Kanzlerin hat sich dieser nun wirklich lächerlichen Analyse angeschlossen; das heißt, Sie haben zu Beginn, vor einigen Tagen überhaupt nicht überblickt, worum es hier überhaupt geht. Ich will das in aller Klarheit für meine Fraktion hier feststellen.

(Dr. Peter Struck (SPD): Hauptsache, Sie überblicken alles!)

Ich zitiere die Welt, die nicht im Verdacht steht, Ihnen in irgendeiner Form kritisch gegenüberzustehen:

"Das Chaos ist groß. Wochenlang hatten die Kanzlerin und ihr Finanzminister die Krise kleingeredet."

Das ist die Wahrheit, und deshalb haben Sie kein Vertrauen geschaffen, sondern Sie haben die Unsicherheit in der Bevölkerung verstärkt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Nachdem Sie festgestellt haben, dass diese Verharmlosung ein Fehler war, und nachdem Sie von den Ereignissen überrollt worden sind, haben Sie eben kein fachlich solides Krisenmanagement zustande gebracht. Aus Zeitgründen möchte ich nicht auf die IKB eingehen, sondern auf die HRE, und ich möchte sagen, was nach meiner Auffassung falsch gelaufen ist. Es ist noch akzeptabel, dass man in einer Situation von international vernetzten Märkten nicht kurzfristig alle Löcher feststellen kann, die auftreten können. Das möchte ich zunächst von niemandem erwarten. Aber wenn man zumindest das Problem erkannt hat - das hat schon in den Zeitungen gestanden -, dass der Fehler gemacht wurde, mit kurzfristigem Geld langfristige Kredite zu finanzieren, und wenn dann ein Finanzminister von der „Abwicklung“ des Unternehmens spricht, dann zeigt das, dass er diesem Problem fachlich überhaupt nicht gewachsen ist.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Dann ist er Mitverursacher dafür, dass dieses Institut in immer größere Schwierigkeiten gerät. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein Bundesfinanzminister im Zusammenhang mit einem DAX-Unternehmen und solchen Volumina, die hier zur Rede standen, von Abwicklung spricht und damit einen völlig falschen Terminus in die Öffentlichkeit bringt. Das geht auf diese Art und Weise weiter. Nun haben wir im Fernsehen erlebt, wie die Kanzlerin neben dem Finanzminister stand und sagte, dass sie die Spareinlagen garantieren. Zunächst würde jeder in diesem Hause sagen - das will ich auch für meine Fraktion ausdrücklich sagen - , dass er erleichtert wäre, wenn mit diesem Wort die Dinge geklärt wären. Wer wäre da nicht erleichtert? Dies wäre natürlich vertrauensbildend. Aber danach ging doch der ganze Zirkus erst los. Ich rede bewusst von Zirkus; denn zuerst hörte man von 586 Milliarden Euro, dann von über 700 Milliarden Euro, dann von vielleicht 1 Billion Euro, dann von 1,5 Billionen Euro und von bis zu 2 Billionen Euro. So schafft man doch kein Vertrauen. So schürt man nur Unsicherheit unter den Sparerinnen und Sparern, die überhaupt nicht mehr wissen, was sie von all dem halten sollen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir Abgeordneten wurden gefragt: Wie soll das denn gehen? Dazu haben Sie überhaupt kein Wort gesagt. Sie haben wahrscheinlich selbst keine Vorstellung davon. Die anderen europäischen Staaten haben Ihnen ja mittlerweile vorgehalten, dass Ihre Vorgehensweise völlig unproduktiv gewesen sei. Es war Unilateralismus, der in diesem Falle zu Schäden in anderen Volkswirtschaften führen wird. Die Kritik, die heute in Europa an Ihrer Vorgehensweise geübt worden ist, ist mehr als berechtigt.

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wollen Sie die Sparer nicht schützen?)

Es ist wirklich kein Ausweis von Stärke, dass Sie auf diesen gravierenden Fehler nicht einmal eingegangen sind. Stattdessen haben Sie hier so getan, als würden Sie europäisch abgestimmt handeln. Sie haben damit anderen Staaten in Europa große Probleme bereitet. So schafft man kein Vertrauen auf den Finanzmärkten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dr. Peter Struck (SPD): Das ist absoluter Stuss!)

In den Zeitungen steht, dass Notenbanker auf die Frage, was die Kanzlerin und der Finanzminister gemeint haben, antworten, dass sie nicht wissen, was gemeint ist, und dass Sie es wahrscheinlich selbst nicht wissen. Daran sieht man, dass man mit einer solchen Vorgehensweise kein Vertrauen schafft. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass in einer solchen Situation so vorgegangen wird. Wenn man eine solche Garantie abgibt - wie gesagt, die Absicht ist löblich - , dann muss doch ein Mindestmaß an Vorstellung darüber herrschen, was damit eigentlich gemeint war.

Sie haben hier den irischen Weg kritisiert. Das ist nun wirklich eine Frechheit, Frau Bundeskanzlerin.

(Jörg Tauss (SPD): Was?)

Wenn Sie den irischen Weg der einseitigen Garantie für die eigenen Banken kritisieren, aber gleichzeitig hinsichtlich der Ersparnisse den gleichen Weg gehen, dann sind Sie völlig unglaubwürdig. Genau das wird Ihnen auf europäischer Ebene vorgehalten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Volker Kauder (CDU/CSU): Mannomann!)

Ebenso fahrlässig wie das fehlerhafte Vorgehen bei den Spareinlagen, wo bis zum heutigen Tage niemand hier in der Lage ist, zu sagen, was überhaupt gemeint ist, ist es, von einem Plan B zu reden, wenn man erstens kaum Vorstellungen hat, wie dieser aussehen soll, und zweitens eigentlich Beruhigung in die Märkte bringen will. Was macht denn jemand, der über die Finanzströme bei den Banken zu entscheiden hat, wenn er auf der einen Seite hört, die Spareinlagen sollen garantiert werden, aber nicht weiß, wie das zu geschehen hat, und auf der anderen Seite hört, es gibt einen Plan B in Reserve, auch wenn das später, wie üblich, wieder revidiert wird? Dadurch wird doch ein Abwarten in den einzelnen Institutionen bewirkt, was gerade das Gegenteil von dem ist, was wir eigentlich gebrauchen könnten. Wir brauchen Sicherheit, Verlässlichkeit und zumindest eine Grundlage für die Planungen der Kreditinstitute. Wenn Sie von einem Plan B sprechen, dann müssen alle Verantwortlichen in diesen Instituten abwarten, wie dieser wohl aussieht und wie sie damit optimal für ihre Bank entscheiden können. Insofern war das ein Fehler.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Ich möchte ein Zitat aus den Zeitungen des heutigen Tages nennen, das einen wirklich umhaut. Der Bundesfinanzminister, der in dieser Regierung verantwortlich ist, die Krise zu managen, hat ernsthaft gesagt, er hätte sich vor einer Woche nicht vorstellen können, dass Turbulenzen bei isländischen Banken Auswirkungen bei uns haben. Wenn Sie das so gesagt haben, dann muss ich feststellen, dass Sie nicht die blasseste Ahnung von den Mechanismen auf den internationalen Finanzmärkten haben. Das ist eine traurige Feststellung, aber ich muss das hier ganz klar sagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dr. Peter Struck (SPD): Aber Sie haben Ahnung!)

- Herr Kollege Struck, von Ihnen verlangt man so etwas nicht. Aber von einem Bundesfinanzminister sollte man erwarten können, dass er die Vernetzung der internationalen Finanzmärkte kennt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn Sie bisher so gearbeitet haben, Herr Finanzminister, dann haben Sie sich durch diese Aussage bis auf die Knochen blamiert. Es tut mir leid, dass ich Ihnen das hier in dieser Klarheit vorhalten muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Weil die internationalen Finanzmärkte so verflochten sind, brauchen wir jetzt eine internationale Zusammenarbeit. Ohne internationale Zusammenarbeit - wie gesagt, mit Ihrer Vorgehensweise bei den Spareinlagen haben Sie gegen dieses Prinzip verstoßen - ist in die Finanzmärkte keine Ordnung zu bringen. Die Kritik auf der europäischen Ebene ist eindeutig: Die Europäer beklagen, dass die Bundesregierung hier zu wenig kooperiert.

Nun komme ich zu einem Punkt, der in der heutigen Debatte zu kurz gekommen ist. Die Realwirtschaft bricht mittlerweile ein. Man hätte erwarten können, dass irgendetwas dazu gesagt wird, was man tun will, um diesen Einbruch zu verhindern. Dass dazu nichts gesagt worden ist, lässt wiederum Zweifel aufkommen, ob Sie das Ausmaß der Krise überhaupt erkennen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Angesichts dessen, dass jetzt im gesamten Automobilbereich die Nachfrage einbricht, dort bereits Leute entlassen werden, Produktionen für Wochen stillgelegt werden, demnächst die Weiterverarbeiter an der Reihe sind und auch in anderen Branchen Entlassungen angekündigt werden, sieht man an einer klitzekleinen Entscheidung, dass Sie überhaupt nicht verstanden haben, worum es geht: Wer in dieser Situation die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senkt, weiß überhaupt nicht, was auf dieses Land zukommt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Sie werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge bald wieder anheben müssen; das sage ich Ihnen voraus. Das ist eine völlig unverantwortliche Vorgehensweise.

Insofern ist es bedauerlich, dass in dieser schwierigen Situation kein Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland herrscht. Das, was die französische Politik seit Wochen fordert, nämlich ein konzertiertes Vorgehen der europäischen Staaten anzustreben, um die konjunkturelle Krise zu bewältigen, ist bislang von der deutschen Politik verhindert worden. Diese Vorgehensweise wird auf unsere Konjunktur in erheblichem Umfang zurückschlagen.

Wir sagen hierzu: Wir brauchen jetzt ein Gegensteuern des Staates; das heißt eine andere Fiskalpolitik. Ich kann also die Aussage nur unterstreichen: Wer in dieser Situation sagt - Sie haben das wieder getan, Frau Bundeskanzlerin - : „Wir werden den Haushalt weiter konsolidieren und an unseren Haushaltszielen festhalten“, lässt erhebliche Zweifel aufkommen, ob er verstanden hat, was in der Welt überhaupt los ist und was auf Deutschland zukommen wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Außer Ihnen hat sowieso niemand in der Welt etwas verstanden! Selbstgerecht!)

Ein Gegensteuern wäre eine expansive Fiskalpolitik, eine Lohnpolitik, die nicht wie in der Krise 1929/1930 auf einen Kürzungswettlauf hinausläuft, sondern auf Produktivität und Preissteigerung orientiert ist und, wenn es denn geht, vielleicht sogar ein Anheben der Hartz-IV-Sätze. Das würde sich nämlich direkt stabilisierend auf die Konjunktur auswirken. Wer von den Hartz IV-Empfängern versteht denn noch, dass in Deutschland sofort zig Milliarden für Pleitiers bereitgestellt werden, aber nicht ein paar 100 Millionen Euro für Hartz IV-Empfänger?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Letzte Bemerkung. Sie haben heute die Managerhaftung angesprochen. Ich möchte ganz leise daran erinnern, dass dies von meiner Fraktion immer wieder vorgebracht worden ist und dass wir für diesen Vorschlag als sozialistische Neidhammel diffamiert worden sind. Ich will mich gar nicht darüber lustig machen. Meine Vermutung ist nur die, dass Sie populistisch von Ihrer eigenen Verantwortung ablenken wollen. Sie sollten sich den gleichen Kriterien stellen, die Sie den Managern gegenüber aufstellen, um zu deren Entlassung aufzufordern. Angesichts der Fahrlässigkeit, mit der Sie mit Bürgschaftszusagen usw. umgehen, sollten Sie diese Kriterien an sich selbst anlegen. Das hieße dann auch, Ihre eigene Zuständigkeit infrage zu stellen. Sie haben also kein Risikomanagement betrieben, das Vertrauen schafft, sondern haben Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung geschürt. Das ist leider ein Politikversagen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))