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Statt Bildungssparen brauchen wir freien Bildungszugang

Rede von Nicole Gohlke,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Den Bildungsstreik sollte man nicht überbewerten; solche Proteste sind unter Studenten alle paar Jahre üblich“, das haben Sie, Frau Bildungsministerin, am letzten Sonntag bei Anne Will sinngemäß auf die Frage erklärt, warum die Studierenden protestieren. Solche Äußerungen sind für die Studierenden wirklich schwer zu ertragen; denn so etwas ist nichts anderes als absolute Ignoranz und Respektlosigkeit den Streikenden gegenüber.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Geld ist nicht alles, ist die nächste Erwiderung von Politikern der schwarz-gelben Koalition auf die Forderungen der Streikenden. Aber Dozentinnen und Dozenten und Bibliotheken kosten nun einmal Geld, erst recht, wenn die Hochschulen endlich einmal aufhören, prekäre Lehrverträge und sogar 1-Euro-Jobs zu vergeben. Ohne mehr Geld wird es keine neuen Studienplätze und keine breitere Ausgestaltung der Studiengänge geben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Mehr Geld ist vielleicht nicht die alleinige Lösung, aber in jedem Fall die Voraussetzung für Verbesserungen. Die bisherigen Vorhaben der Regierung reichen keinesfalls aus. Im Gegenteil: Die Steuersenkungspläne der Bundesregierung sind genau wie die Schuldenbremse eine Katastrophe für die Bildungspolitik, weil die Haushalte der Länder schon jetzt auf dem letzten Loch pfeifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Schavan, wenn Sie von der Situation der Studierenden irgendetwas verstanden haben, dann müssen Sie sich jetzt gegen die geplante Steuerreform stellen; sonst wird entgegen Ihren Bekundungen die Bildung in Deutschland totgespart.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das ist genau das Gegenteil!)

Welche Antworten auf die Bildungsmisere kommen ansonsten von der Bundesregierung? Das Projekt „Bildungssparen“ – davon haben wir jetzt schon einiges gehört – nach dem Vorbild der Riester-Rente, also die Privatisierung der Bildungsförderung. Doch wer soll sich das leisten können? Für wen ist das gedacht? Ihr Bildungssparen führt unter anderem dazu, dass viele Eltern in die schlimme Situation kommen werden, entscheiden zu müssen, wofür sie das wenige Geld, das am Monatsende eventuell übrig ist, sparen und anlegen: für die Bildung der Kinder oder für die eigene Altersvorsorge. Wie würden Sie entscheiden, Frau Schavan, wenn Sie in einer etwas schwierigeren sozialen Situation wären: Zukunft für die Kinder oder ein halbwegs würdevoller Lebensabend? Oder für welches Ihrer Kinder würden Sie sparen, wenn es für das Studium von zwei oder drei Kindern nicht reicht?

(René Röspel [SPD]: Für die Jungs!)

Dabei können sich diejenigen, die vor solchen Entscheidungen stehen, sogar noch glücklich schätzen. Hartz-IV-Bezieher und -Bezieherinnen, Alleinerziehende oder die vielen Geringverdiener in unserer Gesellschaft stehen schon gar nicht mehr vor solchen Entscheidungen. Frau Bildungsministerin, nehmen Sie endlich die Realitäten in diesem Land zur Kenntnis. Durch Ihre Pläne fördern Sie nur die Kinder aus einkommensstarken Familien. Diejenigen, die Förderung brauchen, haben überhaupt nichts davon.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Statt Bildungssparen brauchen wir einen freien Bildungszugang für alle – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

(Beifall bei der LINKEN)

Kolleginnen und Kollegen, seit drei Wochen streiken Schülerinnen und Schüler sowie Studierende für bessere Bildung. Sie, Frau Ministerin, tun so, als wären Sie auf ihrer Seite. Die Streikenden erleben jetzt mancherorts, zum Beispiel letzte Nacht in der Uni Frankfurt, dass die Hochschulleitung besetzte Hörsäle mit Polizeigewalt, und zwar dabei auch mit wirklicher Gewalt, räumen lässt – mit stillschweigender Duldung der Bildungsministerin.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Rechtsstaat!)

Frau Schavan, ich fordere Sie auf, Stellung zu beziehen. Ist Polizeigewalt auch Ihre Art, mit den Protesten umzugehen?

(Beifall bei der LINKEN)

Polizeigewalt gegen Proteste ist mit Demokratie an den Hochschulen absolut unvereinbar. Sie muss tabu sein. Eine demokratische Gesellschaft braucht demokratische Hochschulen. Die Studierenden verteidigen die Demokratie an den Hochschulen. Sie haben dafür die Unterstützung der Linken.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Schavan, beziehen Sie Stellung, verurteilen Sie öffentlich dieses Vorgehen der Hochschulleitungen und der Polizei, und setzen Sie sich dafür ein, dass die Anzeigen gegen die Studierenden zurückgezogen werden!

(Monika Grütters [CDU/CSU]: Ist sie jetzt auch noch für die Polizei zuständig?)

Umso mehr Respekt habe ich für diejenigen Studentinnen und Studenten, die sich von diesem Vorgehen nicht einschüchtern und entmutigen lassen und sich die Hörsäle wieder zurückerobern, um ihren berechtigten Protest fortzusetzen.

(Zurufe von der SPD)

Die Politik der Bildungsprivatisierung und der Einsparung öffentlicher Gelder für Bildung hat in den letzten Jahren auch dazu geführt, dass Hörsäle mittlerweile nach Großkonzernen benannt sind, die die Hochschulen sponsern; so viel zur vermeintlichen Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft.

(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Abenteuerlich!)

So heißt ein Hörsaal in Würzburg bereits Aldi-Süd-Hörsaal und einer in Nürnberg ausgerechnet easyCredit-Hörsaal. Dieser Name grenzt angesichts der schwarzgelben Konzepte zur Bildungsfinanzierung wirklich an Realsatire.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD] – Monika Grütters [CDU/CSU]: Ihre Rede auch!)

Es ist ein Armutszeugnis, dass sich die Hochschulen mit solch absurden und zweifelhaften Finanzierungskonzepten über Wasser halten müssen. Es ist höchste Zeit, dass sich die Studentinnen und Studenten ihren Raum zurückholen. In diesem Sinne: Die Hörsäle und die Hochschulen gehören den Studierenden!