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Stasiunterlagengesetz-Novelle

Rede von Lukrezia Jochimsen,

Fristen für Überprfungen - Regelanfragen

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Vergangenheit unseres 40 Jahre in zwei Gesellschaftssysteme getrennten und nunmehr seit 16 Jahren vereinten Landes verlangt heute von uns Abgeordneten eine Auseinandersetzung über den Umgang mit der Geschichte der DDR und ihrer Aufarbeitung einerseits und eine humane Gewichtung der Rechtsprinzipien "Verjährung" und "Verhältnismäßigkeit" andererseits.
Für die Fraktion Die Linke steht außer Frage: Die Aufarbeitung soll weitergehen. Opfer der Ausspähung durch das Ministerium für Staatssicherheit müssen auch in Zukunft ein uneingeschränktes Recht auf Einsicht in ihre Akten haben;
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ebenso muss die wissenschaftliche Aufarbeitung garantiert sein, sogar erweitert und vertieft werden.
(Jörg Tauss [SPD]: Dann können Sie ja zustimmen!)
Die Nutzung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit ist auch dann möglich, wenn sie vom Bundesarchiv verwaltet und betreut werden. Die Zusammenführung der Akten würde viel größere Effekte für Forschung und Bildung ermöglichen. Außerdem wäre der Grundgedanke der Freiheit von Forschung und Wissenschaft in dieser Institution besser verwirklicht als in einer Behörde, die beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Da gehört sie auch hin!)
Diesen Weg der Aufarbeitung schlagen wir vor, und zwar im Sinne einer
rückhaltlosen Auseinandersetzung mit den Verbrechen, die im Namen des Sozialismus und Kommunismus begangen wurden,
wie es in der Präambel des PDS-Programms von 2003 heißt. Dabei wird
der unumkehrbare Bruch mit der Missachtung von Demokratie und politischen Freiheitsrechten
als das die PDS einigende Fundament beschrieben.
(Beifall bei der LINKEN)

Kein Schlussstrich also unter die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, kein Stopp für den persönlichen Zugang der Betroffenen zu den Akten, kein Ende der Presse- und Forschungsarbeit. Aber Schluss mit dem vielfältigen Verdacht gegen Bürgerinnen und Bürger des Ostens.
(Beifall bei der LINKEN)
1991 hat der Bundestag die Dauer der Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst aus gutem Grund auf 15 Jahre begrenzt. Zum Rechtsstaat gehört der Rechtsgedanke der Verjährung im Strafrecht wie im Zivilrecht. Die Zeit spielt bei Fragen der Schuld eben eine entscheidende Rolle. Selbst die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung oder der schweren Freiheitsberaubung verjähren nach zehn Jahren. Bei schwerer Vergewaltigung ist die Tat ebenfalls nach zehn Jahren verjährt und darf bei einer Einstellung in den öffentlichen Dienst nicht einmal geprüft und ermittelt werden. Auch dort gibt es immer Betroffene, die diese Verjährung nicht verstehen. Der Rechtsstaat hat sie dennoch beschlossen.
Deshalb plädierten wohl auch 1991 Abgeordnete der FDP für eine zehnjährige Begrenzung der Gültigkeit des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, zumal es hier in der Regel um Moral und nicht um Straftaten geht. Ich zitiere - mit Erlaubnis der Präsidentin - Burkhard Hirsch aus der damaligen Bundestagsdebatte:
Ich sage Ihnen, dass es ganz und gar unserer Rechtstradition widerspricht, einem Täter über einen so langen Zeitraum hinweg eine Tat ... nachzuhalten: 15 Jahre! Wenn ich Zweifel am Gesetz habe, dann an diesem Teil, der einen Zug der Erbarmungslosigkeit hat und nicht die Kraft findet, zu sagen, dass in fünf oder sechs Jahren, jedenfalls in diesem Jahrhundert, die allgemeine Durchleuchtung der Vergangenheit endet, wenn nicht ein individuelles Opfer Klage oder Anklage erhebt.
Burkhard Hirsch, wohlgemerkt 1991, FDP.
Jetzt sind 15 Jahre vergangen und Willkür herrscht; denn mal werden Verstrickte beschäftigt - zum Beispiel in der Birthler-Behörde, wie wir gestern erfahren haben - und mal eben nicht. Vor allem aber geht es mit den Überprüfungen weiter und weiter, unter anderem von kommunalen Wahlbeamten, ehrenamtlichen Richtern, Angestellten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Trainern,
(Unruhe bei der CDU/CSU und der FDP)
Ärzten, Betreuern von Nationalmannschaften, ständigen Stellvertretern von Behördenleitern, Intendanten und so weiter und so fort. Es wird überprüft ohne Verdacht, und das mindestens noch fünf Jahre. So will es das neue Gesetz der Riesenkoalition aus CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Immer wieder werde ich gefragt: Was kann die Linksfraktion im Bundestag überhaupt ausrichten?
(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts!)
Heute sage ich selbstbewusst: wenigstens eine Stimme gegen die übermächtigen anderen setzen. Wenn es uns hier nicht gäbe, dann gäbe es keinerlei Widerspruch gegen dieses Gesetz, welches gegen die Prinzipien des Rechtsstaates Verjährung und Verhältnismäßigkeit verstößt.
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
Es gäbe keinen Entschließungsantrag, der Ja sagt zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, aber Nein zur weiteren Überprüfung unzähliger Personengruppen.
15 Jahre Überprüfungen sind genug. Die Verlängerung über das Jahr 2006 hinaus verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da jede Überprüfung einen gravierenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Individuums darstellt und dieser Eingriff nach 15 Jahren für Verhaltensweisen, die noch viel länger zurückliegen können, nicht mehr zu rechtfertigen ist.
(Monika Grütters [CDU/CSU]: Das ist ein Schlag ins Gesicht der Opferverbände!)
Vergessen Sie nicht, dass es sich hier nicht einmal um das Strafrecht handelt.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Denken Sie mal an die Opfer!)
Ich bitte Sie, die Sie die Übermacht in diesem Hause haben, unseren Entschließungsantrag wenigstens zu bedenken. Dem Novellierungsgesetz werden wir nicht zustimmen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)