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Staatsleistungen an die Kirchen prüfen!

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir reden über einen Antrag, der den Weg dafür ebnen soll, einen Verfassungsauftrag einzulösen, und zwar noch bevor dieser schon 100 Jahre besteht. Es geht nicht um den Glauben von Menschen. Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie soll nicht angetastet werden, und das wird sie durch den vorliegenden Antrag auch nicht. Das zu erwähnen ist mir auch angesichts der Geschichte meiner Partei ausgesprochen wichtig.

Artikel 140 des Grundgesetzes macht Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung zum Bestandteil des Grundgesetzes. Die Weimarer Reichsverfassung stammt aus dem Jahr 1919. Der Artikel lautet:

Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst.

Jetzt kommt der entscheidende Satz:

Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

Es geht mithin um die Zahlungsverpflichtung des Staates an die Kirchen für die vor über 200 Jahren enteigneten kirchlichen Besitztümer. Über das ausgesprochen sinnvolle und hilfreiche Portal www.kleineanfragen.de lässt sich leicht herausbekommen, welchen Umfang diese Zahlungsverpflichtungen ausmachen. Knapp 13 Millionen Euro waren es 2015 in Schleswig-Holstein. Etwas mehr als 24 Millionen Euro waren es im Jahr 2015 in Sachsen. Knapp 24 Millionen Euro werden im Jahr 2016 in Thüringen fällig. In Berlin wurden im Jahr 2014 knapp 11 Millionen Euro an Staatsleistungen gezahlt.

Wir wollen nun mit unserem Antrag dafür sorgen, dass eine Kommission zunächst prüft und bewertet, inwiefern die sogenannten Säkularisierungsverluste durch die seit 1919 gezahlten Leistungen angemessen ausgeglichen wurden, und dann Vorschläge unterbreitet, welche Konsequenzen der Gesetzgeber im Hinblick auf den zukünftigen Umgang mit diesen Zahlungen aus der Evaluierung ziehen sollte.

Wir sind also nicht mehr ganz so revolutionär wie in der vergangenen Legislaturperiode. Da hatten wir nämlich einen Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen vorgelegt, den Sie damals abgelehnt haben. Nun wollen wir Ihnen quasi eine zweite Chance geben, den Verfassungsauftrag einzulösen, und zwar durch eine Win-Win-Situation für alle.

Da alle hier vertretenen Fraktionen in der vergangenen Legislaturperiode die Notwendigkeit der Einlösung des Verfassungsauftrags anerkannt haben, ist das meines Erachtens auch kein Problem. Ich zitiere Dieter Wiefelspütz, SPD:

Ich bin also sehr dafür, … dass wir in Deutschland einen Diskussionsprozess organisieren - nicht nur hier im Parlament, sondern auch mit den Kirchen -, um darüber zu reden, wie das geht.

Die Abgeordnete Flachsbarth, CDU/CSU:

Gesprächen, die eine solche Ablösung im freundschaftlichen Einvernehmen intendieren würden, würden wir uns nicht entziehen …

Selbst - hören Sie aufmerksam zu - Norbert Geis:

Dazu sind Verhandlungen notwendig mit dem Ziel, eine einvernehmliche Regelung zu finden.

Josef Winkler, Grüne:

Wir sollten die Auseinandersetzung über Sinn und Zweck der Staatsleistungen und die rechtlichen Möglichkeiten ihrer Ablösung führen, …

Wenn wir in dieser Legislaturperiode die Kommission einsetzen, dann kann diese bis zum Ende der Legislaturperiode ihre Ergebnisse vorlegen. Wir alle könnten uns dann dazu verhalten und sogar mit konkreten Aussagen, in welcher Höhe Staatsleistungen noch zu zahlen sind, ob überhaupt noch Staatsleistungen zu zahlen sind, in die Debatte gehen. Wir könnten damit sogar in den Wahlkampf gehen, wenn wir das möchten.

Der nächste Bundestag kann dann auf der Grundlage der Empfehlungen der Kommission das Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen beschließen. Wir alle hätten dann, bevor der Verfassungsauftrag 100 Jahre alt wird, diesen Verfassungsauftrag eingelöst.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Fraktion findet, dass es Zeit ist, dass dieser Auftrag eingelöst wird. Wenn ich noch einmal auf die Debatte in der vergangenen Legislaturperiode verweise und die eben genannten Zitate Ihnen noch einmal in Erinnerung rufe, dann sind ja eigentlich alle hier der Meinung, dass dieser Verfassungsauftrag eingelöst werden sollte.

Wenn das so ist, dann lassen Sie uns die Expertenkommission einsetzen. In der Kommission sollen Kirchenhistorikerinnen, Kirchen- und Verfassungsrechtlerinnen, Ökonominnen, aber auch Vertreterinnen der Länder und der beiden großen Amtskirchen mitarbeiten.

Wir gehen mit diesem Antrag einen Schritt auf alle zu, nehmen alle Bedenken aus der vergangenen Wahlperiode auf, machen einen konkreten Vorschlag für einen Weg, wie man dem Verfassungsauftrag nachkommen kann. Aus sachlichen Gründen kann also eigentlich niemand diesem Antrag widersprechen. Deswegen bitte ich Sie: Stimmen Sie diesem Antrag einfach zu.

(Beifall bei der LINKEN)