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Soziale und ökologische Landwirtschaft braucht einen Systemwechsel

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Sehr geehrte junge Leute, wollen wir einmal sehen, ob ich dem Streitkulturthema heute gerecht werde. Das können Sie hinterher vielleicht irgendwie signalisieren, soweit Sie das dürfen.

Dass der Haushalt des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bereits im Entwurf mit über 300 Millionen Euro und nach der Bereinigungssitzung noch einmal mit 100 Millionen Euro auf nun insgesamt 6 Milliarden Euro aufgestockt wird, ist, wie die Linke findet, ein gutes Zeichen.

(Beifall bei der LINKEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich freue mich, dass in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses noch einmal Fortschritte gemacht werden konnten, insbesondere beim Bundesprogramm Ländliche Entwicklung; das ist ein Thema, das mich ganz besonders interessiert. Man sollte am Anfang immer das Positive hervorheben.

Bei genauerem Hinsehen aber ist der Aufwuchs auch ein Zeichen der Hilflosigkeit der Regierung,

(Zurufe von der CDU/CSU): Oh!)

weil die Maßnahmen insbesondere in der Milchkrise nur die Behandlung von Symptomen sind, Herr Auernhammer. Der Minister hat in der ersten Haushaltsberatung das Problem eigentlich sehr deutlich angesprochen und geradezu kämpferisch Änderungen bei den Lieferbeziehungen angemahnt, sie gar zur Bedingung für seine Hilfen gemacht. Er sagte:

"Aber es kann keiner erwarten, dass ich um des lieben Friedens willen nur Geld organisiere und die Probleme nicht angegangen werden."

Da kann ich ebenfalls nur zustimmen. Aber wo sind die grundlegenden Veränderungen bei den Vermarktungsstrukturen? Wie sorgen wir dafür, dass nicht bald die nächste Milchkrise ins Haus steht und am Ende nicht wieder Steuergelder helfen müssen? Wie sorgen wir also für nachhaltige und faire Milchpreise? Viele Fragen, Herr Minister! Aber Sie reden noch nach mir. Ich werde Ihnen zuhören.

Wenn ich sehe, dass selbst 2015 von 58 Millionen Euro Bundesmitteln innerhalb der GAK für den Bau von Milchkuhställen nachweisbar mindestens 51 Millionen Euro mit Kapazitätserweiterungen verbunden waren – so die Zahlen aus Ihrem Ministerium –, wenn man also davon ausgehen muss, dass mindestens 90 Prozent dieser Bundesmittel in den letzten Jahren das Problem sogar noch verschärft haben, also mit öffentlichen Mitteln, während wir an anderer Stelle mit vielen Steuermillionen die Brände löschen, dann fehlt da zumindest bei mir das Verständnis.

(Beifall bei der LINKEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das entscheiden aber die Länder!)

Die deutliche Kritik, die Herr Priesmeier vor zwei Wochen am eigenen Hilfsprogramm gefunden hat, war ebenso bemerkenswert für uns. Offensichtlich scheint selbst in der Koalition große Uneinigkeit darüber zu bestehen, welche geeignete Medizin angewendet werden soll, um den kranken Patienten Milchmarkt zu heilen. Sie haben den Tropf mit den Schmerzmedikamenten etwas aufgedreht, unterlassen aber Strukturveränderungen und Ordnungspolitik, die eine wirkliche Heilung versprechen würden.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen setzen Sie nach wie vor auf alte Rezepte der Exportlogik. Die Linke will aber eine Abkehr von der neoliberalen Exportpolitik, die auch im Agrarbereich nur für menschenunwürdige Gehälter und Einkommen einerseits und Profite in Händen weniger andererseits sorgt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke will die Marktkartelle im Lebensmitteleinzelhandel und in den Vermarktungsketten brechen und die Konzentration von Marktmacht verhindern. Permanente Hilfsprogramme sind dafür keine Lösung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Landwirtschaft hängt mehr und mehr am Subventionstropf der EU, des Bundes und auch der Länder. Was nicht gefördert wird, rechnet sich in der Landwirtschaft schon längst nicht mehr. Wir sind also meilenweit entfernt von Marktwirtschaft, vor allem von sozialer Marktwirtschaft. Das sage ich besonders auch im Hinblick auf die Agrarstrukturen. Wenn am Ende nur noch große Investoren in Besitz von Land und Betrieben sind und kleine Familienunternehmen unterliegen, wenn Wertschöpfung an nicht landwirtschaftliche Investoren ohne Bindung an die Region abfließt, wenn nur noch Konzerne und Großbetriebe den Ton angeben, wenn die Preisspirale am Bodenmarkt immer weiter gedreht wird, wird am Ende nur Rendite das Maß bestimmen. Dann wird die Agrarwirtschaft noch weniger Akzeptanz in der Gesellschaft finden, als sie heute schon hat. Wir wollen verantwortungsbewusste Landwirte, keine renditegetriebenen Großinvestoren, wir wollen Agrarstrukturen, die eine ökologisch und sozial nachhaltige Landwirtschaft ermöglichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklung der ländlichen Räume ist vor allem auch eine soziale Frage; denn der Frust ist greifbar. Ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung zu einem Ort in meinem Bundesland kurz vor der Landtagswahl. Wie Sie wissen, sind die Ergebnisse für die etablierten Parteien, allerdings auch einschließlich meiner, nicht besonders gut gewesen. Da heißt es:

"Wenn man mit Koblentzern spricht,"

– so heißt der Ort –

"beschweren sie sich über ignorante Behörden und ungleiche Verhältnisse. Über den Euro. Über Angela Merkel. Über den Schulbus ... Über den Umstand, dass einfach nichts besser werde, nicht mal die alte Dorfstraße, die ein holpriges Chaos aus Kopfstein, Asphaltflecken und Sand ist. Und ein Dorfbewohner gibt offen zu: „Ich habe die NPD gewählt. Weil sonst hier nichts passiert. Wir haben ja nicht aus Überzeugung die NPD gewählt.“"

– Sagt er. –

"„Die sollten mal einen Schrecken bekommen.“ Und diesmal? ... „Ich wähle die AfD.“"

(Zuruf von der SPD: Mit der passiert noch viel weniger!)

Hier wird deutlich: Der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft zeigt sich sehr konkret in der Lebensrealität vieler Menschen, vor allem an der alltäglichen Ausgrenzung. Wenn Schulen, Kitas und Krankenhäuser nur noch in großen Städten gebaut werden und anderswo dafür schließen müssen, wenn der Staat sich zurückzieht und soziale Infrastruktur nicht mehr erreichbar ist, wenn Menschen in vielen kleinen Gemeinden weniger Perspektiven haben als andere, ihre Lebensleistung scheinbar von geringerem Wert ist, wenn Grundstückspreise sinken und damit viele private Vermögen schmelzen und die eigenen Kinder nur noch in Stuttgart, Hamburg oder München einen Job finden, wenn Menschen schlicht abgehängt werden und dies nicht ein paar wenige betrifft, sondern breite Massen, dann schafft das Zukunftsangst und Frust. Dann ist die Demokratie in Gefahr. Die Grundversorgung muss in Stadt und Land gesichert sein. Darüber sind wir uns von der Zielstellung her einig. Nur der Weg dahin trennt uns ein wenig.

Jetzt werden Sie mir gleich sagen, dass das alles nicht über den Einzelplan 10 zu leisten sei und damit längst nicht alle Probleme gelöst werden könnten, die im ländlichen Raum bestehen. Ja, das stimmt. Alle Ressorts sind in der Pflicht, und alle machen ein bisschen: GAK, ­LEADER, ELA, ILE, GRW, Breitbandförderung, BULE, Förderprogramm „Kleine Städte und Gemeinden“, Landzukunft, Landaufschwung, MORO – ich könnte hier noch zehn Minuten weitermachen. Wer soll das überblicken? Wer redet eigentlich einmal mit den Bürgermeistern vor Ort und den Bäuerinnen und Bauern kleinerer Gemeinden und fragt, wie es ihnen eigentlich gelingen soll, in diesem Förderdschungel noch durchzublicken? Ich sage: Wir brauchen eine ganzheitliche Politik für den ländlichen Raum.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen die fachliche Fragmentierung aufheben. Wir brauchen eine Förderung aus einem Guss, keine 20 Modellvorhaben oder Placebos oder Konkurrenz zwischen Herrn Schmidt und Frau Hendricks oder Profilierungen. Wir brauchen auf ministerialer Ebene eine deutliche Verankerung der ländlichen Entwicklung. Deshalb fordern wir, mindestens 200 Millionen Euro mehr in die GAK, in die zweite Säule, für die ländlichen Räume zu stecken, um einen sichtbaren Anfang zu setzen.

(Beifall bei der LINKEN)

In Mecklenburg-Vorpommern haben wir seit kurzem einen Staatssekretär für Vorpommern. Ich finde, es wäre auch im Bund eine gute Lösung, einen Minister für den ländlichen Raum zu benennen, der die Strukturförderung bündelt. Das wäre die richtige Antwort. Vielleicht könnte das Herr Schmidt sein. Die ländliche Entwicklung darf kein Nebenprodukt der Agrarpolitik bleiben.

Einen letzten, bedeutenden Aspekt will ich noch ganz kurz ansprechen.

Ganz kurz. – Es darf nicht eindimensional nur um die Menschen im ländlichen Raum gehen, sondern es muss auch um die Tiere gehen, die nicht zur einfachen Ware pervertiert werden dürfen und möglichst renditeträchtig produziert und vermarktet werden. Uns geht es also letztlich darum – das fordert die Linke –, die Landwirtschaft sozial und ökologisch auszugestalten, für lebendige Räume, für Mensch, Tier und Natur.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)