Zum Hauptinhalt springen

Soziale Integration statt Arbeitsverbote

Rede von Sevim Dagdelen,

Plenarrede von Sevim Dağdelen am 12.11.2015 im Deutschen Bundestag anlässlich der Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE. "Flüchtlinge auf dem Weg in Arbeit unterstützen, Integration befördern, Lohndumping bekämpfen".

 

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut dem Bundestag gut, auch einmal einen Gefolgsmann der Bundeskanzlerin aus der CDU/CSU-Fraktion hier reden zu hören -

(Kerstin Griese (SPD): Schon zwei!)

im Gegensatz zur gestrigen Aktuellen Stunde im Bundestag, in der man sich offenbar darum bemühte, die Kanzlerin zu demontieren.

So tat es beispielsweise Bundesinnenminister de Maizière, der in der Aktuellen Stunde seine Ablehnung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge wie folgt begründete:

Einen Nachzug in die Arbeitslosigkeit und damit in die Perspektivlosigkeit sollte es nicht geben.

Ich finde, das ist eine wirklich bemerkenswerte Argumentation, und frage mich, wieso Sie den Menschen eigentlich nicht reinen Wein einschenken. Erst durch das Arbeitsverbot, das diese Bundesregierung schafft, die Nachrangregelungen, verweigerte Sprachkurse und auch die überlangen Asylverfahren werden die Flüchtlinge zwangsweise zu Empfängern staatlicher Transferleistungen. Erst verhindern Sie die schnelle Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen, und dann kolportieren Sie das Vorurteil, Flüchtlinge würden das Sozialhilfesystem in Deutschland ausnutzen. Ich finde, statt rechtspopulistischer Stimmungsmache sollten Sie endlich handeln - für soziale Integration in diesem Land. Heben Sie die Arbeitsverbote auf, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sollten die aktuelle Situation zum Anlass nehmen, den Sozialstaat in Deutschland insgesamt zu erneuern.

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Sie instrumentalisieren die Flüchtlinge genauso wie die anderen! Das ist unglaublich! Die Menschen sind Ihnen nicht wichtig!)

Dafür brauchen wir eine Millionärssteuer, meine Damen und Herren; denn wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle in Deutschland,

(Beifall bei der LINKEN)

eine Gesundheitsversorgung für alle in diesem Land und Bildung und existenzsichernde Arbeit für alle Menschen. Wer sich auf der einen Seite hierhinstellt und ständig das Mantra „Wir schaffen das“ vorträgt, aber auf der anderen Seite dieses Staatsversagen selbst organisiert, der muss sich schon fragen lassen, welches Ziel er verfolgt. Wer jetzt fordert, wie beispielsweise die Wirtschaftsweisen, den Mindestlohn für Flüchtlinge zu senken, die Mietpreisbremse aufzuheben, Sozialleistungen zu senken und die Regelungen hinsichtlich des Renteneintrittsalters zurückzunehmen, der befördert nicht nur Ungleichheit und Rassismus in diesem Land, sondern versucht auch noch, aus dem Elend der Flüchtlinge Kapital zu schlagen.

(Beifall bei der LINKEN - Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Das machen Sie doch! - Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Das machen Sie doch auch! Ihr seid doch genauso schlimm wie die AfD!)

Sie müssen dieser Politik der Bundesregierung klar und deutlich eine Absage erteilen, anstatt alles nachzureden.

(Beifall bei der LINKEN)

Fast jeden Tag kommt ein neuer Vorschlag der Bundesregierung, der sich gegen die soziale Integration von Flüchtlingen richtet. Das neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist für viele Flüchtlinge schlicht ein Integrationsverhinderungsgesetz.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Nur für die ohne Bleibeperspektive!)

Die verlängerten Lageraufenthalte, ausgeweiteten und dauerhaften Arbeitsverbote, die von drei auf sechs Monate verlängerte Residenzpflicht bezogen auf den Ort der Erstaufnahmeeinrichtung, die Umstellung auf Sachleistungen und die verfassungswidrigen Leistungskürzungen werden nicht zur Integration führen, sondern bedeuten eine Desintegration mit Methode.

(Beifall bei der LINKEN)

Jeder Schritt, der das Warten der Flüchtlinge in den Lagern, in den Turnhallen und in den Unterkünften verlängert, ist Gift für die Integration.

(Kerstin Griese (SPD): Das Wort „Lager“ ist ein böses Wort!)

An dieser Stelle möchte ich gerne aus einem Brief eines Flüchtlings an die WDR-Journalisten Isabel Schayani, die ihn veröffentlicht hat, zitieren. Sie schreibt:

Ein höflicher Mensch, der aber am Ende seines Briefes schrieb: „Über lange Zeit nur zu essen und zu schlafen, ohne arbeiten und lernen zu können, führt dazu, dass die Menschen sich schlecht benehmen und psychische Probleme haben. Sie können so eine Gefahr für die Gesellschaft werden. Wenn die Regierung ihnen das Arbeiten ermöglichen würde, dann könnten sie gesund und produktiv sein, während ihr Asylverfahren geklärt wird. Aber wenn jemand überhaupt nichts zu tun hat, dann versucht er, etwas zu tun. Es könnte gut und es könnte schlecht sein.“

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, alle Ihre Vorschläge zielen in dieselbe Richtung: Abwehr und Abschottung und vor allen Dingen Desintegration. Hören Sie damit auf; denn Sie organisieren die Perspektivlosigkeit der Flüchtlinge. Vor allen Dingen bringen Sie den sozialen Frieden in Deutschland in Gefahr, weil Sie das Land mit dieser Politik spalten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Lesen Sie in Ihrer Rede noch einmal nach, wer hier spaltet!)

Sie sollten mit dieser selektiven Integrationspolitik aufhören. Selbst Asylsuchenden aus Afghanistan und Somalia wird ein Sprachkurs während des Verfahrens verweigert. Das ist doch schlicht das Gegenteil von Integration.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sagen wir: Hören Sie auf mit den Arbeitsverboten auf! Hören Sie auf mit der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge;

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Hören Sie auf, so einen Quatsch zu reden!)

denn Sie selbst sind dafür verantwortlich, dass sie nicht arbeiten dürfen und keine Perspektive haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)