Zum Hauptinhalt springen

Soziale Frage bei Kinder- und Jugendrechten nicht ausblenden

Rede von Norbert Müller,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Koob, ich kenne Sie nicht weiter; aber ich hätte gute Lust, von meiner Rede abzuweichen und auf Ihren Beitrag zu antworten. Aber dann würde ich ebenfalls nicht zum Antrag sprechen. Deswegen sehen Sie es mir nach, wenn ich zum Antrag rede.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

- Freuen Sie sich nicht zu sehr, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen.

Ich möchte Ihnen zunächst für Ihren Antrag danken, weil er uns die Möglichkeit gibt, nicht nur in der Kinderkommission, sondern auch im Plenum den 25. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention zu würdigen. Als ich Anfang der 90er-Jahre in die Grundschule gegangen bin, war das bereits ein Thema. Das haben wir aber nicht verstanden. Es wurde im Ethikunterricht der fünften oder sechsten Klasse behandelt, dass die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland nur unter Vorbehalt umgesetzt wird. Es ist ein großer Fortschritt, dass sie inzwischen zumindest vollständig umgesetzt werden soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Antrag hat in seiner Detailliertheit insbesondere bei den vorgeschlagenen Maßnahmen einige Stärken. Das gestehen wir selbstverständlich zu. Die Aufnahme von eigenständigen Kinderrechten ins Grundgesetz, die Herabsetzung des Wahlalters, längst überfällige Anpassungen des Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetzes - vor allem im Hinblick auf die steigende Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge - oder auch die umfassende Demokratisierung des Bildungssystems, dies alles teilen wir, auch wenn festzuhalten bleibt, dass die Umsetzung der angeführten Punkte im Antrag im Unklaren bleibt und die Zuständigkeiten zumeist bei den Ländern und Kommunen liegen. Diese sind schon ganz unterschiedlich weit damit, das umzusetzen, was Sie jetzt fordern.

Gerade die Detailliertheit beim Ausbau von Partizipationsrechten von Kindern und Jugendlichen verschleiert aber, dass Sie bei Ihrer Definition von Kinder- und Jugendrechten zentrale Bestandteile schlichtweg außen vor lassen. Dies ist insbesondere zum 25. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention durchaus bedauerlich. Es geht eben nicht nur um Beteiligung, sondern auch um die Voraussetzungen für Beteiligung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Förderung und der Schutz von Kindern und Jugendlichen sind nämlich kein zu vernachlässigendes Thema, wie Ihr Antrag nahelegt, ob beabsichtigt oder nicht. Das Recht auf Förderung und Schutz ist auch nach der UN-Kinderrechtskonvention nicht vom Recht auf Beteiligung zu trennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet: Die soziale Frage stellt sich auch als eine Frage der Demokratisierung unserer Gesellschaft. Wenn, wie gestern in der Kinderkommission festgestellt wurde, 20 bis 25 Prozent aller Kinder in Deutschland durch Armut oder Armutsgefährdung innerhalb der Gesellschaft abgehängt zu werden drohen, dann nützt ihnen weder die Direktwahl eines Schülersprechers noch das Wahlrecht mit 16 ‑ das gestehe ich Ihnen zu, Herr Koob ‑; denn dann hat die Gesellschaft ein ganz anderes Problem: Dann steht es auch um unsere Demokratie schlecht bestellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Mein Bundesland Brandenburg hat auf Initiative von SPD, Linken, FDP und Grünen als erstes Flächenland das Wahlrecht mit 16 für Landtagswahlen, Kommunalwahlen sowie bei der Volksgesetzgebung eingeführt und umgesetzt. Bei der Landtagswahl am 14. September - für die übrigens die CDU damit geworben hat, man könne mit 16 CDU wählen; die Plakate hingen im Land - gaben gerade einmal 41 Prozent der 16- bis 18-Jährigen ihre Stimme ab. Das liegt deutlich unter der Wahlbeteiligung insgesamt, trotz größter Anstrengungen von Verbänden, Initiativen, Gewerkschaftsjugenden und auch vonseiten der Politik. Wenn man die regionale Wahlbeteiligung dieser Altersgruppe mit der Kinderarmut im Land abgleicht, dann habe ich keine Zweifel, wie das Ergebnis ausfallen würde. Das ist deprimierend.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es muss daher darum gehen, zu gesellschaftlicher Beteiligung zu ermächtigen und sie nicht nur formal, sondern lebenspraktisch zu ermöglichen. Das heißt, die soziale Frage bei Kindern und Jugendlichen zu beantworten, also den Gedanken von Schutz und Förderung eben nicht zu vernachlässigen, sondern in den Vordergrund zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu benötigen wir zum Beispiel eine gut ausgebaute soziale Infrastruktur, Kollege Koob. Das heißt, auf die schwarze Null zu verzichten; denn die schwarze Null und die Schuldenbremse werden dazu führen, dass wir die Infrastruktur und ihren Wert nicht mehr erhalten können und dass wir die soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche nicht weiter ausbauen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen kann es bei der Aufnahme von Kinder- und Jugendrechten in das Grundgesetz auch nicht bei Beteiligungsrechten bleiben und kann der Schwerpunkt auf Partizipation nicht allein der Hebel sein, um Schutz und Förderung von Kindern und Jugendlichen zu sichern.

Der Antrag der Grünen enthält wenig Falsches. Aber er schießt zu kurz und offenbart ein bisschen Ihre alte Schwäche, was die soziale Frage angeht, liebe Fraktion der Grünen. Das ist aber gar nicht dramatisch. Viel dramatischer finde ich den Redebeitrag des Kollegen Koob, der offenbar nicht verstanden hat, worum es geht. Noch dramatischer finde ich die Absetzbewegung der sozialdemokratischen Fraktion, die in früheren Legislaturperioden und in ihrem Wahlprogramm schon sehr viel weiter war. Ich finde es armselig, dass im Koalitionsvertrag ausschließlich darauf hingewiesen wird, dass man internationale Standards ‑ zu diesen gehört auch die UN-Kinderrechtskonvention ‑ berücksichtigen werde, wenn man Normen und Standards hier im Land verändere. Wir werden im Ausschuss die Möglichkeit nutzen, den Antrag der Grünen zu qualifizieren. Wir stimmen insgesamt zu.

Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN ‑ Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)