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Sozial ungerecht: Sparerfreibetrag, Pendlerpauschale, Mehrwertsteuererhöhung

Rede von Gregor Gysi,

Die Koalition müsste den Mut haben, auch einmal von den Konzernen, Reichen und Bestverdienenden mehr Steuern zu fordern. Das will sie nicht. Dazu fehlt der Regierung der Mut. Das ist das Problem der Koalition. Deshalb geht das Herumeiern immer zulasten derselben Gruppen: der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dadurch machen Sie diese Gesellschaft nicht nur grob sozial ungerechter, sondern das wird auch verheerende wirtschaftliche Folgen haben! Gregor Gysi in der Debatte zum Steueränderungsgesetz .

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wollen heute leider wieder ein Steuergesetz beschließen, das mit sozialer Gerechtigkeit und mit wirtschaftlichem Aufschwung nichts zu tun haben wird; ganz im Gegenteil. Ich werde versuchen, das zu begründen.
Ich habe mir dazu vier Punkte herausgesucht.
Sie wollen die steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für Arbeitszimmer stark reduzieren. Sie versprechen sich dadurch Mehreinnahmen von 300 Millionen Euro. Das trifft in erster Linie Lehrerinnen und Lehrer, aber auch andere Berufsgruppen. Das bedeutet für sie natürlich eine Nettolohnkürzung und nichts anderes. Sie haben kein einziges Argument genannt, das die Nettolohnkürzung rechtfertigen würde, zumal die Betroffenen seit Jahren kaum Lohnsteigerungen erlebt haben.
Sie haben außerdem vor, beim Kindergeld und Kinderfreibetrag zu sparen, und zwar dergestalt, dass man das nur noch bis zum 25. Lebensjahr und nicht mehr bis zum 27. Lebensjahr erhält. Es ist interessant, das mit einer anderen Zahl zu vergleichen. Das durchschnittliche Alter der Studierenden zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihren Abschluss machen, liegt bei 28 Jahren. Das heißt, drei Jahre lang stellen Sie die Leute ohne Einnahme.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Übergangsregelung!)

Was heißt das konkret? Das heißt, dass Sie die Ausbildungszeit nicht verkürzen, sondern verlängern,

(Beifall bei der LINKEN)

weil die Betroffenen nebenbei arbeiten müssen, um ihr Studium überhaupt noch absolvieren zu können.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Haben Sie den Gesetzentwurf überhaupt gelesen?)

Jetzt sollen noch Studiengebühren der Universitäten dazukommen. Jeder kann sich ausrechnen, wohin das führt. Das wird eine ganz elitäre Geschichte.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kinder von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben kaum noch Chancen, zu studieren. Das ist damit verbunden! Davon versprechen Sie sich Mehreinnahmen von 534 Millionen Euro - schon eine ganze Menge.
Dann reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. Jemand, der allein stehend ist, hat bisher einen Sparerfreibetrag von 1 370 Euro, Verheiratete haben einen solchen von 2 740 Euro. Das reduzieren Sie auf 750 Euro bzw. 1 500 Euro. Das machen Sie in einer Zeit, in der Sie selbst beschließen, dass man die gesetzliche Rente später erst mit 67 Jahren bekommt, in der Sie selbst sagen, dass die Rente verringert werden wird. In dieser Situation reduzieren Sie den Sparerfreibetrag. In einer Zeit, in der Sie den Leuten jeden Tag erklären, sie müssten privat vorsorgen, greifen Sie gleichzeitig mit der Steuer zu.
Sie haben nicht einmal die Fähigkeit zu einer gewissen Logik. Man kann nicht beides miteinander verbinden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nehmen wir es konkret: Bei einer Verzinsung von 5 Prozent bedeutet das, dass jemand schon bei einem Sparguthaben von 16 020 Euro Steuern bezahlen muss; bisher waren es 32 040 Euro ist.

(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Wo bekommen Sie das denn?)

- Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Sie wollen sie doch schaffen. Also glauben Sie doch wenigstens an eine Verzinsung von 5 Prozent, auch wenn wir im Augenblick davon weit entfernt sind.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Wolkenkuckucksheim!)

Das heißt, schon bei der Hälfte des bisherigen Betrages, der auch schon ein lächerliches Sparguthaben für eine Altersvorsorge darstellte, müssten Steuern gezahlt werden. Dann kommt der dickste Brocken: die Entfernungspauschale. Da erhoffen Sie sich Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro. Das heißt, dieses Geld nehmen Sie den Leuten weg, sonst könnten Sie nicht mit solchen Mehreinnahmen rechnen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

15 Millionen Steuerpflichtige machen derzeit die Entfernungspauschale geltend. Die Hälfte davon erhält sie nach Ihrer Neuregelung nicht mehr, weil sie Entfernungen von bis zu 20 km bisher geltend macht hat, die dann nicht mehr geltend gemacht werden dürfen. Aber auch die andere Hälfte bekommt deutlich weniger: Jemand, dessen Entfernung zur Arbeitsstätte 50 Kilometer beträgt, erhält nicht mehr einen Ersatz für diese 50 Kilometer, sondern nur noch für 30 Kilometer. Das kostet die Steuerzahler richtig Geld; wir haben das ausgerechnet.
Nehmen wir einmal ein Ehepaar mit einem Kind, das heute täglich 20 Kilometer hin und zurück zur Arbeitsstätte fährt: Bei einem Jahreseinkommen von 48 000 Euro hieße das, dass es zusätzlich 516 Euro aufwenden muss, bei einem Jahreseinkommen von 60 000 Euro wären es sogar 565 Euro.

(Florian Pronold (SPD): Weil Sie den Arbeitnehmerpauschbetrag mit einrechnen!)

Das ist die Wahrheit. Das müssen die Leute hergeben bzw. es fällt weg, weil sie es nicht mehr geltend machen können. Auf diese Weise erzielen Sie Ihre Mehreinnahme in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Übrigens betrifft das auch diejenigen, die den öffentlichen Nahverkehr benutzen. Auch diese dürfen Entfernungen bis zu 20 Kilometer nicht mehr geltend machen. So müssen sie auch die Preissteigerungen im öffentlichen Nahverkehr, die es in fast jeder Kommune gibt, künftig alleine tragen.
All das wollen Sie hier beschließen. Selbst die Union will sich so entscheiden, obwohl sie doch sonst immer vom flexiblen Arbeitsmarkt redet und sagt, man kann sich nicht mehr aussuchen, in welcher Stadt man arbeitet, sondern muss auch größere Entfernungen in Kauf nehmen. Zugleich sagen Sie aber, bei Entfernungen von bis zu 20 Kilometern erstatten wir nichts mehr. Ich halte das auch für grundgesetzwidrig, und zwar unter anderem deshalb, weil wir das Nettolohnprinzip haben und weil das Bundesverfassungsgericht schon entschieden hat, dass die Aufwendungen, die man hat, um ein Arbeitsentgelt zu erzielen, abzugsfähig sein müssen. Sie sagen aber, sie sollen nicht mehr abzugsfähig sein. Ich denke, dazu werden wir eines Tages eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erleben, die Ihnen möglicherweise nicht gefällt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich das Ganze zusammennehme, komme ich auf eine Kaufkraftreduzierung um über 4 Milliarden Euro nächstes Jahr. Das müssen die Lehrerinnen und Lehrer, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Kleinsparer aufbringen. Das würde auch wirtschaftliche Folgen haben: Das Ergebnis wird sein, dass kleine und mittlere Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, weil sie weniger Waren bzw. Dienstleistungen verkaufen. Dann werden wir mehr Arbeitslose haben. Ich sehe schon, wie dann von Ihnen Anträge kommen, auf welche Weise man Arbeitslose stärker drangsalieren und ihnen Mittel kürzen kann. Das wird die Folge sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss gibt es dann noch ein Tröpfchen, die Reichensteuer. Sie haben Recht, Herr Bundesminister Steinbrück, mit symbolischer Handlung hat das nichts zu tun. Das ist weniger als ein Witz.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Ich muss das wirklich einmal erklären: Unter Helmut Kohl gab es einen Einkommensteuerspitzensatz von 53 Prozent. Union und FDP haben sich tapfer bemüht, diesen zu senken, aber damals standen die SPD und auch andere dagegen;

(Carl-Ludwig Thiele (FDP): Herr Lafontaine!)

deshalb fiel es Ihnen schwer. Bis zu Kohls Abgang wurde ein Steuersatz von 53 Prozent auf Einkommen über 60 000 Euro bei Alleinstehenden bzw. über 120 000 Euro bei Verheirateten erhoben.
Dann kam Gerhard Schröder; die Welt änderte sich. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer wurde um 11 Prozent auf 42 Prozent für all diejenigen gesenkt, die mehr als 60 000 Euro bzw. 120 000 Euro verdienten.

(Otto Fricke (FDP): 11 Prozentpunkte!)

- Okay. - Das haben Sie ja wahnsinnig gefeiert. Was haben die Haushalte dadurch an Geld verloren - diese Zahl ist ja auch einmal interessant -: 7,2 Milliarden Euro weniger Einnahmen aufgrund der Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer! Jetzt stellen Sie sich hin und verlangen von Lehrerinnen und Lehrern, von Kleinsparern und von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über 4 Milliarden Euro zurück, weil Sie damals den Besser- und Bestverdienenden reichlich darüber hinaus, nämlich über 7 Milliarden Euro, gegeben haben. Diesen Zusammenhang muss man einmal herstellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun sagen Sie zwar, jetzt müssen auch diese irgendwie zur Kasse gebeten werden. Da fällt Ihnen aber nur eine Zusatzsteuer in Höhe von 3 Prozent ein, und zwar für Leute, die als Alleinstehende mehr als 250 000 Euro bzw. als Verheiratete mehr als 500 000 Euro verdienen. Sie dürfen das aber nicht aus Gewinnen erwirtschaften, also nicht als Unternehmerin oder Unternehmer, auch nicht aus der Forst- und Landwirtschaft, auch nicht aus einem Gewerbebetrieb: Es bleiben praktisch nur die Festangestellten übrig.
Deshalb ist Ihr Argument, dass sie alle weggehen könnten, ziemlicher Blödsinn. Selbst wenn sie weggingen, würden andere eingestellt. Diese würden das Geld dann verdienen. Das Argument zieht hier also gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Zusatzsteuer dieser kleinen Gruppe liegt bei 3 Prozent. Jetzt muss ich einmal erklären, was das heißt. Es geht ja um das steuerpflichtige Einkommen. Das bedeutet, ein Ehepaar muss viel mehr als 500 000 Euro verdienen, damit es auf ein steuerpflichtiges Einkommen von 500 000 Euro kommt - da gibt es ja Freibeträge und alles Mögliche. Wenn dann alles abgezogen ist, dann haben sie zum Beispiel noch 505 000 Euro. Dann sagen Sie im Ernst, Herr Steinbrück : Als wichtiges Signal müssen sie für die letzten 5 000 Euro 3 Prozent mehr Steuern zahlen. Das ist weniger als ein Witz; sie werden darüber lachen. Ich weiß nicht, ob sich überhaupt jemand bereitfindet, deswegen zum Bundesverfassungsgericht zu gehen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Hier hat die FDP leider nicht Unrecht; denn es gibt ein verfassungsrechtliches Argument. Es hat einen Zug von Willkür, wenn man sagt: ab 500 000 Euro. Wieso nicht vorher? Wieso verlassen Sie plötzlich die Geradlinigkeit in der Steuergesetzgebung und machen einen Riesensprung, der überhaupt nicht nachvollziehbar ist? Was versprechen Sie sich für eine Mehreinnahme? 250 Millionen Euro. Ich möchte das einer anderen Zahl gegenüberstellen. Sie sagen, die Reichen - zumindest ein ganz kleiner Teil der Reichen - sollen 250 Millionen Euro und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Kleinsparer, Lehrerinnen und Lehrer 4,084 Milliarden Euro zahlen.
Das ist Ihre Art von Gerechtigkeit, die Sie organisiert haben, nachdem Sie den Best- und Besserverdienenden, wie ich es vorhin begründet habe, über 7 Milliarden Euro durch die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer geschenkt haben.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)

Wenn man das Ganze dann noch in Verbindung mit der Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von 3 Prozentpunkten im nächsten Jahr setzt - sie trifft doch auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und alle anderen - und wenn man dann noch hört, dass Sie jetzt am Wochenende beschließen, dass die Gesundheitsreform aus Steuermitteln bezahlt werden muss, dann bekommt man wieder den Eindruck, dass 250 Millionen Euro an Belastungen für die Reichen kommen und viele, viele Milliarden Euro für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die anderen.
Dadurch machen Sie diese Gesellschaft nicht nur grob sozial ungerechter, sondern das wird auch verheerende wirtschaftliche Folgen haben. Der Kaufrausch, von dem jetzt in den Zeitungen zu lesen ist, wenn man ihn überhaupt so bezeichnen kann - er hat übrigens nichts mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun; das ist Blödsinn! -, hat damit zu tun, dass die Leute Angst vor den Steuererhöhungen im nächsten Jahr haben. 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung ist natürlich eine Menge. Da entscheiden sich viele, lieber jetzt zu kaufen. Im nächsten Jahr wird es dann den Reinfall und wieder eine höhere Arbeitslosenzahl geben. Dann stehen Sie wieder hier und machen Gesetzentwürfe - leider nicht gegen die Arbeitslosigkeit, sondern gegen Arbeitslose. Das Ganze ist nicht hinnehmbar. Es ist auch nicht vertretbar.
Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben keine Illusionen und sind nicht einfach nur dagegen. Wir machen Ihnen auch Vorschläge. Wir haben gesagt: Wir brauchen eine gerechte Körperschaftsteuer. Wir haben über eine internationale Börsensteuer geredet. Wir haben darüber geredet, wie eine gerechte Einkommensteuer aussehen kann. Aber zu all diesen Wegen sind Sie nicht bereit.
Die Deutsche Bank macht ihre Pressekonferenz und berichtet von wunderbaren, tollen Gewinnen. Danke schön, Gerhard Schröder! Wir entlassen gleich einmal wieder 8 000 Leute. Der nächste Konzern macht seine Pressekonferenz, bedankt sich auch für den größten Gewinn seiner Geschichte und entlässt 10 000 Leute. Allianz macht jetzt eine Pressekonferenz, hatte den größten Gewinn im letzten Jahr und sagt: 7 500 Leute werden wir jetzt entlassen. - Das Versprechen, dass die Steuergeschenke an Konzerne zu mehr Arbeitsplätzen führen, ist widerlegt. Das gilt ebenso für die Geschenke an die Reichen und die Bestverdienenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssten den Mut haben, auch einmal von den Konzernen, Reichen und Bestverdienenden mehr Steuern zu fordern. Sie wollen das nicht. Ihnen fehlt der Mut. Das ist das Problem der Koalition. Deshalb geht Ihr Herumeiern immer zulasten derselben Gruppen: der Rentnerinnen und Rentner, der Arbeitslosen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Zur unmittelbaren Erwiderung auf diese Rede erteile ich das Wort dem Bundesminister Peer Steinbrück.

Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Ich mache es kurz, meine sehr geehrten Damen und Herren. Aber man darf die Demagogie und auch manche Aussage auf Klippschulenniveau so nicht stehen lassen;

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Parlamentarismus in einem freien Land! Warum liegen denn die Nerven bei Ihnen so blank?)

denn sonst könnte sich, auch bei denjenigen, die uns zuhören, der Eindruck verfestigen, wir hätten plötzlich eine verkehrte Welt.
Herr Gysi, Sie wären noch beeindruckender, wenn Sie, insbesondere im Zusammenhang mit den Einkommensteuerreformen in der Vergangenheit, berücksichtigen würden, dass nicht nur der Spitzensteuersatz abgesenkt worden ist, sondern vor allen Dingen der Eingangsteuersatz, nämlich von 26 Prozent auf 15 Prozent.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Freibeträge für die Geringst- und Geringverdiener sind deutlich erhöht worden, mit dem Effekt, dass jemand, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, unter Anrechnung des Kindergeldes bis zu einem Verdienst von 37 000 Euro in Deutschland keine Steuern zahlt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Das heißt, was Sie mit Blick auf die Effekte der Steuerreformschritte der letzten Jahre dargestellt haben, korrespondiert überhaupt nicht mit den Fakten. Es ist reine Demagogie, die Sie da verbreiten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Dasselbe gilt, wenn Sie sich populär geben - mein Sohn würde sagen: sich ranwanzen - und zum Beispiel beim Thema Arbeitszimmer auf die Lehrer abheben. Das maßgebliche Steuerkriterium bezieht sich auf den Ort der hauptberuflichen Tätigkeit. Ich habe den Eindruck, der Ort, wo die Lehrer tätig sein sollten, ist nicht ihr häusliches Arbeitszimmer, sondern die Schule.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Widerspruch bei der LINKEN)

Das ist ein Abgrenzungskriterium. Um das ganz deutlich zu machen: Die Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger sollen nicht dazu dienen, jedwede Entscheidung bezüglich einer teilweise beruflichen Tätigkeit zu Hause zu subventionieren. Dieses Abgrenzungskriterium ist von uns eingeführt worden. Dasselbe gilt mit Blick auf die Pendlerpauschale. In allen anderen europäischen Steuersystemen ist der Weg vom Wohnort zum Arbeitsort nicht Bestandteil der Arbeitswelt. Warum soll es in Deutschland anders sein? Warum ist es in Deutschland unter den obwaltenden schwierigen haushaltspolitischen Bedingungen nicht möglich, eine Regelung zu finden, nach der wir Fernpendler weiter unterstützen -

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fangen Sie doch bei Ihrem eigenen Job und Ihrem Weg zum Arbeitsplatz an! Gehen Sie mit gutem Beispiel voran!)

- ja, ich komme mit dem Fahrrad, wenn es sein muss -, aber die, die im Nahbereich tätig sind, an den notwendigen Konsolidierungsschritten, die wir unternehmen müssen, teilhaben lassen? Fazit - um die Intervention nicht zu sehr in die Länge zu ziehen -: Ihre Reden zeichnen sich immer dadurch aus, dass Sie sich punktuell etwas herausgreifen, was aber mit der Bandbreite der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft nichts zu tun hat. Ich finde, das muss gelegentlich korrigiert werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Herr Bundesminister, lassen Sie mich als Erstes einen Satz zu den Lehrern sagen. Natürlich unterrichten Lehrerinnen und Lehrer an der Schule; aber die ganze Vorbereitung, die Korrektur von Klassenarbeiten etc. müssen sie zu Hause erledigen, da sie in der Schule alle kein Büro haben. Deshalb ist das häusliche Arbeitszimmer immer anerkannt worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Der Weg von der Wohnung zur Arbeit und von der Arbeit zur Wohnung gehörte in Deutschland, im Unterschied zu anderen Ländern, immer zur Arbeitswelt. Das hat eine jahrzehntelange Tradition und ist vom Bundesverfassungsgericht das letzte Mal 2002 ausdrücklich dahin gehend bestätigt worden, dass der Aufwand, um ein Einkommen erzielen zu können, in Bezug auf die Steuer absetzungsfähig sein muss. Wenn Sie das heute anders regeln, dann kürzen Sie damit nichts anderes als die Nettolöhne, reduzieren die Kaufkraft, schaffen soziale Ungerechtigkeit und schädigen die Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens zur Einkommensteuer; das war ja Ihr wichtigster Einwand. Es stimmt, auch die Eingangsteuersätze sind gesenkt worden. Aber die Steuerausfälle sind ganz überwiegend durch die Senkung des Spitzensteuersatzes um 11 Prozentpunkte entstanden. Das hat zu dieser wahnsinnigen Einbuße geführt. Dazu noch ein Hinweis. Wir können das gerechter machen. Ich kenne die Beispiele. Jemand von der CDU/CSU hat wieder gesagt, dann würden die Leute das Land verlassen. Wie gesagt, bei Festangestellten ist das gar kein Argument, aber bei anderen. Machen wir das doch nach amerikanischem Recht! Wissen Sie, wie das dort geregelt ist? Übertragen auf Deutschland hieße das, dass ein deutscher Staatsangehöriger, wenn er in einem anderen Land lebt und dort Steuern zahlt, seine Steuererklärung und seinen Steuerbescheid ebenfalls in Deutschland einreichen muss. Wenn dann festgestellt wird, dass er in Deutschland mehr Steuern hätte zahlen müssen, muss er die Differenz zahlen. Denn solange er die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sind wir für ihn verantwortlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn er irgendwo entführt wird, geben wir Geld aus, um ihn zu retten. Das ist in Ordnung; aber dann müssen deutsche Staatsangehörige auch Pflichten gegenüber Deutschland haben. Dann könnte Schumi in der Schweiz vereinbaren, was er will; er müsste seine Steuererklärung nach Deutschland schicken und im Falle einer Differenz diese bezahlen. Dann hätten Sie gar keine Schwierigkeiten, bei der Einkommensteuer einen gerechten Spitzensteuersatz einzuführen.

(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Minister, wollen Sie erwidern?
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: Nein.