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Sozial-ökologische Investitionen statt Schönfärberei

Rede von Ulla Lötzer,

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die OECD warnt vor einer Rezession im  zweiten Halbjahr 2012 in Deutschland, Kollege Hinsken. Nicht wir betreiben Schwarzmalerei, wie Sie uns eben vorgeworfen haben, sondern Sie und Ihr Minister betreiben Schönfärberei der Entwicklung und nicht Vorsorge gegen eine Krisenanfälligkeit. Das ist das Problem, das alle Redner von der Opposition hier angesprochen haben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach wie vor ist die deutsche Wirtschaft von der boomenden Exportwirtschaft abhängig. Frau Merkel hat gestern in ihrer Rede gesagt: Wenn es Europa gut geht, geht es Deutschland gut.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Da hat sie recht!)

Andersherum wird leider ein Schuh daraus: Infolge vor allem Ihrer Politik geht es der Mehrheit der Menschen in Europa schlechter statt besser.

(Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): So ein Schwachsinn!)

Rezession, Arbeitslosigkeit, Armut und öffentliche Schulden haben infolge Ihrer europäischen Krisenpolitik zugenommen. Das europäische Spardiktat, das vor allem Sie den europäischen Krisenländern aufzwingen, kommt inzwischen als Bumerang zurück. Die Auftragsrückgänge gerade aus den südeuropäischen Krisenländern können auf Dauer nicht durch Export nach China, in die Schwellenländer oder vielleicht in Zukunft auf den Mond ausgeglichen werden.

(Otto Fricke (FDP): Erklären Sie einmal, wie das mit dem Mond funktioniert!)

Das von Ihnen versprochene Wachstumsprogramm für Europa besteht im Wesentlichen aus Luftbuchungen. Es werden keine zusätzlichen Mittel für den Aufbau in den Krisenländern bereitgestellt, geschweige denn ein öffentliches Investitionsprogramm für einen sozialökologischen Umbau und für Infrastrukturmaßnahmen in Europa vorgeschlagen.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Wir reden jetzt zum Wirtschaftsetat und nicht zum Entwicklungshilfeetat!)

- Ich rede zum Wirtschaftsetat.
Auch Ihre viel beschworene Stärkung der Binnennachfrage kommt nicht in Schwung, woher auch bei einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf flächendeckende Ausweitung von Niedriglöhnen, Leiharbeit und prekärer Beschäftigung setzt.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Arbeit und Soziales kommt danach!)

Zwar haben die Gewerkschaften Lohnsteigerungen durchgesetzt, doch das reicht nicht aus. Herr Lindner, 8 Millionen Beschäftigte arbeiten in befristeten und in Teilzeitjobs oder kommen nicht aus der Leiharbeit heraus, 760 000 Rentnerinnen und Rentner müssen mit Nebenjobs ihre Armutsrente aufbessern, davon sind 120 000 älter als 75 Jahre. Ist das Ihr Wohlstand für alle, den Sie erreicht haben, Herr Rösler? Bekämpfen Sie endlich die Armut und die prekäre Beschäftigung! Stoppen Sie die Absenkung des Rentenniveaus und die Altersarmut! Das wäre die Förderung von Leistungsgerechtigkeit, Herr Rösler.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Der Einzelplan 11 kommt noch!)

Mindestsicherung, Mindestlohn und Mindestrente sind längst überfällig, werden aber gerade von Ihnen immer wieder blockiert. Zukunftsfähigkeit sieht anders aus. Sie erfordert Krisenvorsorge im Haushaltsentwurf statt eines Schönwetterhaushalts. Statt einer Wirtschaftspolitik des Wettbewerbs um Armut und unsichere Lebensverhältnisse brauchen wir eine Orientierung an sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Abg. Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): meldett sich zu einer Zwischenfrage)

Es ist höchste Zeit für Investitionen in ein soziales und ökologisches Zukunftsprogramm in Deutschland und in Europa, doch dazu findet man in Ihrem Haushalt schlichtweg nichts. - Der Kollege möchte mich, glaube ich, etwas fragen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das mag sein. Ich stelle die Bereitschaft der Rednerin fest, das zuzulassen. - Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Matthias Heider (CDU/CSU):

Frau Kollegin Lötzer, Sie haben gerade nach Wachstumsimpulsen gerufen. Sie wollten ja auch eigentlich zum Wirtschaftshaushalt sprechen. Weil Sie in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ immer eine sehr wachstumskritische Haltung einnehmen, frage ich mich an dieser Stelle: Worum geht es Ihnen denn jetzt? Welche Lösung wollen Sie in dieser Krise? Geht es Ihnen um mehr Wachstum und Ressourcenschonung, oder geht es Ihnen um weniger Wachstum und Beschädigung des Industriestandortes Deutschland,

(Lachen bei der LINKEN)

der die Grundlage für die höchste Beschäftigung ist, die wir seit langem in diesem Land gehabt haben?

Ulla Lötzer (DIE LINKE):

Herr Heider, auch in der Enquete-Kommission führen wir schon lange diese Auseinandersetzung. Es geht um Entwicklungsziele in dieser Gesellschaft, die sowohl sozial als auch ökologisch nachhaltig sind. Es geht darum, die dafür notwendigen Maßnahmen zu treffen. Es geht nicht um ein Wachstum im Wettbewerb um Niedriglöhne, um die niedrigsten Steuern für Vermögende, um sozusagen die höchste Armut. Unsere Politik ist dadurch gekennzeichnet, dass wir uns an Entwicklungszielen für die Gesellschaft orientieren. Wir fordern Investitionen in sozialen und ökologischen Umbau. Wir fordern auch soziale Absicherung gegen die Armut. Wir fordern eine Regulierung der Finanzmärkte, um die Wirtschaft in die Lage zu versetzen, die notwendigen Umbrüche auch in der Wirtschaft zu vollziehen. Wachstum kann dabei durchaus ein Ergebnis sein. Wir haben nie auf Schrumpfung gesetzt, aber wir haben andere Orientierungen als Sie.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Klimawandel und die Konflikte um Rohstoffe erfordern schon längst aktive Industriepolitik. Umwelttechnologien, Materialproduktivität, Energieeffizienz und Kreislaufwirtschaft müssen gefördert werden. Aber davon findet man bei Ihnen nichts. Vielmehr kürzen Sie die Forschungsmittel für Energieeffizienz. Neue Dienstleistungen sind gefragt: Mobilitätsdienstleistungen, Recyclingsammelstellen, Energieberatung usw. Wenn der Staat nicht den richtigen Rahmen setzt und keine Zukunftsinvestitionen tätigt, ist der Zug abgefahren.

(Otto Fricke (FDP): Der Staat sich?)

Kommen wir nun zur Energiepolitik. Sie sind nichts anderes als ein Energiewendeverhinderungsminister.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit Wochen predigen Sie landauf, landab, wie auch hier heute, die Stromkosten, die Energiekosten würden wegen der erneuerbaren Energien und des EEG steigen. Das ist von vorne bis hinten heuchlerisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Sonne und Wind führen seit Jahren zu einer Senkung der Strompreise an der Börse.

(Lachen bei der FDP)

Das Bundesumweltministerium bezifferte diesen Effekt im Juni mit 2,8 Milliarden Euro. Aber davon kommt bei den Privatkunden nichts an.
Im Juli wurde bekannt, dass Eon mit den Gaslieferanten günstigere Preise ausgehandelt hat. Aber für den Privatkunden wurden die Preise im gleichen Atemzug erhöht. Was tun Sie gegen diese Preistreiberei, Herr Rösler?

(Beifall bei der LINKEN)

Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat gerade ermittelt, dass die Subventionen und Folgekosten für Kohle- und Atomstrom wesentlich höher sind. Dies merkt nur niemand, weil sie nicht über eine Umlage, sondern über die Steuern finanziert werden. Würden diese auf den Strompreis umgelegt, wären sie mit 10,2 Cent pro Kilowattstunde dreimal so hoch wie die gegenwärtige EEG-Umlage.

Auch sagen Sie den Menschen nicht, dass die EEG-Umlage viel niedriger sein könnte, wenn Sie die Ausnahmen für energieintensive Unternehmen nicht so weit ausgedehnt hätten.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine solche Politik ist eben nicht nur unsozial; sie zerstört auch die Umwelt, weil damit Maßnahmen in Energieeffizienz unterbleiben. Sie begrenzen die Strompreise nicht, sondern Sie treiben sie mit Ihrer Politik für die Verbraucher in Höhe.
Auch die IG Metall fordert eine Reduzierung der Ausnahmeregelungen

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Ach so!)

und die Wiedereinführung von Transparenz und Preiskontrolle bei den Energiepreisen.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Aha!)

Das unterstützen wir. Wir meinen darüber hinaus, dass 800 000 Haushalten im Land nicht der Strom abgesperrt werden kann, damit Sie schamlos die Großkonzerne bedienen können. Wir brauchen endlich auch einen Sozialtarif, der eine Mindestversorgung mit Energie sicherstellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Rösler, Sie machen nicht nur keine Wirtschaftspolitik; Sie blockieren sinnvolle Wirtschaftspolitik im Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb wäre der beste Sparvorschlag für den Haushalt, Ihr Ministerium bzw. Ihren Ministerposten abzuschaffen. Aber darauf müssen wir wohl noch mindestens ein Jahr warten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN - Otto Fricke (FDP): Einige Jahre, meinen Sie!)