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Solidarität statt Privilegien

Rede von Harald Petzold,

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum zweiten Mal in diesem Jahr diskutieren wir heute die Neuregelung des Rechts für Syndikusanwälte. Syndikusanwälte, meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Besuchertribünen, sind Rechtsanwälte, die bei Unternehmen abhängig beschäftigt sind,

(Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Genau! Rechtsanwälte!)

sich rechtlich also in einem ganz normalen Arbeitsverhältnis befinden.

Viele von ihnen haben in der Vergangenheit in die sogenannten Rechtsanwaltsversorgungswerke eingezahlt, wenn sie Rentenansprüche erwerben wollten. Die Deutsche Rentenversicherung, also die gesetzliche Rentenversicherung, hat von ihnen dann verlangt, dass sie als ganz normale Arbeitnehmer in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen haben, so wie das wahrscheinlich die Mehrzahl von Ihnen tut. Das hat natürlich zu Streit geführt, und es gab Gerichtsverfahren. Das Bundessozialgericht hat geurteilt, dass ganz normale Arbeitnehmer in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen haben. Ich finde, das ist ein normaler Vorgang, und er findet auch die Unterstützung der Linken.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Rechtsanwaltsversorgungswerke waren damit natürlich nicht einverstanden, weil ihnen dadurch eine ganze Menge an Beitragszahlern verloren gegangen sind. Sie hätten erleben müssen, was dann an Lobbytätigkeit passiert ist. Auf fast jedem Fachkongress, bei dem es um Rechtsfragen ging, sind dort Vertreter dieser Versorungswerke aufgetaucht und haben auf dort anwesende Bundestagsabgeordnete Einfluss genommen, unter anderem auch auf anwesende Anwaltsvertreter, und haben gesagt: Das muss dringend geändert werden.

Mit ihrem Anliegen sind sie bei der Großen Koalition auf offene Ohren gestoßen. Die Große Koalition hat also einen Gesetzentwurf vorgelegt, parallel dazu hat auch die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dreimal dürfen Sie raten, was in diesen Gesetzentwürfen vorgeschlagen worden ist - der Kollege Flisek hat es uns gerade referiert -: Richtig, Bingo! Ab sofort - es gibt natürlich Übergangslösungen - wird wieder in die Rechtsanwaltsversorgungswerke eingezahlt.

Der Vertreter der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion spricht vom kalten Wasser und meint damit offensichtlich die gesetzliche Rentenversicherung. - Wir können uns sicher sein: Damit werden der gesetzlichen Rentenversicherung eine ganze Reihe gutverdienender Beitragszahler entzogen.

(Dr. Johannes Fechner (SPD): Die waren doch gar nicht dort!)

Das nennt die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen guten Tag. Ich kann nur sagen: Das ist ein schlechter Tag für die gesetzliche Rentenversicherung!

Die Linke sagt: Wir lehnen diese Privilegierung einzelner Berufsgruppen ganz konsequent ab. Wir fordern eine solidarische Erwerbstätigenversicherung für alle,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

auch für Selbstständige, für Anwälte, für Ärzte, für Bundestagsabgeordnete, für Politiker. Wir wollen, dass es eine starke solidarische Gemeinschaft gibt und die solidarische Beitragsgemeinschaft eine breite Basis hat.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Flisek?

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):

Jederzeit, natürlich.

Christian Flisek (SPD):

Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. - Weil Sie hier immer von einer Privilegierung sprechen, möchte ich Sie fragen: Ist Ihnen bewusst, dass der historische Hintergrund dieser Versorgungswerke für die freien Berufe nicht der ist, dass man irgendwelche Privilegien schaffen wollte, sondern dass das eine Art Nothilfe der freien Berufe war? Man hat ihnen nämlich über Jahre verwehrt, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also, heute rechnet es sich!)

Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE):

Sie haben das in Ihrer Frage schon richtig angelegt: Das ist ein Vorgang aus der Vergangenheit. Wir sagen: Wir haben eine neue Zeit, und wir haben eine Entwicklung, die es erfordert und auch möglich macht, dass wir eine gemeinsame Rentenversicherung für alle haben. Das ist unser Anspruch, und dabei bleiben wir.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann Ihnen wiederum nur sagen: Ich bin befremdet davon, dass das ausgerechnet von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und ihrem Berichterstatter zu diesem Gesetzentwurf als guter Tag für die Syndikusanwälte bezeichnet wird. Dem kann ich nicht folgen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der zweite Grund, warum wir gegen den Gesetzentwurf sind, ist, dass die geplante Vertretungsverbotsregelung, die früher eine konsequente Verbotsregelung war, dies in Zukunft nicht mehr wirklich sein wird. Jetzt werden sich die Besucherinnen und Besucher wahrscheinlich wieder fragen, was das ist. Es ist gesetzlich geregelt, dass ein Syndikusanwalt, also ein Anwalt, der in einem Unternehmen angestellt ist, nicht auch noch die Rechtsvertretung vor einem Gericht übernehmen darf.

Nun wird die Koalition sicherlich sagen, dass sie das geregelt hat, weil sie in den Gesetzentwurf aufgenommen hat, dass nicht beides durch die gleiche Person wahrgenommen werden darf. Das wird auch möglicherweise so sein. Aber für viele sind die Arbeitsrechtsverhältnisse so geregelt, dass sie zum Beispiel 30 Stunden als Syndikusanwalt in einem Unternehmen beschäftigt sind und dort tagsüber einen Schriftsatz für das Unternehmen erstellen, und dann gehen sie in ihre eigene Anwaltskanzlei und setzen unter den Schriftsatz, der vor Gericht sozusagen die Grundlage für die Rechtsposition des Unternehmens bildet, den Stempel ihrer Anwaltskanzlei, und dann wird doch wieder alles von der gleichen Person gemacht.

Insofern sagen wir: Das, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen haben, wird keine Vertretungsverbotsregelung mehr sein. Sie werden den Stempelanwalt wieder einführen. Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab und sagen: Das Vertretungsverbot muss nach der bisherigen Regelung dringend fortgeführt werden.

Ich komme zum Schluss. Wie gesagt, wir haben im Juni die erste Beratung des Gesetzentwurfs durchgeführt. Sie haben sehr viel Energie in die Umsetzung dieser gesetzlichen Regelungen gesteckt. Ich hätte mir zumindest von der SPD-Fraktion gewünscht, dass wenigstens der gleiche Eifer, die gleiche Energie und die gleiche Kraft angewendet würde, um beispielsweise das in der 17. Wahlperiode verschärfte Prozesskostenhilfe- und Rechtsberatungsrecht wieder zu entschärfen, damit normale Bürgerinnen und Bürger, um die es hier eigentlich auch gehen sollte - wenigstens auch -, zu ihrem Recht kommen, statt sie mit bürokratischen Hürden zu konfrontieren, die sie davon abhalten, ihr Recht wahrnehmen zu können. Damit würden wir tatsächlich eine Leistung vollbringen. In diesem Sinne werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)