Zum Hauptinhalt springen

Solidarität mit den Demokraten Russlands

Rede von Stefan Liebich,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir stehen an der Seite der Hunderttausenden Russinnen und Russen auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau, in Sankt Petersburg und Perm, die sich für freie und faire Wahlen und mehr Demokratie in ihrem Lande aussprechen.

Russland ist ein wichtiges europäisches Land, und Russland ist ein entscheidender Akteur auf der internationalen Bühne, gerade wenn es um gemeinsame globale Herausforderungen geht. Wir in Deutschland haben ein Interesse an einer guten Partnerschaft mit Russland, gerade auch mit Blick auf die deutsch-russische Geschichte, wie es Herr Thönnes vorhin schon richtig erwähnt hat. Wir setzen dabei nicht auf eine falsch verstandene Stabilität, die Veränderung durch Stillstand oder autoritäre Regierungen ausschließt, sondern auf Stabilität, die durch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger nachhaltig gestaltet wird. Die geplante Rochade zwischen Präsident und Ministerpräsident ist das Gegenteil davon. Die Demokratie wird so behandelt, als sei sie das Privatspielzeug zweier Herren.

Deswegen finde ich es gut, dass mit der Parlamentswahl ein Zeichen gesetzt wurde, nämlich dass die Bürgerinnen und Bürger in Russland eben nicht immer autoritäre Regierungen wählen oder ihnen folgen, weil das in Russland so Tradition habe, wie gern gesagt wurde. Das wiegt ja umso schwerer, als die Wahlen und der Wahlkampf nicht fair geführt wurden und der Verlauf selbst Fragen aufgeworfen hat, wie es die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ihrem Mitgliedstaat Russland vorhalten musste. Auch der zunächst erfolgte Einsatz staatlicher Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten und die Einschränkung politischer Rechte wie der Versammlungs- und Medienfreiheit unmittelbar nach der Wahl sind nicht akzeptabel. Es ist absurd, wenn Ministerpräsident Putin das Ausland für die Proteste verantwortlich machen möchte. Nationalismus und Wiederaufgreifen von Feindbildern zu Recht vergangener Zeiten sind die falschen Reaktionen auf die Proteste.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hatte kürzlich Besuch von Jewgenija Tschirikowa. Sie ist eine junge Frau, die um einen Wald, den Chimki-Wald in der Nähe von Moskau, kämpft. Dieser Wald soll durch eine Autobahn zerstört werden. Sie kämpft um Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und Bürgern und damit gegen die Arroganz der Macht. Sie kämpft gegen Baufirmen, die eher als eine Baumafia anzusehen sind. Sie kämpft gegen Korruption und Vetternwirtschaft, aber eben auch gegen die Interessen von dubiosen Tarnfirmen im Bunde mit einer großen Firma aus der Europäischen Union, dem französischen Konzern Vinci.

Frau Schuster, wenn Sie sagen, viele hätten sich mit dem System arrangiert, so ist festzustellen, dass dazu leider auch Firmen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union gehören. Da schadet der Westen der Demokratie. Denn gegen Umweltaktivisten und engagierte Bürger vor Ort reichte nicht die massive bürokratische Schikane, die es ohnehin gab. Nein, rechte Schlägertrupps sind gegen die Zelte friedlich demonstrierender Protestierer vorgegangen. Frau Tschirikowa und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter geben nicht auf. Sie kämpfen weiter. Diese junge, mutige Frau, die den Bürgerprotest dort seit vielen Monaten anführt, gibt Anlass zur Hoffnung.

Das ist die Zivilgesellschaft, die ein modernes Russland braucht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE)

Die Zahl derer, die sich ihre Bürgerrechte nicht mehr einschränken lassen wollen, wächst. Im Wahlergebnis zeigt sich weiter – das hat mein Kollege Wolfgang Gehrcke vorhin schon erwähnt –, dass auch die wachsende soziale Spaltung immer weniger akzeptiert wird. Dass die Armen immer ärmer und die Oligarchen immer reicher werden, trifft auf Widerstand. Das finden wir sehr gut. Deshalb ist es ein wichtiges Zeichen, wenn der Bundestag den Demokratinnen und Demokraten Russlands, und zwar nicht den „lupenreinen“, sondern den echten auf der Straße, zeigt, dass wir mit ihnen solidarisch sind.

Aber – die Vorrednerinnen und Vorredner haben es angesprochen – wir können mehr tun als reden. Wir müssen auch handeln.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Menschen müssen sich begegnen können. Das fördert Verständnis, Vertrauen und Solidarität. Das verändert vielleicht auch ein wenig in Russland. Eine ganz wesentliche Voraussetzung für mehr Kontakte ist die Erteilung von mehr Visa. Ich kann allen recht geben, die das bisher gesagt haben. Ich muss aber Sie, Herr Mißfelder, da konkret ansprechen: Es liegt letztlich an Ihnen, an der CDU/CSU-Fraktion. Ich hoffe, dass es Ihnen gelingt, dass sich die konservativen Innenpolitiker Ihrer Fraktion endlich einen Ruck geben

(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Die konservativen Außenpolitiker haben das schon getan!)

und zügig den Weg freimachen für mehr Freiheit der Bürgerinnen und Bürger Russlands. Hier können wir real handeln. Ich bitte Sie – ich weiß, viele in Ihrer Fraktion kämpfen dafür, aber es sind offenkundig noch nicht genug –: Handeln Sie dort endlich!

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Putin und Medwedew können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Der Druck der Straße, aber auch bleibende internationale Aufmerksamkeit sind dazu wichtig. Ich hoffe, dass wir dazu hier heute einen kleinen Beitrag geleistet haben.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)