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Solidarische Wirtschaftspolitik statt Sonntagsreden

Rede von Michael Schlecht,

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Minister, wenn die 28-jährige Frau, die ein Studium hervorragend absolviert hat und nach dem Studium zum dritten, vierten Mal nur in einem befristeten Job arbeiten kann, Ihre Rede gehört hätte, wenn der Leiharbeiter bei VW, dem wie 5 000 anderen Leiharbeitern in Aussicht gestellt worden ist, dass er demnächst bei VW über die Klinge springen kann, unter anderem auch wegen des Dieselskandals, Ihre Rede gehört hätte, in der Sie die Situation hier in Deutschland so rosig malen, dann würden die sich veräppelt fühlen oder in der Sprache der Betroffenen: Die würden sich verarscht fühlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Entschuldigung, das ist jetzt nicht besonders parlamentarisch, aber das ist die Sprache der Menschen draußen, oder das ist die Denke da draußen.

Es wird immer mit großer Betroffenheit viel über die Rechtsverschiebung in unserem Lande geredet. Es wird auch gesehen, dass Leute Ängste haben usw., aber wenn man sich dann immer wieder nur hinstellt und alles, was hier in diesem Lande geschieht, beschönigt und so tut, als ob wir in der besten aller Welten leben würden, dann ist das selbst ein Beitrag, um dieser Rechtsverschiebung Vorschub zu leisten und Wasser auf die Mühlen der rechten Populisten zu lenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber das viel größere Problem bei dieser ganzen Debatte, auf das ich aufgrund der Zeit nur begrenzt eingehen kann, ist die Rechtsverschiebung, die wir in Europa haben, und der Erfolg rechtspopulistischer Rattenfänger in anderen europäischen Ländern; denn diese Entwicklung bedroht die Idee eines friedlichen und sozialen und vereinten Europas am meisten.

Es wird immer wieder so getan – vor allen Dingen wird eine von Frankreich ausgehende Bedrohung gesehen, dass dort möglicherweise ein weiblicher Trump auf den Schild gehoben wird –, als wäre das alles ein Problem der anderen. Hier wird immer nur gesagt, unsere wirtschaftliche Entwicklung sei so hervorragend. Warum ist unsere wirtschaftliche Entwicklung denn so hervorragend? Sie basiert zentral darauf, dass seit 15 Jahren, politisch veranlasst, durch Deregulierung am Arbeitsmarkt, durch die Agenda 2010 Befristungen eingeführt worden sind, dass Leiharbeit, Werkverträge und vieles andere mehr ermöglicht worden sind und dass Deutschland in der Folge ein Land des Lohndumpings geworden ist.

Trotz der verbesserten Lohnentwicklung der letzten zwei, drei Jahre, die Sie immer nur isoliert herausstellen, ist die Lohnentwicklung hierzulande heute nach wie vor katastrophal. Im Vergleich zum Jahre 2000 ist das Reallohnniveau bezogen auf den einzelnen Beschäftigten gerade einmal 1 bis 2 Prozent höher als damals. Auf der anderen Seite hatten wir in diesen 15 Jahren aber einen Anstieg der Profite von 60, 70 Prozent. Das ist ein ganz eklatantes Auseinandergehen. Das kommt natürlich auch bei den Menschen an; aber das hat auch etwas damit zu tun, dass die vermeintliche ökonomische Stabilität auf einer sehr fragilen und auf einer sehr zynischen Kon­struktion basiert, die wirklich skandalös ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Entwicklung des Lohndumpings ist die zentrale Ursache dafür, dass es vielen hier in Deutschland zwar scheinbar gut geht, dass es aber gleichzeitig genügend Abgehängte gibt, über die Sie nur in Sonntagsreden sprechen, ohne recht zu wissen, was man für sie machen kann. Der entscheidende Punkt ist, dass diese Lohnentwicklung zentral dafür verantwortlich ist, dass Deutschland mit seiner überbordenden Konkurrenzfähigkeit die Ökonomien anderer europäischer Länder niederkonkurriert hat. Gleichzeitig ist mit der Beschneidung der Lohnentwicklung hier in Deutschland die Binnennachfrage stranguliert worden. Damit sind die Möglichkeiten von Unternehmen anderer Länder, in Deutschland Absatz zu finden, deutlich beschnitten worden. Das Ganze drückt sich in einem Leistungsbilanzüberschuss aus, der mittlerweile skandalöse 9 Prozent beträgt usw. Ich kann darauf jetzt hier nicht weiter eingehen.

Die scheinbare Stabilität in Deutschland hat also sehr viel damit zu tun; sie geht zulasten anderer Länder. Wenn das so weitergeht, dann ist die Stabilität dieses Europas hochgradig gefährdet, und wir leisten damit einen Beitrag, Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten in den anderen Ländern zu lenken. Das wird hier in Deutschland komplett ausgeblendet, und es wird auch komplett negiert.

Dabei wäre es so einfach, die Entwicklung hier zu ändern. Wir müssten hier in Deutschland endlich, um unserer europäischen Verantwortung gerecht zu werden, eine solidarische Wirtschaftspolitik betreiben. Um aber auch den Abgehängten hier in Deutschland wieder in einer positiven Weise zu begegnen, müssten wir all die Lohndumping-Maßnahmen wie Befristungen, Leiharbeit wieder zurückdrängen. Die Bundesregierung und auch der Herr Minister – er ist gerade nicht da – brüsten sich ja damit, man habe so viel getan. Aber in den Ohren der Betroffenen klingt das doch nur wie Hohn. Die Lage auf dem Leiharbeitsmarkt ist schlechter geworden, das heißt, die Situation im Leiharbeitsbereich ist deutlich prekärer geworden. Wir bräuchten dringend eine Beendigung dieses Regimes der Leiharbeit; sie müsste eigentlich verboten sein. Ich finde, Sklavenarbeit gehört nicht ins 21. Jahrhundert.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müsste aber zumindest deutlich reguliert werden.

Wir bräuchten endlich auch ein Verbot der sachgrundlosen Befristung, damit junge Leute selbst nach hervorragenden Berufsabschlüssen nicht mehr in Perspektivlosigkeit, in Planlosigkeit geschickt werden. Das sind Maßnahmen, über die hier geredet werden muss, wenn es darum geht, Rechtspopulismus in Deutschland zu bekämpfen und vor allen Dingen den drohenden Machtverschiebungen in Europa zu begegnen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)