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Sanierung von Unternehmen - Änderung Insolvenzrecht

Rede von Richard Pitterle,

Donnerstag, 27.10.2011

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die Linke hat jetzt der Kollege Richard Pitterle das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Richard Pitterle (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Allein im Jahr 2010 wurden 32 000 Unternehmensinsolvenzen registriert. Es haben mehr als 240 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeit verloren. Deshalb ist es umso dringlicher, dass insolvente Unternehmen saniert werden können. Das Insolvenzrecht, das wir haben, ist zäh. Gerade in Krisen-zeiten brauchen wir ein Insolvenzrecht, das auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützt. Spätestens wenn der Betrieb pleite ist, werden diese mit dem Insolvenzrecht konfrontiert. Das Ziel des Gesetzentwurfs ist, dafür zu sorgen, dass Unternehmen, die finanziell straucheln, frühzeitig wieder auf den richtigen Weg kommen. Das ist auch uns Linken ein ganz wichtiges Anliegen. Denn nur die Unternehmen, die nicht abgewickelt werden, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und Arbeitsplätze sichern.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei den vorgeschlagenen Änderungen des Insolvenzplanverfahrens und bei der Eigenverwaltung gibt es gute Ansätze. Aber in der Praxis ist beides bisher unbedeutend. Die Gründe dafür sind vielfältig; auch die Psychologie spielt eine wichtige Rolle. Vielfach steht die Insolvenz als Schreckgespenst über dem Betrieb. Sie wird überhaupt nicht als Chance begriffen. Schön wäre es, wenn hier ein Umdenken stattfände.
Ich möchte auf zwei Punkte, die auch in diesem Gesetzentwurf leider keine Beachtung gefunden haben, näher eingehen. Die Instrumente zur Sanierung können helfen, Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten zu retten. Aber die Abwicklung wird der Regelfall bleiben. Hat man nur das Überleben eines Unternehmens im Auge, vergisst man leicht die Probleme, denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgesetzt sind, vor allem dann, wenn es um die aussichtslose Sanierung von Unternehmen geht.
1999 wurde die Konkursordnung durch die Insolvenzordnung abgelöst. Das hat zwei gravierende Verschlechterungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gebracht.
Erstens. Noch nicht ausgezahlte Löhne und Gehälter werden nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Ausnahme zu Insolvenzforderungen, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden zu Insolvenzgläubigern. Was heißt das konkret? Die Pleite eines Unternehmens zeichnet sich für die Belegschaft oft schon frühzeitig ab. Es gibt unregelmäßige Lohnzahlungen oder gar Lohnausfall, eine zunehmende Zahl von Überstunden, den Verzicht auf Urlaub und andere Vergünstigungen. Die Liste der Zumutungen ist lang, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben keine Chance, sich diesen zu entziehen. Ein ehrlicher und verantwortungsbewusster Arbeitgeber wird die Belegschaft auf die schwierigen Zeiten vorbereiten und sie zu gemeinsamen Anstrengungen motivieren, um den Betrieb und den Arbeitsplatz zu erhalten.
Muss dann trotzdem das Insolvenzverfahren eröffnet werden, passiert Erstaunliches: Der ausstehende Lohn verwandelt sich in eine Insolvenzforderung, die beim Insolvenzverwalter anzumelden ist. Die Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden ganz am Ende einer langen Liste, auf der eine Vielzahl anderer Gläubiger steht, eingereiht.
Was bleibt von ihrem Engagement beim Scheitern der Sanierung übrig? Im Durchschnitt sind es 5 Prozent ihrer Forderungen; so hoch ist in Deutschland die Insolvenzquote. Das heißt, wenn bei jemandem 1 000 Euro Lohn ausstehen, bekommt er davon mit viel Glück 50 Euro. Aber institutionelle Großgläubiger, zum Beispiel Banken, befriedigen bereits vorher einen Großteil ihrer Forderungen. Sie bekommen die Vermögenswerte des Unternehmens, weil sie sich diese als Kreditsicherung vorher haben garantieren lassen.
Die zweite gravierende Verschlechterung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Insolvenzanfechtung. Selbst diejenigen, die vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ihren Arbeitslohn verzögert erhalten haben, können nicht sicher sein, dass sie das Geld behalten dürfen. Die Insolvenzverwalter können nach diesem Recht Teile davon zurückfordern. Das Bundesarbeitsgericht und der Bundesgerichtshof haben diese Möglichkeit zwar eingeschränkt, aber ausgeschlossen ist sie nicht.
Zwar wollte das Bundesjustizministerium 2009 wenigstens die Insolvenzanfechtung gesetzlich einschränken, aber dazu kam es nicht. Jede Änderung zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würde gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Gläubigern, zu denen auch Banken zählen, verstoßen, hieß es als Begründung aus Fachkreisen. Andere würden sonst ebenfalls Sonderforderungen stellen, hieß es.
Bei dieser Einschätzung wird vernachlässigt, dass eine Gleichbehandlung im Falle der Insolvenz ohnehin nur eine Illusion ist. Banken haben bei der Kreditgewährung an eine GmbH sowieso oft einen zusätzlichen Zugriff auf das Privatvermögen des Geschäftsführers oder des Inhabers des Unternehmens. In dieser komfortablen Situation ist die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer nicht.
Darüber hinaus gebietet es das Grundgesetz sogar, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesondert zu behandeln. Es ist schon aufgrund der besonderen Stellung dieser Gruppe zum pleitegegangenen Unternehmen sachlich nicht gerechtfertigt, sie mit sonstigen Gläubigern wie den Banken zu vergleichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dies gilt erst recht, wenn auch das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes als verfassungsrechtliches Leitbild beachtet würde.
Nicht zuletzt gibt es das 173. Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, das 1995 in Kraft getreten ist. In Art. 5 wird eine bevorrechtigte Behandlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers verlangt.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Übereinkommen wurde von Österreich, der Schweiz, Finnland und Spanien ratifiziert – von Deutschland bis heute nicht. Ich frage mich: Warum nicht?
(Zuruf von der LINKEN: Traurig!)
Das beste Insolvenzrecht taugt nichts, wenn der Insolvenzverwalter sein Handwerk nicht versteht. In dem Entwurf wird zwar teilweise angesprochen, welche Mindestqualifikationen Richter und Rechtspfleger haben sollen, aber es gab keine wirklichen Auseinandersetzungen über die Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln für Insolvenzverwalter. Es ist schon paradox, dass eine Friseurin oder ein Friseur ohne einen Meisterbrief nicht selbstständig tätig sein darf, während sich jeder Mensch ohne irgendeine nachgewiesene Qualifikation als Sanierer eines Unternehmens mit Hunderten oder Tausenden Arbeitsplätzen versuchen und mit Forderungen in Millionenhöhe jonglieren darf. Das sollten wir ändern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)