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Sachgrundlose Befristungen müssen gesetzlich ausgebremst werden

Rede von Jutta Krellmann,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade, dass wir heute erst so spät abends über das Thema „Sachgrundlose Befristung“ reden. Ich glaube nämlich, das ist ein sehr wichtiges, ein existenzielles Thema. Es ist so wichtig, dass ich mir wünschen würde, diese Debatte und die Ergebnisse dieser Debatte kämen noch heute bei den Menschen im Lande an, damit man darüber reden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte mit einem Beispiel aus der Praxis, das ich gerade erlebt habe, beginnen. Vor einer Woche war ich Gast bei der Betriebsversammlung eines Berliner Callcenters. Mehrere hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter telefonieren und beraten dort, unter anderem für die Bundesagentur für Arbeit. Ich war schockiert, als ich hörte, wie viele engagierte Belegschaftsmitglieder in einem unsicheren, befristeten Arbeitsverhältnis festhängen: sagenhafte 95 Prozent der Belegschaft. Nur 5 Prozent haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das ist ungeheuerlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Befristete Arbeitsverträge bedeuten für die Beschäftigten massiven Druck und unsichere Zukunftsperspektiven; das ist in besagtem Callcenter sehr deutlich geworden: Auf der Betriebsversammlung klagten alleinerziehende Frauen, dass sie freiwillig samstags arbeiten sollen. Sie wissen nicht, wo sie ihre Kinder währenddessen unterbringen können. Sie wissen aber genau: Wer samstags nicht arbeitet, bekommt bei der Verlängerung seines befristeten Arbeitsvertrages Probleme. Was, bitte schön, soll daran freiwillig sein? Das ist doch Erpressung!

(Beifall bei der LINKEN)

Arbeitshetze, Überstunden, Arbeit am Wochenende und zu späten Zeiten: Durch befristete Verträge wird den Beschäftigten mit dem Entzug ihrer Existenzgrundlage gedroht. Hinzu kommt schlechte Bezahlung: Stundenlöhne von 7,90 Euro sind keine Seltenheit. Es gibt keinen Tarifvertrag, und der Arbeitsschutz ist mangelhaft.

Das Problem ist: Das geschilderte Beispiel ist kein Exotenbeispiel. Verhältnisse wie in diesem Callcenter findet man in Tausenden von Betrieben. Trotzdem stehen viele der Beschäftigten zu ihrem Job und sind von dem Produkt, über das sie beraten, überzeugt. Die Beschäftigten lassen sich trotz aller Widrigkeiten nicht unterkriegen. In dem gleichen Callcenter haben die Beschäftigten vor fünf Monaten einen Betriebsrat gewählt. Ich finde, unter den Bedingungen von massenhaften Befristungen ist es wirklich eine große Leistung, einen Betriebsrat zu wählen. Das verdient unsere Anerkennung.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Betriebsrat muss wieder neu gewählt werden. Bei fast der Hälfte der Betriebsratsmitglieder hat man die Verträge auslaufen lassen und sie bislang nicht weiter verlängert. Das Problem ist: Befristet Beschäftigte genießen keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz. Befristet beschäftigte Betriebsräte genießen darüber hinaus keinen besonderen Kündigungsschutz nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Das Unternehmen hat es in der Hand, unliebsame Beschäftigte und kritische Betriebsräte problemlos loszuwerden; angesichts der Befristung der Arbeitsverträge ist das nur eine Frage der Zeit.

Das Schlimme ist: Die Unternehmen dürfen all dies, alles, was dort passiert, ist rechtlich zulässig. Deshalb müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen jetzt schnell geändert werden, und zwar noch vor der nächsten Betriebsratswahl im Frühjahr nächsten Jahres.

(Beifall bei der LINKEN)

Belegschaften dürfen durch Befristungen nicht weiter daran gehindert werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Dieses Callcenter ist kein Einzelfall in Deutschland. Deswegen meine Bitte und meine Aufforderung an alle: Die Linke hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, wie er in der letzten Legislaturperiode teilweise genau in ähnlicher Form vorgeschlagen wurde von uns, von den Grünen und von der SPD. Zu sachgrundlosen Befristungen steht in den Koalitionsvereinbarungen kein Wort.

(Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Stimmt! Das hat auch einen Grund!)

Das heißt für mich: Es kann keinen Grund geben, warum man unserem Antrag jetzt nicht zustimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Tausende von Menschen bekämen eine Zukunftsperspektive, bekämen Sicherheit für sich und ihre Familien, könnten für den Betriebsrat kandidieren. Deswegen meine Bitte: Stimmen Sie zu, damit wir Beschäftigten, die in Befristungen festhängen, endlich eine Perspektive geben können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)