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Riester- und Rürup-Rente: Tür und Tor noch offener für die Versicherungswirtschaft

Rede von Barbara Höll,

Rede von Dr. Barbara Höll zur 2./3. Lesung des von der Regierungskoalition eingebrachten Altersvorsorge-Verbesserungsgesetzes

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sänger, manchmal kommt es einem wirklich so vor, als ob Sie in einem Paralleluniversum leben.

(Björn Sänger (FDP): Nee! Sie! Sie wohnen dort!)

Zunächst möchte ich klipp und klar sagen: Alle Menschen, die Monat für Monat ihren Beitrag in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, sind zwar dazu verpflichtet, aber sie sorgen dadurch privat vor. Schon Ihre Wortwahl ist irreführend. Sie tun so, als ob die private Vorsorge etwas ganz anderes wäre, als ob die, die nur in die gesetzliche Rentenversicherung zahlen, nicht privat vorsorgen würden. Das ist einfach Blödsinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Unterschied ist,

(Björn Sänger (FDP): Erklären Sie den mal!)

dass die gesetzliche Rentenversicherung ein umlagefinanziertes System ist, dass also de facto das, was heute eingezahlt wird, morgen ausgezahlt wird. Das andere System ist kapitalgedeckt. Das heißt, das Geld, das heute eingezahlt wird, wird irgendwo in den Kapitalmärkten angelegt. Was in 10, 15, 20 oder 30 Jahren dabei herauskommt, das wissen wir nicht. Das ist das große Risiko dabei.

(Beifall bei der LINKEN - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Genau das ist das Problem!)

Die Fragen, vor denen wir stehen, sind: Wie ist der demografische Wandel tatsächlich zu bewältigen? Welches System ist besser geeignet, die Risiken im Alter abzudecken? Um diese Fragen zu beantworten, muss man das kapitalgedeckte und das umlagefinanzierte System vergleichen. Wenn man diese Systeme einmal sachlich vergleicht, zeigt sich, dass das umlagefinanzierte System wesentlich besser ist.

(Beifall bei der LINKEN - Björn Sänger (FDP): In welcher Parallelwelt leben Sie denn? - Max Straubinger (CDU/CSU): Stimmt nicht!)

- Doch, das stimmt. - In beiden Systemen muss es natürlich einen Produktivitätszuwachs geben. In beide Systeme muss erst einmal etwas eingezahlt werden. Das ist die Voraussetzung. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn eingezahlt wurde, ist die Frage: In welchem System kann man ein stabiles Rentenniveau gewährleisten? Dies kann ich nur in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährleisten.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Birgit Reinemund (FDP): Das ist doch Augenwischerei!)

Sie sagen: Private Vorsorge - ich meine das in Anführungszeichen -, also das kapitalgedeckte System, würde höhere Renditen erwirtschaften.

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Der Witz ist gut!)

Hallo? Wo sind denn die höheren Renditen? Sie gehen bei Ihrer Vorhersage von 4 Prozent aus. Das wird doch real schon jetzt nicht mehr erreicht. Wir haben schon jetzt einen Rückgang der Rendite bei der Riester-Rente auf ein Drittel, von 3,75 auf 1,75 Prozent. 4 Prozent waren nie erreicht. Also stimmt auch dieses Argument nicht. Das ist unrealistisch.

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Das ist doch Quatsch! Sie schimpfen doch immer über die Kapitalanleger, die würden zu viel verdienen!)

Schauen wir uns einmal an, was geschehen ist. Das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung ist um etwa 4 Prozent gesenkt worden. Dazu kommt die Deckelung des Rentenversicherungsbeitrags: bis 2020 maximal 20 Prozent, bis 2030 maximal 22 Prozent. Sie sagen: Wenn da eine Lücke entsteht - sie ist da -, dann solle jeder für sich vorsorgen, indem er mit seiner privaten Altersvorsorge an die Kapitalmärkte geht.

Wer bleibt bei Ihrem System auf der Strecke? Sie pumpen Milliarden in das System. Die konkreten Angaben dazu haben Sie uns noch nicht geliefert; auch das muss man sagen. Deswegen haben wir dazu einen Antrag eingebracht. Zwischen 36 und 45 Milliarden Euro sind bisher schon in das System der kapitalgedeckten Altersvorsorge gepumpt worden. Aber wer hat denn etwas davon? Die, die jetzt einzahlen, die zukünftigen Rentnerinnen und Rentner, bleiben auf der Strecke; denn der Großteil dieses Geldes ist bei den Versicherungsunternehmen gelandet.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Zuruf von der SPD: Blödsinn!)

Das muss man sich einmal überlegen. Diese Versicherungsunternehmen haben Bürokratie- bzw. Verwaltungskosten von bis zu 20 Prozent. In der gesetzlichen Rentenversicherung sind es 1,4 Prozent. Auch das ist ein gravierender Unterschied. Die ganze Richtung ist also grundverkehrt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie jetzt versuchen, ein bisschen nachzubessern und das System verbraucherfreundlicher zu machen, klingt das zwar wunderbar, aber in Wirklichkeit bringt es nichts. Vorhin wurde das Produktinformationsblatt hochgehalten. Na klasse! Wer von Ihnen kann überhaupt noch all die Finanzprodukte, die es auf der Welt gibt, bewerten? Das können Sie auch nicht auf einem Produktinformationsblatt darstellen.

Zudem soll die geplante Produktinformationsstelle eine private Stelle sein. Wie soll diese transparent arbeiten? Auch da gibt es keine Transparenz. Es wird wieder so sein, dass damit letztendlich die Versicherungswirtschaft noch mehr Einfluss gewinnt. Da wird doch das Leben ganz irdisch. Es gibt relativ wenige Versicherungsmathematiker. Sie werden bestimmt versuchen, viele von diesen für die Arbeit in der Produktinformationsstelle zu gewinnen. Sie sollen dann auf einmal gegen die Versicherungsunternehmen, bei denen sie vorher waren, arbeiten? Sie öffnen also dem Einfluss der Versicherungsunternehmen hier weiter Tür und Tor. Diese können dann auch auf die Methodik, wie etwas erfasst wird, Einfluss nehmen. Das lässt sich nachweisen, unter anderem an der Verarbeitung der Sterbetafeln bzw. daran, wie die Biometriekosten berechnet werden. Das kann man hier und jetzt allerdings nicht erklären; das würde dann nämlich wirklich keiner mehr verstehen. Aber prinzipiell wird der Entwicklung, dass die Versicherungsunternehmen weiteren Einfluss bekommen, Tür und Tor geöffnet.
Sie sagen, Sie würden mit Ihrem Gesetz die Höhe der Wechselkosten, die anfallen, wenn man von einem Anbieter zu einem anderen wechselt, wirksam begrenzen. Das ist doch pure Augenwischerei. Sie haben die Neuabschlusskosten auf maximal die Hälfte des bis dahin angesparten Kapitals begrenzt. Das heißt, im Prinzip gibt es keine Deckelung.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): So ist es!)
Jetzt zum Wohn-Riester. Der Wohn-Riester ist wirklich völlig absurd. Erstens ist er so ausgestaltet, dass kaum jemand diese Möglichkeit nutzen wird; das ist auch in den Beratungen im Ausschuss ganz klar herausgekommen. Zweitens ist es doch eine Mär, dass der Erwerb von Wohneigentum eine sichere Form der Altersvorsorge ist. Eine Form der Vorsorge ist dies natürlich. Wenn man tatsächlich zu einem Pflegefall wird und in ein gutes Altenpflegeheim möchte, hat man zur Not die Möglichkeit, sein Wohneigentum zu verkaufen und von diesem Geld zu leben. Um keine Miete zahlen zu müssen bzw. kostenfrei wohnen zu können, muss man das Wohneigentum aber erst einmal abbezahlt haben. Außerdem hat derjenige, der Wohneigentum besitzt, meistens wesentlich höhere Nebenkosten und muss da und dort Reparaturen durchführen. Es ist doch nicht per se so, dass man, wenn man über Wohneigentum verfügt, im Alter kostenfrei wohnt. Das ist eine Mär. Über dieses Thema muss man anders nachdenken und auch anders reden.

Wenn Sie in diesem Bereich etwas hätten machen wollen, dann hätten Sie die verschiedenen Formen des Wohneigentums ich denke auch an genossenschaftliches Eigentum zielgerichtet fördern können. Es gab ja einmal eine Eigenheimzulage, die zumindest relativ vernünftig ausgestaltet war. Etwas Ähnliches könnte man wieder auf den Weg bringen. Ein Wohn-Riester in dieser Form löst die Probleme aber nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu der jetzt eröffneten Möglichkeit, sich gegen Risiken der Erwerbsminderung abzusichern, sage ich Ihnen klipp und klar: Das ist eine Aufgabe, die die gesetzliche Rentenversicherung erfüllen muss.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Höll?

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Das ist mein letzter Satz gesetzlich zugegebenermaßen schlecht geregelt. Diejenigen, die es sich leisten können, können sich besser absichern.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Höll!

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):

Diejenigen, die es sich nicht leisten können, haben Pech gehabt. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)