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Richard Pitterle: Weiteres Steuergeschenk für die Unternehmerlobby

Rede von Richard Pitterle,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Stellen wir uns mal klischeehaft vor, eine Gruppe junger, dynamischer Studentinnen und Studenten hat eine innovative Geschäftsidee und gründet ein Unternehmen, ein sogenanntes Start-up. Dazu brauchen sie zu Anfang und in den ersten Jahren immer wieder frisches Geld, vielleicht auch, weil nicht alles gleich so läuft, wie sie es sich vorgestellt haben, und weil das neugeborene Unternehmen erst einmal nur Verluste einfährt. Das ist bekanntlich eine schwierige Phase.

So. Und nun kommt die Bundesregierung mit einem Gesetz daher, das etwas sperrig heißt: „Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“. Damit wollen Sie nach Ihren Bekundungen Unternehmen, insbesondere auch Start-ups, unter die Arme greifen. Die potenziellen Geldgeber sollen nämlich in unser Start-up-Unternehmen investieren und dafür die Verluste, die das Start-up in den ersten Jahren gemacht hat, vereinfacht gesagt, steuerlich verrechnen können. So weit, so gut.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass junge kleine und mittlere Unternehmen in ihrer Gründungsphase gefördert werden sollen, klingt ja erst mal sehr nett. Ich habe wirklich angenommen, dass der Großen Koalition endlich mal ein vernünftiges Gesetz gelungen ist. Aber für die Ausführung bekommen Sie von mir eine saftige Fünf; denn das Gesetz hat enorme Schwachstellen. Ich will Ihnen drei davon nennen.

Erstens. Es ist gestaltungsanfällig, soll heißen, es eröffnet wieder einmal Spielraum für ein gezieltes Investieren findiger Spekulanten, die Unternehmensverluste nur für steuerliche Vorteile nutzen wollen. Darauf hat übrigens auch der Bundesrat hingewiesen und gar von „erheblichem Gestaltungspotenzial“ gesprochen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Bundesregierung hier wieder einmal eine so komplizierte Regelung vorlegt, dass sogar den Juristen bereits nach kurzer Zeit die Augen wehtun.

(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Es geht aber auch noch komplizierter!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wir von der Linken haben es wirklich satt, dass Sie immer wieder Gesetze verabschieden, die den Konzernen stets neue Steuerumgehungsmöglichkeiten bieten.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Der Gesetzentwurf geht mit erheblichen Steuermindereinnahmen einher. Im Entwurf selbst werden die Mindereinnahmen auf insgesamt 600 Millionen Euro jährlich beziffert. Das trifft vor allem die Kommunen eiskalt – wir haben es schon gehört –: 235 Millionen Euro werden den Gemeinden für Straßen, Schulen und Krankenhäuser fehlen.

Das ist bei weitem nicht das Schlimmste. In der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf wurde vom Sachverständigen Professor Jarass erörtert, dass es bei voller Nutzung aller Verlustvorträge durch die deutschen Kapitalgesellschaften knüppeldick käme; denn dann könnten in den nächsten Jahren Steuerausfälle von insgesamt bis zu 150 Milliarden Euro drohen.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wurde aber nicht bewiesen!)

Meine Damen und Herren, das ist schlichtweg eine Katastrophe auf Kosten der Gemeinschaft der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Dritter und letzter Punkt und sozusagen das i-Tüpfelchen: Insbesondere Start-ups werden wahrscheinlich überhaupt nicht von den Regelungen profitieren. Die Möglichkeit der steuerlichen Verlustverrechnung ist nämlich an die Voraussetzung gebunden, dass das Unternehmen seit mindestens drei Jahren bzw. seit seiner Gründung ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhält.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere in den ersten Jahren nach Gründung gibt es bei Start-up-Unternehmen noch laufend Anpassungsbedarf und entsprechende Umstrukturierungen. Zum Beispiel kann es sein, dass Abläufe in der Produktion oder vielleicht auch das Produkt selber geändert werden müssen, um am Markt die richtige Nische zu finden. Genau das wäre dann aber möglicherweise ein Ausschlussgrund, um in den Genuss Ihres Steuergeschenkes zu kommen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie können doch nicht den Missbrauch verurteilen und dann Missbrauch gleichzeitig machen wollen!)

Wenn aber insbesondere die, die von einem Gesetzentwurf explizit profitieren sollen, am Ende gar nichts davon haben, dann ist das ganz, ganz schlechte Gesetzgebungsarbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, mit diesem Gesetz werden Sie nicht den kleinen Start-ups helfen, sondern wieder einmal unter Inkaufnahme erheblicher Steuermindereinnahmen Tür und Tor für die großen Zocker öffnen. Die Linke kann dieses Gesetz nur ablehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)