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Rente ab 67 vollständig zurücknehmen

Rede von Klaus Ernst,

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Wir legen Ihnen heute einen Antrag vor, mit dem wir das Ansinnen, das Renteneintrittsalter deutlich zu erhöhen, ablehnen wollen. Sie argumentieren, dass es aufgrund der demografischen Entwicklung notwendig sei, dass man zukünftig erst mit 67 in Rente gehen kann. Sie sagen: Weil die Menschen länger leben, verlängert sich die Zeit, in der sie Rente beziehen. Das ist nicht finanzierbar, und weil es nicht finanzierbar ist, müssen die Menschen länger arbeiten, um die Rentenbezugszeiten wieder zu verkürzen. Das greift zu kurz. Wir leugnen nicht, dass es demografische Veränderungen gibt. Aber wir glauben nicht, dass es deshalb notwendig wäre, länger zu arbeiten. Ich möchte Ihnen einige Gründe vortragen, warum wir das weder für sinnvoll noch für notwendig halten.

Wir wissen, dass das Bruttoinlandsprodukt jährlich in einer Größenordnung von etwa 1,5 Prozent wächst. Das bedeutet, dass wir im Jahre 2030 ein deutlich höheres Bruttoinlandsprodukt haben als heute. Ferner wissen wir, dass gleichzeitig die Zahl der Menschen, die im Jahr 2030 in der Bundesrepublik Deutschland leben werden das sagen uns alle Demografen , sinken wird. Es werden deutlich weniger sein als es heute sind.

Was haben wir dann für einen Zustand? Wir haben den Zustand, dass der Kuchen, der zu verteilen ist, deutlich größer geworden ist. Im Jahr 2030 wird er rund 30 Prozent größer sein, es werden sich aber deutlich weniger Menschen diesen Kuchen teilen müssen. Wenn ich den Dreisatz heranziehe, den man auf der Volksschule Sauerland lernt, dann weiß ich, dass die einzelnen Kuchenstücke wenn der Kuchen größer wird und weniger Leute ihn sich teilen müssen nicht kleiner, sondern größer werden. Das Problem ist, dass Sie diesen Tatbestand permanent leugnen.

(Beifall bei der LINKEN Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das scheint mir eher die Baumschule Sauerland zu sein als die Volksschule Sauerland!)

- Das hat mit Baumschule nichts zu tun, sondern es hat etwas damit zu tun, dass Sie das Argument benutzen, um die Menschen hinter die Fichte zu führen wie die Kanzlerin immer so schön sagt , indem Sie so tun, als sei das ein demografisches Problem. Das ist es aber nicht.

Warum gibt es aber trotzdem ein Problem, wenn der Kuchen größer wird und damit auch die Kuchenstücke? Jemand klaut uns den halben Kuchen, bevor er an die Bürgerinnen und Bürger und an die Rentnerinnen und Rentner verteilt wird. Diesen Kuchenklau betreiben Sie.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen auch, in welcher Weise Sie das tun. Sie tun das dadurch, indem Sie beispielsweise die Einführung des Mindestlohns verweigern. Durch die Verweigerung des Mindestlohns fehlen Einzahlungen in die Rentenkassen. Sie verweigern es dadurch, dass Sie Leiharbeit in der derzeit geltenden Form zulassen, weil Leiharbeiter deutlich weniger verdienen als Vollzeitbeschäftigte in einem normalen Arbeitsverhältnis. Auch dies ist Kuchenklau: Wir wissen, dass 40 Prozent der neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse insbesondere bei jungen Menschen nur noch als befristete Verhältnisse abgeschlossen werden, weshalb auch die Bezahlung niedriger ist. Wir wissen auch, dass die Menschen durch die Hartz-Gesetze so viel Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben, dass sie bereit sind, Lohnsenkungen hinzunehmen.

Es ist Fakt, dass wir in der Bundesrepublik eine sinkende Lohnquote zu verzeichnen haben; das werden Sie doch wohl nicht leugnen wollen. Wenn Sie die Löhne von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von dem größer werdenden Kuchen abkoppeln, dann ist es logisch, dass wir Probleme bei der Finanzierung der Rentenkasse haben. Das hat aber nichts mit Demografie zu tun, sondern schlichtweg mit der Tatsache, dass Sie den Menschen, insbesondere auch den Rentnern, einen großen Teil dessen vorenthalten, was in diesem Land erwirtschaftet wird. Das ist eine Tatsache.

(Beifall bei der LINKEN)

Frauen sind davon besonders betroffen. Wir wissen, dass die geringeren Löhne von Frauen später zu geringeren Rentenleistungen führen werden. Auch dazu haben Sie mit Ihrem Vorschlag, die Rente ab 67 einzuführen, keinen vernünftigen Beitrag geleistet.

Ein anderes Argument betrifft die Frage, ob der Arbeitsmarkt und die Beschäftigungssituation insgesamt es hergeben, die Menschen länger arbeiten zu lassen. Da genügt ein Blick auf die Realität. Nur 9,9 Prozent der 64-Jährigen, also derjenigen, die bis 67 arbeiten sollten, haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, nur 6,4 Prozent arbeiten Vollzeit. Das sind Zahlen der Bundesregierung. Wenn man sich die einzelnen Berufsgruppen anschaut, dann stellt man fest: Von den Malern und Lackierern sind es gerade einmal 2,9 Prozent, die im Alter von 64 Jahren noch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung haben, von den Mechanikern sind es 2,8 Prozent, im Bau- und Raumausstattergewerbe sind es 2,7 Prozent, von den Bäckern sind es 2,0 Prozent und von den Dachdeckern, Gerüstbauern und Zimmerern sind es 1,6 Prozent. Denen, deren Beschäftigungsquote im Alter von 64 Jahren es geht um die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nur 1,6 Prozent beträgt, sagen Sie, sie sollten bis 67 arbeiten. Wissen Sie was? Diese Leute halten Sie schlichtweg für verrückt. Diese Rechnung geht einfach nicht auf.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn also insgesamt 90 Prozent außen vor sind, dann gibt die Arbeitsmarktsituation einen späteren Renteneintritt schlichtweg nicht her. Die höchste Arbeitslosenquote bei den 55- bis unter 65-Jährigen haben wir in Ostdeutschland mit 13 Prozent. Wenn man sich den Anteil der Älteren an den Erwerbslosen ansieht, dann stellt man fest, dass wir seit 2004 eine kontinuierliche Steigerung des Anteils der Älteren an den Erwerbslosen insgesamt haben. Und dann sagen Sie, dass die Arbeitsmarktsituation es erlaubt, dass die Menschen länger arbeiten. 36 Prozent der Betriebe beschäftigen keinen einzigen Menschen über 50. Nur 11,7 Prozent der neu Eingestellten sind über 50 Jahre alt. Gleichzeitig kürzen Sie noch die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, die diese Situation vielleicht ändern könnte.

An Ihren Aussagen wird deutlich, dass Sie es überhaupt nicht darauf anlegen, das zu tun, was im Gesetz mit Ihrer Zustimmung beschlossen wurde, nämlich im Jahr 2010 zu prüfen, ob die Arbeitsmarktsituation überhaupt ein späteres Renteneintrittsalter ermöglicht. Sie nehmen diese Prüfung überhaupt nicht ernst. Frau von der Leyen, ich zitiere Sie aus dem Fokus vom 17. Mai 2010:
Es hat enorme Kraft gekostet, die Rente mit 67 festzuschreiben. Wenn wir keine griechischen Verhältnisse wollen, müssen wir länger arbeiten. Wir leben auch länger.

Sie bringen kein einziges Argument bezüglich der Beschäftigungssituation in der Realität.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Brauksiepe sagt es noch deutlicher. Er ist ein ganz Ehrlicher. Er sagte über die Rente mit 67: Es wird dabei bleiben, egal wie die Beschäftigung Älterer aussieht. So veräppeln Sie die Leute im Land.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie tun so, als würden Sie tatsächlich darüber nachdenken, in Wirklichkeit haben Sie die Entscheidung längst gefällt.

Es wird immer angeführt, die Situation in den Betrieben werde sich verbessern. Im Jahr 2009 haben nur 44 Prozent aller Betriebe überhaupt Weiterbildung betrieben, und zwar für die gesamte Belegschaft. Wir wissen auch, dass Weiterbildung in den Betrieben in der Regel für die Höherqualifizierten angeboten wird und weniger für die, für die die Rente mit 67 unmöglich ist. Also hält auch das Argument der Weiterbildung einer Überprüfung nicht stand.
In Wirklichkeit führt die Rente ab 67 für 90 Prozent der Beschäftigten zu höheren Abschlägen. Sie wissen das. Der Abschlag beträgt 7,2 Prozent für alle, die im Alter von 64 Jahren keinen Job mehr haben und dann bis 67 arbeiten müssten . Das ist offensichtlich gewollt. Die Rente ab 67 ist nichts anderes als ein Rentenkürzungsprogramm. Das ist das, was Sie den Menschen hierzulande zumuten.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Rentenklau!)

Ich möchte auf eine Größenordnung hinweisen. Die Höhe der Abschläge hat von 2000 bis 2008 von 35 Euro auf durchschnittlich 115 Euro zugenommen. Das bedeutet, dass wir bei einem durchschnittlichen Rentenanspruch von 848 Euro noch einmal 115 Euro abzuziehen haben. Sie treiben mit der Rente ab 67 die Menschen in die Grundsicherung im Alter. Das ist es, was Sie offensichtlich vorhaben. Sie wollen die gesetzliche Rente kaputtschießen, um die privaten Versicherungen zu stützen. Das ist Ihr Konzept.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres Argument, das Sie immer anführen, ist das der Generationengerechtigkeit. Wir wissen, dass nur um 0,5 Prozent höhere Beiträge notwendig wären, um auf die Rente ab 67 zu verzichten; 0,25 Prozent für den Arbeitnehmer.

Ich kenne keinen, der wegen 0,25 Prozent zwei Jahre länger arbeiten möchte. 0,25 Prozent sind beim Durchschnittsverdiener 7 Euro. Wegen 7 Euro zwei Jahre länger arbeiten zu lassen, das ist dann Ihre Generationengerechtigkeit. Ich sage Ihnen: Sie treffen mit diesem Vorschlag Jung und Alt gleichermaßen. Die Jungen kriegen weniger Geld, kriegen weniger Rente und sollen länger arbeiten. Den Alten muten Sie zu, in den Betrieben zu bleiben, bis sie umfallen. Vielleicht löst sich dann das eine oder andere Rentenproblem biologisch. Das ist offensichtlich das, worauf es hinausläuft.

(Beifall bei der LINKEN - Max Straubinger (CDU/CSU): Ach Gott, oh Gott! So etwas Dummes!)

Meine Damen und Herren, ich halte diese Politik, die Sie hier betreiben, für absolut unzumutbar. Deswegen möchte ich auch noch einmal auf unsere Vorschläge eingehen, weil es nötig ist.
Die Rente mit 67 gehört sofort zurückgenommen. Es ist auch keine Lösung - das muss ich zu meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD sagen -, zu sagen: Dann warten wir mal bis 2015, aber 2029 soll sie dennoch voll wirken. Ihr Vorschlag, dass die Rente mit 67 bei einer Beschäftigungsquote der 60- bis 65-Jährigen von 50 Prozent eingeführt werden soll, bedeutet dann immer noch, dass die Hälfte der Betroffenen nur eine Rentenkürzung kriegt. Das kann doch nicht eure Lösung sein. Deshalb überdenken Sie diesen Vorschlag bitte noch einmal, damit wir da zu Rande kommen.
Ein weiterer Punkt ist: Wir brauchen natürlich sofort eine Stabilisierung der Löhne, unter anderem den gesetzlichen Mindestlohn, und wir brauchen vor allen Dingen eine andere Rentenformel. Wir brauchen eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen und in der alle gleich behandelt werden - auch die Beamten, auch die Selbstständigen und auch wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der LINKEN - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Und die Ministerinnen und Minister!)

Es ist nicht akzeptabel, dass hier den Menschen dauernd eine Kürzung der Renten auch mit der Rente ab 67 verordnet wird, während gleichzeitig die Abgeordneten des Bundestages so tun, als würde es sie überhaupt nichts angehen. Es geht sie auch tatsächlich nichts an, weil sie sich selber eine höhere Rente genehmigen. Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel. Es muss bei der Rente ab 65 bleiben, und es muss für bestimmte Berufsgruppen eine Möglichkeit zum vorzeitigen Ausstieg geben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)