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Reisen für Alle – für einen sozialen Tourismus

Rede von Kornelia Möller,

Rede zu Protokoll zum Antrag „Reisen für Alle – für einen sozialen Tourismus“ (Drucksache 17/11588) Top 14

Sehr geehrte Frau Präsidentin/Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

Unser Antrag ist ein Plädoyer für mehr Solidarität im Tourismus, und zwar national wie auch international! Der aktuelle EU-Sozialbericht gibt erneut Anlass, das Thema Solidarität ganz oben auf die Agenda der Politik zu setzen. In Europa driften arme und reiche Länder immer weiter auseinander und die Krisenbewältigungspolitik der Bundesregierung reißt diese Kluft noch weiter auf. Und auch im eigenen Land besteht ein großes Solidaritätsdefizit! Deswegen musste der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung auch weichgespült werden. Im Tourismus vertieft und verfestigt sich eine Zweiklassengesellschaft als Folge des Auseinanderdriftens der Einkommen. Diese Entwicklung wollen wir nicht hinnehmen! Die Tourismuspolitik der Koalition ist gekennzeichnet durch einseitige ökonomische und Gewinnausrichtung, durch Marktgläubigkeit, durch Entsolidarisierung, durch schlechte Arbeits- und Einkommensbedingungen für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Branche und eine tiefe soziale Spaltung des inländischen touristischen Kundenpotentials. Die vorliegenden Fakten sprechen eine klare Sprache: In Deutschland ist ein großer Teil der Bevölkerung vom Tourismus ausgeschlossen.

Die Tourismuspolitik der Bundesregierung ist europafeindlich, vor allem, wenn es um sozialen Tourismus geht. Das zeigte bereits die Debatte zum Antrag der Linksfraktion zur Mitarbeit im Rahmen der Internationalen Sozialtouristik-Organisation (ISTO). Bei Merkel und Co dominiert nationaler Egoismus, wenn sie die Mitarbeit im Rahmen der EU-Initiative CALYPSO strikt ablehnen, wenn sie das zweifellos erhebliche touristische Potential der Bundesrepublik und die Erfahrungen auf diesem Gebiet nicht in den Dienst der Verbesserung des europäischen Sozialtourismus stellen wollen. Die Argumente sind teilweise haarsträubend: Frau Mortler (Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktionsarbeitsgruppe Tourismus) wollte z.B. verhindern, „dass deutsche Steuerzahler den Urlaub beispielsweise dänischer Rentner in Spanien finanzieren“. Das ist völlig aus der Luft gegriffener Unsinn! Da werden Gespenster an die Wand gemalt, um Solidarität zu verhindern. Noch abenteuerlicher das Argument, dass es sich bei einem öffentlich geförderten Urlauberaustausch über Ländergrenzen hinweg „um Ausgrenzung handelt und sich die betroffenen Menschen als Reisende zweiter Klasse fühlen müssten“. Liebe Frau Mortler, was glauben Sie, wie sich jene Menschen in unserem Land fühlen, denen jegliches Reisen, Urlaub überhaupt, auf Grund ihrer sozialen Situation verwehrt sind? Bei solcher Geisteshaltung ist es nicht verwunderlich, dass dem Vorschlag des EU-Industriekommissars Tajani von 2012, zwecks besserer Auslastung von Urlaubsunterkünften in der Nebensaison Reisen für Seniorinnen und Senioren mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren, von deutscher Seite sofort eine Abfuhr erteilt wurde. Und dies, obwohl Tajanis Vorstoß in erster Linie auf höhere Steuereinnahmen zielte.

Wir meinen: Bei allen großen und wichtigen europäischen Sozialtourismusinitiativen sollte Deutschland mit seinem Potential nicht länger abseits stehen! Und ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn die deutsche Reisebranche zwölf Jahre brauchte, um den Globalen Ethik-Kodex der Welttourismusorganisation zu unterschreiben, der die Förderung des Sozialtourismus ausdrücklich fordert?

Solidarität darf kein Lippenbekenntnis sein. Notwendig sind konkrete politische Weichenstellungen. Genau darauf zielt unser Antrag. Er beinhaltet einen ganzen Komplex von Maßnahmen für einen sozialen und solidarischen Tourismus und bildet deshalb ein scharfes Kontrastprogramm zur gegenwärtigen schwarz-gelben Tourismuspolitik. Wir erinnern Sie von den Regierungsparteien damit an ihre eigenen tourismuspolitischen Leitlinien, an den Vorsatz, dass auch Menschen mit gesundheitlichen, sozialen und finanziellen Einschränkungen reisen können sollen - ein Versprechen, das Sie bisher nicht eingelöst haben.

Die Linksfraktion fordert ein ausreichendes Budget für Erholungsurlaub für Bedarfsgemeinschaften und Familien mit Kindern im Rahmen der Regelbedarfssätze des SGB II sowie des SGB XII und die Aufstockung von öffentlichen Mitteln für die Finanzierung von Projekten des sozialen Tourismus. Das ist überfällig!
Einen Schwerpunkt sehen wir in der verstärkten öffentlichen Förderung des Familienurlaubs sowie von Reisen Alleinerziehender mit Kindern. Das Niveau vergangener Jahre muss wieder erreicht werden! Denn die Reiseintensität von Familien ist innerhalb von 20 Jahren um 11 Prozent zurückgegangen. 2010 verreiste nur noch gut jede zweite Familie für mindestens fünf Tage. Wir halten die Wiederaufnahme und Erweiterung der Landesförderung für Familienreisen in verschiedenen Bundesländern für dringend notwendig und plädieren auch dafür, den Zugang zu diesen Reisen zu vereinfachen, zu entbürokratisieren und weitgehend zu vereinheitlichen. Vielfach scheitert gefördertes Reisen an bürokratischen Barrieren! Mit der stärkeren Förderung von Familienreisen wird unsere Gesellschaft nicht nur kinderfreundlicher. Auch der Umsatz der Branche mit der touristischen Kernzielgruppe Familien kann wieder erhöht werden. In vielen Fällen bringt mehr Solidarität im Tourismus der Branche und auch den
Kommunen einen Zuwachs an Einnahmen und sichert vor allem Arbeitsplätze. Das belegen auch Fakten aus dem internationalen Sozialtourismus.

Vielfältige Erfahrungen besitzt unser Land im geförderten Kinder- und Jugendtourismus. Aber die Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft! Deshalb begrüßen wir das von der Regierung geförderte" Zukunftsprojekt Kinder- und Jugendtourismus in Deutschland". Aber noch ist nicht erkennbar, ob gerade jenen Gruppen damit eine besondere Förderung zuteil wird, die bisher außen vor geblieben sind. Dabei muss ins Bewusstsein gerufen werden, dass noch vor drei Jahren Urlaubsreisen für mehr als ein Fünftel der Haushalte mit Kindern unter 14 Jahren finanziell unerschwinglich waren. Aktuellere Zahlen kann ich Ihnen hierzu leider nicht präsentieren, weil der Aufbau einer soliden Statistik zur sozialen Struktur des Tourismus leider bisher versäumt wurde – vielleicht sogar bewusst!? Wir setzen uns mit unserem Antrag dafür ein, auch dieses Versäumnis aus der Welt zu schaffen. Tourismus hat eine wichtige soziale Dimension und für staatliche Entscheidungen auf diesem Gebiet, die das Leben von Millionen bestimmen, braucht man seriöse Fakten. Ökologische und soziale Nachhaltigkeit im Tourismus - eingeschlossen auch weitere Fortschritte bei der Barrierefreiheit – kann, wie wir wissen, nicht dem Markt überlassen bleiben, sondern braucht politische Gestaltung. Und als Teil einer solchen politischen Gestaltung betrachten wir das von der Linksfraktion vorgeschlagene Fünfjahresprogramm für sozialen Tourismus, das die Bundesregierung dem Bundestag vorlegen soll. Wohlbemerkt: Die Bundesregierung soll dieses Programm vorlegen. Damit dürfte wohl ausgeschlossen sein, dass es sich um die Rückkehr zu FDGB-Reisen handelt, wie es in einigen gehässigen Kommentaren bereits hieß - obgleich Frau Merkel die positiven Auswirkungen der FDGB-Reisen kennen sollte.

Für alle anderen möchte ich hier auf einen großen Unterschied im Vergleich zwischen FDGB-Feriendienst und den heutigen kümmerlichen Ansätzen eines Sozialtourismus in der Bundesrepublik hinweisen: weil soziale Gerechtigkeit, Erholung, Bildung, Reproduktion des Arbeitsvermögens als oberste Prinzipien der Ferienpolitik des FDGB galten und die Reisen erschwinglich und preislich stabil waren - und deshalb so begehrt und von Millionen Menschen genutzt, hat ihre Bereitstellung die damaligen ökonomischen Möglichkeiten überschritten. Die heutige Bundesrepublik als ein reiches Land besitzt diese ökonomischen Möglichkeiten, trotzdem sind Millionen Menschen, darunter ein Drittel Kinder, von Urlaubsreisen ausgeschlossen. Diesen fundamentalen Unterschied kann man auch mit Diffamierungen nicht überdecken!

Ich hätte mir als Kind eine FDGB-Reise gewünscht. Dazu kam es aber nicht, weil ich im Westen geboren und aufgewachsen bin.