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Regierung der Hungerlöhne

Rede von Ulla Lötzer,

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brüderle, die Zeiten des Feierns sind vorbei. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist nicht frei von Risiken. Es ist nicht zu übersehen, dass der Dollar fällt und Exporte teurer werden. Es ist nicht zu übersehen, dass die Krise in den USA noch nicht ausgestanden ist. Viele Käufe dort waren und sind Käufe auf Pump. Die USA werden nicht länger Wachstumslokomotive des Weltmarktes sein, was sie seit den 90er-Jahren waren. Die Preise für Güter des täglichen Bedarfs und die Rohstoffpreise steigen. - So weit stimme ich mit Ihnen überein; aber, keine Angst, bei den Maßnahmen hört es auf.

Herr Glos, Sie haben in dieser Woche in der Berliner Zeitung gesagt: Wir haben in unserer Wachstumsprognose die Risiken berücksichtigt. Es geht aber nicht darum, die richtige Prognose zu stellen. Sie sind nicht der Buchhalter der Nation, sondern als Wirtschaftsminister gefragt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht auch nicht darum, Schwarzmalerei zu betreiben und eine Weltwirtschaftskrise an die Wand zu malen. Es geht um die simple Frage, ob Sie die Zeit des Aufschwungs nutzen, um den Binnenmarkt jetzt oder in Zukunft zu stärken und die Exportabhängigkeit zu reduzieren. Es geht schlichtweg um die Frage: Sichern Sie die Konjunktur gegen Risiken ab? Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Rossmanith, muss ich diese Frage mit Nein beantworten. Schauen wir uns Ihr gefeiertes strategisches Dreieck an. Ein wichtiger Teil der Binnennachfrage sind die Investitionen. Der Kauf von Maschinen und der Bau von Gebäuden nehmen beim Wirtschaftswachstum eine Schlüsselstellung ein. Die verschiedenen Steuerreformen, die Lohnzurückhaltung und die Senkung der Lohnnebenkosten sollten Deutschland einen Investitionsboom bescheren. Doch davon ist die deutsche Wirtschaft weit entfernt. Das sind die Ergebnisse einer Analyse des Instituts für markroökonomische Forschung, die am Dienstag veröffentlicht wurden. Trotz Aufschwungs und sprudelnder Gewinne fiel der Anteil der Nettoinvestitionen seit 1991 von 11 auf 4 Prozent zurück. Die USA und Großbritannien legten seit 1995 um 60 Prozent zu, Frankreich um 40 Prozent. Deutschland legte im gleichen Zeitraum um nur 7 Prozent zu. Die Zunahme im Jahr 2007 ändert an diesen Verhältnissen nichts. Sie preisen Ihr Zukunftsprogramm für öffentliche Investitionen, obwohl Sie dabei erst recht eine schlechte Figur machen.

(Beifall bei der LINKEN)

1970 wurden noch fast 5 Prozent der Wertschöpfung für öffentliche Investitionen ausgegeben. Auch mit der für 2008 vorgesehenen Steigerung kommen Sie bei weitem nicht an diesen Wert heran. In den Folgejahren werden Sie das erst recht nicht schaffen. Bis 2011 wollen Sie den Anteil der öffentlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt auf unter 1 Prozent senken. Nach wie vor ist Deutschland Schlusslicht. Das Geld fehlt für die Daseinsvorsorge, für Infrastrukturmaßnahmen, im Bereich Bildung und Forschung, für die Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze. Die geplanten Steuermehreinnahmen fehlen. Geld fehlt auch für die Sanierung des Haushalts. Deshalb fordern wir Sie zu einer Wende auf: Schaffen Sie Zukunftsinvestitionsprogramme auf europäischem Niveau! Das nutzt allen, auch dem sozialökologischen Umbau und der Wirtschaft.

(Beifall bei der LINKEN)

Durch eine Steigerung des privaten Konsums wird die Binnennachfrage nicht gestärkt. Wie auch? Laut Ihrer Aussage haben angeblich 1 Million Menschen keine Angst mehr vor Arbeitslosigkeit. Das ist eine Luftnummer. Airbus-Chef Enders holte letzte Woche die Beschäftigten zusammen und sagte, dass der Dollarverfall Airbus 100 Millionen Dollar koste, das sei lebensbedrohlich. Ob mehr als die geplanten 10 000 Arbeitsplätze gestrichen werden sollen, sagte er noch nicht. - Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in den Dollarraum sei der sicherste Weg, behaupten andere. Und Sie behaupten, die Menschen hätten keine Angst mehr vor Arbeitslosigkeit? Ja, es gibt einen Zuwachs bei der Beschäftigung. Er resultiert aber aus Leiharbeits- und befristeten Beschäftigungsverhältnissen, die von Unsicherheit geprägt sind. Aber Unsicherheit macht den Menschen Angst. Wenn Sie ihnen diese Angst nehmen wollen, müssen Sie zumindest die Leiharbeit und die Möglichkeiten befristeter Beschäftigung begrenzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die private Nachfrage ist nach wie vor von Konsumflaute geprägt. Trotz Konjunktur und zusätzlicher Beschäftigung weist der Einzelhandel im Vergleich zum Vorjahr ein Umsatzminus aus. Im Namen der Wettbewerbsfähigkeit wurden die Reallöhne auf einen Tiefpunkt gesenkt. In Frankreich erhalten Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter einen Zuschlag von 10 Prozent als Risikoprämie. Hier verdienen sie 20 bis 50 Prozent weniger als Beschäftigte in der Stammbelegschaft. Durch die Inflation haben Hartz-IV-Bezieher seit 2003 7,5 Prozent ihres Einkommens eingebüßt. Das sind 26 Euro im Monat - angesichts dieser Grundsicherung ist das ein großer Batzen -, die für Essen, für lebensnotwendige Anschaffungen und für Weihnachtsgeschenke für die Kinder fehlen. Ihre Verweigerung der Einführung von Mindestlöhnen für alle, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, und Ihre Verweigerung der Anhebung der Grundsicherung für Hartz-IV-Bezieher machen Sie zu einer Regierung der Hungerlöhne und der Armut, nicht des Aufschwungs und der Teilhabe.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht nur eine Frage der Teilhabegerechtigkeit, auch eine wirtschaftspolitische Wende zur Stärkung der Binnennachfrage macht die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen von mindestens 8,44 Euro und eine Anhebung der Grundsicherung auf 435 Euro dringend notwendig. Sie machen eine Wirtschaftspolitik, die nach wie vor darauf setzt, mit anderen Ländern im Dumping zu konkurrieren, um ihnen Exportmarktanteile abzujagen. Wir wollen eine Wende in der Wirtschaftspolitik, die den Binnenmarkt stärkt, die Teilhabe der meisten Menschen am Aufschwung sichert und damit den Aufschwung gegen Risiken absichert. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)